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von Brigitta Hochuli, 22.09.2016

Culture sans Frontières

Culture sans Frontières
Bericht 2015 der Kulturstiftung des Kantons Thurgau - in Reisepassgrösse | © ho

Der Bericht 2015 der Kulturstiftung des Kantons Thurgau steht unter dem Titel „Culture sans frontières" und hat die Grösse eines Reisepasses. Im Jahr 2015 hat die Kulturstiftung Projekte mit 1'133'890 Franken unterstützt. Zur Verfügung stehen ihr jährlich 1,1 Millionen Franken aus dem Lotteriefonds.

Brigitta Hochuli

Die Kulturstiftung des Kantons Thurgau ergänzt gemäss Urkunde von 1991 die staatliche Kulturförderung. Sie bezweckt ausschliesslich die Förderung des zeitgenössischen Kulturschaffens und ist zuständig für Projektideen, die sich um neue Formen und Inhalte bemühen und die Kulturschaffende aus verschiedenen Bereichen zu einer gemeinsamen Arbeit zusammenführen. Dieses Bemühen kennzeichnet auch die Liste des Jahres 2015 mit insgesamt 131 unterstützten Projekten und Initiativen.

Da begegnen einem Bekannte oder Altbekanntes wie Hans Gysi, Othmar Eder, Zsuzsanna Gahse (mit 24'000 Fr.), Frédéric Bolli, Annette Kuhn (12'000 Fr.), Valentin Magaro, Giuseppe Spina (30'000 Fr.), Harm Lux (50'000 Fr.) oder die Bodman-Stiftung, tanz:now, zeitgarten.ch in Pfyn, das Pullup Orchestra, das Jazz-Festival generations und immer wieder die Kulturstiftung selber mit ihren Angeboten, etwa der Werkschau.

Für den kulturinteressierten Laien ist die Projektliste 2015 aber auch eine Fundgrube für noch nicht Wahrgenommenes - so mit grösseren Beträgen Luciano Fasciati mit der Ausstellung Video Arte im Palazzo Castelmur, Philippe Glatz mit Surfin'Safari, die Gubcompany mit Dating Mr. BadGuy oder die Theaterproduktion Blade Runner von Gabi Barnetta.

Lesenswertes Lesebuch

Die Projektliste ist knallorange aus dem passgrossen Jahresbericht herausziehbar - ein sehr attraktives Arrangement, auch wenn es dazu scharfe Augen braucht. Gestaltet haben es Susanna Entress und Urs Stuber. Die Lesetexte - unbebildert - stehen unter dem Titel „culture sans frontières". Im Editorial erklärt die Stiftungsbeauftragte Gioia Dal Molin, was die Kulturstiftung insbesondere in der Grenzsituation des Kantons damit meint: Diese bedinge eine erhöhte Sensibilität gegenüber Grenzen aller Art. Das heisse unter anderem, Künstlerinnen und Künstlern geografische Mobilität und Gedankenreisen zu ermöglichen, aber auch, kritische, auch unbequeme künstlerische Projekte zu unterstützen.

Das Lesebuch lebt von acht klugen Fragen der Stiftungsrätin und Journalistin Kathrin Zellweger. In grosser Arbeit hat sie die unterschiedlich anregenden Antworten von Künstlern und Stiftungsmitgliedern grösstenteils mündlich ermittelt und - eben - lesbar gemacht. Hier ein paar Beispiele:

Sind nationale Grenzen auch kulturelle Grenzen? - „Wenn wir den (kulturellen) Rest der Welt nicht an uns heranlassen, vergeben wir uns damit eine Chance. Die Chance uns bereichern zu lassen." (Severin Schwendener, Biologe und Autor)

Was ist schwieriger zu überwinden: die Grenzen in sich oder die Grenzen um sich? - „Für mich eine hypothetische Frage; denn beide Grenzen haben miteinander zu tun und beeinflussen einander." (Noam Szyfer, Musiker)

Wer was erreichen will, muss Grenzen überwinden! - „Der kreative Akt lässt sich als ein Vordringen in Neuland beschreiben. Insofern ist jede künstlerische Tätigkeit ein Überwinden von Grenzen." (Richard Tisserand, Künstler und Kurator)

Haben Grenzen mit Angst zu tun? - „Ja, ich denke, Grenzen haben meist mit Angst zu tun." (Bernadette Conrad, Kulturjournalistin und Autorin)

„Weder Herkunft noch Geschlecht setzen dem Genie Grenzen." (cit Charlotte Brontë) - „Spiegle ich das Zitat an der Realität des 21. Jahrhunderts, muss ich hinter die Umsetzung dieses Satzes ein Fragezeichen setzen. Das heisst jedoch nicht, dass ich mich diesen Grenzen beuge; ich bin ihnen nicht einfach ausgeliefert." (Heidi Schöni, Künstlerin und Dozentin)

Nichts in der Kunst ist mehr zu fürchten als Grenzen! - „Einspruch! Grenzen sind in der Kunst etwas Produktives." (Judit Villiger, Künstlerin und Dozentin)

Globalisiert und global vernetzt! Fallen damit Grenzen für Kunstschaffende? - „Globalisierung und Vernetzung sind toll. Dennoch bin ich froh, dass es Bereiche gibt mit Grenzen, hinter die ich mich zurückziehen kann in etwas Eigenes, Bekanntes, Sicheres." (Benjamin Lind, Musiker, Sozialpädagoge, Fotograf - Jahrgang 1990)

Welche Grenze stört mich, welche brauche ich? - „Fruchtbar sind die Grenzen meiner Möglichkeiten: Diesseits dieser Grenzen gibt es den Komfort von Kompetenz und Erfahrung, jenseits davon ein verlockendes Unbekanntes, das zu entdecken ist. Das ist Ansporn, Inspiration und Glück." (Claudia Rüegg, Präsidentin der Kulturstiftung)

***
Der Bericht 2015 kann im Büro der Kulturstiftung in Frauenfeld bezogen werden.

*
25 Jahre Kulturstiftung: Empathisch, visionär, solid


Bericht 2014: Ausstieg wider Verlangen

Bericht 2013: Lotterie trifft auf Seelennester

 

KOMMENTAR *

 

von Jürg Schoop・vor 6 Monaten

 

Manches ist halt nur philosophisches Geschwafel, das sich gut anhört. In der Wirklichkeit des Kulturlebens zählen die sehr realen Grenzen des Protektionismus.

 

 

* Seit März 2017 haben wir eine neue Kommentarfunktion. Die alten Kommentare aus DISQUS wurden manuell eingefügt. Bei Fragen dazu melden Sie sich bitte bei sarah.luehty@thurgaukultur.ch

 

www.kulturstiftung.ch

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