von Brigitta Hochuli, 26.09.2015
Küss die weisse Galatee...
Brigitta Hochuli
Omama war für einmal allein unterwegs, also ohne Enkelin, der der Ausflug bestimmt gefallen hätte. Aber Omama war ja auch einmal klein, entsprechend hatte sie eine kindliche Freude, als sie die „Kleine Oper Märstetten“ betrat. Kaum zu glauben, dass sich in einer Scheune mitten im ländlichen Dorf ein reizendes Barocktheater versteckt und hinter ihm - zum lustwandeln! - ein ebensolcher Garten mit allem Drum und Dran.
Zu verdanken ist das Jürg Trippel, der die Leidenschaft für die Epoche unter anderem als Leiter des Vokalensembles Praetorius auslebt. Als Dirigent führte er in diesem September durch Georg Friedrich Händels „Acis and Galatea“ mit der Thurgauer Sopranistin Irina Ungureanu als wie immer gesanglich glänzender Hauptdarstellerin. Blumen bekränzt brachte sie zuweilen verschmitzt die Liebe zu ihrem Hirten zum Ausdruck, ganz in weissen Tüll gehüllt und tief unter die Haut gehend die grosse Trauer nach dessen gewaltsamem Tod.
Dieses Weiss erinnerte die Omama an Gottfried Kellers Novelle „Regine“ im „Sinngedicht“, das sie als junge Frau für eine Prüfung hatte verinnerlichen müssen. „Wie willst du weisse Lilien zu roten Rosen machen?/Küss die weisse Galatee: sie wird errötend lachen“, zitiert Keller ein Epigramm des Barockdichters Friedrich von Logau. Regine hat eine ganz andere Geschichte als Händels Frauenfigur, aber eine ganz ähnliche wie ein Dienstmädchen aus Tägerwilen. Es hiess Elise Egloff, war Kellers Vorlage und kam später in „My fair Lady“ zu Weltruhm. - Auch das hätte die Omama übrigens nie erfahren, gäbe es den Thurgau nicht. Denn die Geschichte der Eliza Doolittle wurde vor drei Jahren auf der Zentrumbühne in Bottighofen erzählt. Also küss die weisse Galatee, sie wird auch hier erwachen.
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