Seite vorlesen

Ein Intendant und seine Thesen

Ein Intendant und seine Thesen
Immer wieder gut für Debatten: Der Konstanzer Theaterintendant Christoph Nix. In seiner zweiten Doktorarbeit hat er das Wirken seiner Intendantenkollegen unter die Lupe genommen | © Ilja Mess/Theater Konstanz

Das Theater und seine Macher sind weitgehend unpolitisch geworden. Das ist eine der Thesen, die der Konstanzer Intendant Christoph Nix in seinem Buch "Theater. Macht. Politik. Zur Situation des deutschsprachigen Theaters im 21. Jahrhundert" vertritt. Befragt hat er für seine Arbeit auch Intendanten aus der Schweiz. Sein Buch hat er jetzt offiziell vorgestellt.

Von Michael Lünstroth

Wie politisch ist das Theater des 21. Jahrhunderts noch? Eine Frage, die in den vergangenen Jahren in den verschiedenen Feuilletons immer mal wieder diskutiert wurde. Der Konstanzer Intendant Christoph Nix hat der Debatte jetzt neuen Stoff geliefert. Mit seiner zweiten Doktorarbeit "Theater.Macht.Politik" - den ersten Doktortitel hatte er sich als Jurist erworben - hat er eine detailreiche Analyse des aktuellen Status Quo vorgelegt, die es so bislang noch nicht gab. Seine theaterwissenschaftliche Untersuchung ergänzt eine empirische Befragung von Intendantenkollegen in der Schweiz, Österreich und Deutschland. Nix, inzwischen in seinem elften Jahr in Konstanz, wollte es genau wissen. 

Die Hauptthesen seines Buches lauten so. Erstens: "Die Rolle des Geldes im Theater, eine stärkere Ausbildung von Hierarchien zwischen grossen und kleinen Bühnen, zwischen Stadttheater- und Staatstheaterschauspielern führten zu einer grösseren Undurchlässigkeit von unten nach oben. Der Schauspieler als political player verlor an Einfluss, das Publikum wurde zu einem Marketingzweck." Zweitens: "Der 'Kulturangestellte neuen Typus' betritt die Bühne. Er steht in der Tradition einer gesellschaftlichen Gruppe, die nach Glanz, aber weniger nach Inhalt und Emanzipation strebt. Er ist in der Betriebswirtschaft zu Hause und nicht in der Literatur, dem Angestellten in Technik und Verwaltung steht er näher als der Kunst."

Die Arbeit enthält zahlreiche weitere, sehr deutlich formulierte Sätze. Und so freute man sich auf die als Podiumsdiskussion angekündigte Buchvorstellung am Dienstagabend auf der kleinen Werkstattbühne des Konstanzer Theaters. Die Steilvorlagen des Buchautors Nix versprachen einen durchaus munteren Abend. Das dachten offenbar mehrere Menschen, der Saal war mit fast 100 Besuchern ausverkauft. Statt grosser Kontroversen bescherte der Abend am Ende aber vor allem grosse Einigkeit auf dem Podium. Hinterfragt wurden die Ergebnisse von "Theater. Macht. Politik" nicht, es wurde eher ein Abend der Selbstbestätigung, in dem sich die Diskussionsteilnehmer beinahe gegenseitig darin übertrafen, wie schlimm es um das deutschsprachige Theater denn nun stehe. 

Der Diskussion fehlte jemand, der anderer Meinung war

Dass es so harmonisch zuging, lag natürlich an der Auswahl der Gäste. Harald Müller, Verlagsleiter bei "Theater der Zeit" und somit Verleger des Nix-Bandes, machte erst gar keinen Hehl aus seiner Befangenheit. In einem Atemzug lobte er sowohl die "fundamentale Erhebung", die Christoph Nix vorgelegt habe, als auch ihre 25-jährige Freundschaft. Auch Stephan Märki, Intendant Konzert Theater Bern und Präsident des Schweizerischen Bühnenverbandes, legte seine Sympathien für die Thesen des Konstanzer Kollegen offen: "Theater geraten immer stärker unter Rechtfertigungsdruck. Man muss immer mehr erklären, was unsere Aufgabe ist", warnte auch er vor Eingriffen in den Kunstbetrieb. Bei so viel Einigkeit der Diskutanten hatte der Moderator des Abends, Johannes Bruggaier, Leiter der Kulturredaktion des Südkurier, einen schweren Stand. Manchmal stellte er zu viele Fragen auf einmal, seinen klügeren Fragen wichen die Befragten oft galant aus und am Ende, so schien es, fügte er sich seinem Schicksal, dass eine handfeste Debatte an diesem Abend nicht mehr zu erreichen war. 

