von Inka Grabowsky, 01.12.2016
Flotte Bienen, tolle Hechte
Eine Sonderausstellung im Naturmuseum Thurgau erklärt Vor- und Nachteile der geschlechtlichen Vermehrung.
Inka Grabowsky
„Vier Milliarden Jahre ging es ohne Männchen", stellt Museumsdirektor Hannes Geisser fest. „Erst vor 600 Millionen Jahren entstanden zwei Geschlechter – und damit neue Probleme." Zuvor vermehrten sich Einzeller durch Zellteilung. Es entstanden mehr oder weniger identische Kopien, nur durch gelegentliche Fehler veränderten sie sich. „Die geschlechtliche Vermehrung sorgt für mehr Vielfalt", so Geisser und verweist auf die ausgestellten Kuhfelle. Elterntiere, Kinder und Enkel haben nicht nur unterschiedliche Farben, sondern auch unterschiedliche Muster. Und diese Vielfalt entsteht nicht zufällig sondern gezielt, denn Tiere suchen sich ihre Partner nach eigenen Kriterien aus. „Prächtige Geweihe, bunte Muster, Vogelgesang: all das dient der Fortpflanzung. Doch die Tiere investieren noch weit mehr: Die Produktion von Eiern oder Föten bedeutet für die Weibchen einen grossen Aufwand – von der Aufzucht der Jungen ganz zu schweigen."
Schönheit im Auge und Ohr des Betrachters
Ein Paradiesvogel steht exemplarisch für die Mühe der Männchen, die alles tun, um sich attraktiv zu machen. „Wer mit so einem langen Schwanz überlebt, der muss wirklich fit sein", erklärt der Wissenschaftler. Die Balzgesänge der Vögel kann man sich über Kopfhörer zu Gemüte führen. Nicht alle sind melodisch. Der Feldschwirl hat vom Museumsdirektor wegen seines ausdauernden Gezwitschers den Spitznamen „Fliegender Tinnitus" bekommen. Die schillernde männliche Pfauenspinne beeindruckt nicht akustisch, sondern optisch: Das Männchen tanzt das Weibchen schwindelig. Ist sie beeindruckt, wird er nicht gefressen.
50 ausgestopfte Tiere
Zwei in einander verkeilte Hirsche stehen im Wortsinn im Mittelpunkt der Sonderausstellung. Sie illustrieren, wie gefährlich die Fortpflanzung für Tiere sein kann, denn ihr Kampf um die Hirschkühe des Harems endete tödlich. Sie verfingen sich erst ineinander und dann in einem Zaun, konnten sich nicht mehr lösen und mussten erschossen werden.
Ein spektakuläres Präparat zeigt den tragischen Kampf der Hirsche.
„Kein Tier wurde extra für die Ausstellung getötet", betont Hannes Geisser. „Sie sind verunfallt oder nach der Geburt gestorben – so wie das Elchkalb, an dem noch die Nabelschnur zu sehen ist." Fünfzig Präparate kann man bewundern, von der niedlichen Wildkatze bis zum kopulierenden Höckerschwan-Paar. Besonders spektakulär muten zwei ineinander verschlungene Tigerschlegel an. „Diese einheimischen Nachtschnecken sind Hermaphroditen und tauschen gegenseitig Spermienpakete aus, um jeweils ihre Eizellen zu befruchten."
Heimische Tigerschlegel tauschen Spermienpakete.
Gleich neben ihnen „schwimmen" in ihrem Schaukasten Clownfische, die ihr Geschlecht wechseln können. „Die Weibchen suchen sich gezielt kleine Männchen, um als Paar in einer Seeanemone Junge aufzuziehen. Wächst das Männchen, verweiblicht es. Es wird vertrieben, sucht sich seine eigene Anemone und dann ein kleines Männchen für die Familiengründung."
Absolut familientauglich
Die Ausstellung, die eine Leihgabe des Liechtensteinischen Landesmuseums ist, ist für die ganze Familie konzipiert. Die ausgestopften Tierkinder sorgen für den einen oder anderen „Jöh"-Effekt.
Dr. Hannes Geisser vor der Tierkindergalerie.
Zwar geht es im Nebenraum des Ausstellungssaals – diskret hinter einem Vorhang – um die tatsächliche Paarung (und der verklärt blickende Rammler bleibt im Gedächtnis), doch ein für menschliche Zweisamkeit geeignetes Sofa an der Stirnwand des Raums bleibt das einzige Augenzwinkern, das sich die Ausstellungsmacher in Frauenfeld erlauben.
Allein auf dem rotem Sofa: Museumsdirektor Hannes Geisser.
Das Rahmenprogramm sieht zwei Führungen extra für 6 – 9-Jährige vor (5. Februar und 12. März). Die Erwachsenen kommen bei einem Expertengespräch zur Zucht von Nutztieren am 14. Februar und bei einem Jazzabend mit Andrea Jost und Satie's Fraktion ((Link einfügen http://www.satiesfraktion.ch/satiesfraktion/presse.html - 1)) am 26. März auf ihre Kosten.
„Flotte Bienen, tolle Hechte" läuft vom 1. Dezember bis zum 26. März im Naturmuseum Thurgau in Frauenfeld.
Von Inka Grabowsky
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