22.05.2016
Andrea Wiesli: präsent im Thurgau
Am Dienstag, 31. Mai, 19 Uhr, werden im Shed im Eisenwerk Frauenfeld die mit 25‘000 Franken dotierten kantonalen Förderbeiträge für Kultur übergeben. Wir stellen die sechs Künstler nacheinander vor. Heute Andrea Wiesli, Musikerin, Zürich.
Andrea Wiesli, Ihre Verbindung zur Ostschweiz ist das Collegium Musicum St. Gallen und über die Grenze hinaus in Konstanz die Südwestdeutsche Philharmonie. Gibt es auch zum Thurgau eine aktuelle musikalische Verbundenheit?
Andrea Wiesli: Ja, ich freue mich schon auf den Abend im Juni in Frauenfeld, wo ich seinerzeit das Gymnasium besuchte und mit dem Orchester der Kantonsschule mit Beethovens 2. Klavierkonzert sogar meine erste Orchestererfahrung sammeln durfte. Ich bin gebürtige Thurgauerin, in Wilen b. Wil aufgewachsen und habe in Wil zunächst Orgel- und danach Klavierunterricht erhalten. Als 15-jährige Schülerin trat ich in den Organistendienst der Rickenbacher St. Verena Kirche ein und übte dieses Amt, bei dem ich mich auch immer wieder als Solo-Sopranistin engagierte, 20 Jahre lang aus.
Mit meinem Heimatkanton bin ich auch nach meinem Wegzug nach Zürich in engem musikalischen Kontakt geblieben und bin immer wieder in Konzerten zu hören (Amriswiler Konzerte, Konzerte und Kultur Kloster Fischingen etc.). In der Woche der Preisübergabe trete ich gleich zweimal im Thurgau auf: Am 2. Juni in Islikon und am 3. Juni in Frauenfeld im Eisenwerk. Gemeinsam mit dem Countertenor Alexander Seidel darf ich den überaus facettenreichen und unmittelbar ansprechenden Liederzyklus "Trödelmarkt der Träume" nach Gedichten von Michael Ende des im Thurgau sehr präsenten Komponisten Frédéric Bolli aufführen.
Sie haben in Musikwissenschaft über die Schubert-Transkriptionen Liszts promoviert und wollen mit Hilfe des Förderbeitrags nun unbekannte Schweizer Komponisten erforschen. Gibt es Schweizer Komponisten mit ähnlichen Qualitäten? Und wo genau werden Sie da fündig?
Andrea Wiesli: Mich interessiert besonders die Musik, die neue Ausdrucksformen findet und gleichzeitig zu berühren vermag. Dazu zählen für mich Komponisten wie der Bündner Gion Antoni Derungs (1935–2012), dessen rhythmisch höchst impulsives 2. Klavierkonzert ich im letzten Jahr mit der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz unter dem Dirigat von Mario Schwarz in Konstanz, Zürich und Bern aufführen durfte. Aber auch der Zuger Komponist Carl Rütti, der im Auftrag der Zentralbibliothek Zürich (ZB) für das Trio Fontane ein grossartiges Klaviertrio über ein Zürichsee-Lied mit tänzerischen und jazzigen Passagen komponiert hat. Unsere CD-Einspielung sowie eine Notenedition werden im nächsten Jahr, in dem die Zentralbibliothek Zürich ihr 100-Jahr-Jubiläum feiert, erscheinen. In den Archiven der ZB werde ich überhaupt immer wieder fündig. Unlängst habe ich sogar ein kurzes Stück für Klaviertrio von Othmar Schoeck rekonstruieren und mit dem Trio Fontane uraufführen können.
Während meiner Arbeit an der Dissertation über Liszt und Schubert war ich beeindruckt davon, welch kreativen Umgang Liszt mit der zu seiner Zeit aktuellen Musik hatte. Über 50 Schubert-Lieder wandelte er beispielsweise in eigenständige lyrische, bisweilen hochvirtuose Klavierstücke um und richtete ganze Zyklen wie etwa die Winterreise komplett neu ein. Dieses kreative Musikverständnis ermunterte mich zu neuen Konzert-Konzepten wie etwa den ,lecture performances‘, in denen ich Musik mit Texten und visuellen Elementen kombiniere, etwa nächsten Mittwoch über die Freundschaft zwischen Johannes Brahms und Theodor Billroth (siehe im Anhang). (red)
Andrea Wiesli, Musikerin, Zürich
Andrea Wiesli, 1978 geboren, ist in Wilen aufgewachsen und lebt heute in Zürich. 1998-2001 absolvierte sie ein Klavierstudium mit Lehrdiplom bei Galina Vracheva und Yukio Oya. Von 2001-2004 studierte sie an der Zürcher Hochschule der Künste bei Konstantin Scherbakov und schloss mit dem Konzertdiplom ab. 1998-2005 studierte sie zudem Musikwissenschaft und Anglistik an der Universität Zürich und promovierte 2015 über die Schubert-Transkriptionen Franz Liszts.
Andrea Wiesli ist Mitglied des „Trio Fontane“. Sie erhielt 2004 und 2005 den Kiefer-Hablitzel-Preis und ist Stipendiatin zahlreicher Stiftungen (u.a. Schweizerische Interpreten-Stiftung, Richard Wagner Gesellschaft). Sie absolvierte zahlreiche Konzerte als Solistin u.a. mit der Südwestdeutschen Philharmonie, dem Philharmonischen Orchester Budwies und dem Collegium Musicum St.Gallen.
Den Förderbeitrag des Kantons Thurgau wird Andrea Wiesli für die Konzeption musikalischer Lesungen und die Erforschung und Erarbeitung eines Repertoires mit unbekannten Schweizer Komponisten verwenden. (Kulturamt)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Musik
- Kulturpolitik
Kommt vor in diesen Interessen
- Interview
- Kulturförderung
- Klassik
Ist Teil dieser Dossiers
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