Dass es trotzdem unterhaltsam wurde, lag natürlich wieder einmal an Christoph Nix. Der oft als "streitbar" titulierte Intendant beherrscht das Bühnenspiel wie wohl nur wenige seiner Kollegen. Journalisten haben oft ihre Freude an ihm, weil er immer für einen Spruch gut ist. Auch das sollte sich an diesem Abend noch bewahrheiten, aber zunächst durfte der Autor einige Thesen seines Buches erläutern und seine Vision von Theater skizzieren: "Ich will den Himmel aufmachen und nicht im Kleinen verharren", sagte der 62-Jährige zum Beispiel. In den 1920er Jahren habe es sehr experimentelles und mutiges Theater gegeben, heute hingegen gebe es weniger "Widerständigkeit in der Ästhetik". Die Zeit der 68er sei einfach zu kurz gewesen, um all das wieder aufzubauen, was der Faschismus an Kultur zuvor zerstört hatte: "Damals haben sich Intendanten und Regisseure zu Tabus der Gesellschaft geäussert, heute passiert das kaum. Wir sehen, was in Aleppo geschieht und uns fällt nichts dazu ein - und den Anderen fällt noch ein bisschen weniger ein, als uns hier in Konstanz", kritisierte Nix. 

Warnung vor dem stromlinienförmigen Kulturmanager

Er warnte auch davor, Theater als Mittel zum Zweck zu betrachten. Die "stromlinienförmigen Managertypen", die nun Einzug hielten in die Kulturbetriebe könnten aber genau das forcieren, fürchtet Nix. Stephan Märki berichtete noch von früheren Kämpfen um das Theater in Weimar. Ende der 1990er Jahre war er dort Intendant und mehr als zehn Jahre lang kämpfte er gegen die Schliessung des Hauses - am Ende erfolgreich. Für ihn ist klar: "Kein Intendant kann es sich heute leisten, seine betriebswirtschaftlichen Geschäfte nicht im Griff zu haben. Da ist man schneller weg, als man denkt", so Märki. Seine Devise als Intendant: "Mit den vorhandenen Mitteln, das grösstmögliche künstlerische Risiko eingehen." Weitere Themen: Die Schauspielergagen fanden alle empörend gering und Harald Müller sah auch eine Verantwortung bei den Medien für den Bedeutungsverlust des Theaters. Schliesslich werde heute viel weniger berichtet als noch vor Jahren: "Die Süddeutsche Zeitung hat ihr Feuilleton von acht auf sechs Seiten täglich reduziert, das ist auch eine Form der Marginalisierung", so Müller. 

Erst in der Diskussionsrunde mit dem Publikum ging der Blick auf das Thema dann nochmal etwas weiter. Auf die Frage nach versuchten politischen Einflussnahmen auf seine Arbeit, erklärte Christoph Nix, dass die Formen der Zensur heute viel subtiler geworden seien. "Hier in Konstanz macht man das nicht direkt, sondern über das Budget des Theaters. In dem bestimmte Mittel zum Beispiel nicht genehmigt werden", so der Chef des Konstanzer Hauses. Zudem seien ihm seine kritischen Äusserungen über die Kommunalpolitik und sein Engagement für das Scala-Kino in den Haushaltsberatungen angelastet worden. "Immer wenn wir uns konkret zu Situationen vor Ort verhalten, dann wird es schwierig", klagte Nix.

Die Kulturpolitik im Land? Da ist nur Inhaltsleere überall, glaubt Nix

Seinen Ärger darüber verbarg er nicht. Was wohl auch daran lag, dass der Finanzausschuss der Stadt am selben Tag der Buchvorstellung beraten hatte und nicht alle Wünsche des Intendanten erfüllt hatte. Unter anderem muss Christoph Nix, die von ihm im Sommer erhöhten Mindestgagen für Schauspieler, nach diesem Votum weiter aus seinem Budget zahlen. Nix hatte darauf gehofft, dass die Stadt diese Kosten übernehmen werde. Und obwohl er eigentlich gar nicht so konkret werden wollte, wurde er es dann gegen Ende doch noch: "Ich habe in all den Jahren als Intendanten auch noch nie erlebt, dass ein Kulturdezernent gegen das Budget des Theaters stimmt. Genau das ist heute hier passiert und es zeigt, wie die politische Lage aktuell ist. Ich selbst habe es noch nie so eng erlebt wie in dieser Zeit. Seit drei, vier Jahren hat sich in der Stadt das politische Klima radikal verändert", schimpfte der 62-Jährige. Und fügte leicht resignierend an: "Ich habe es jahrelang versucht, aber inzwischen habe ich kaum noch Lust, mit diesen Leuten zusammenzuarbeiten."

Insgesamt sieht er in der Kulturpolitik eine grosse Inhaltsleere. Bei keiner Partei, bei keiner Gruppierung im Land sei da etwas erkennbar, kritisierte der Intendant. Trost erhielt Nix an diesem Abend aus den Reihen des Publikums. Die, die sich zu Wort meldeten, lobten den Mut des Intendanten und seine Bereitschaft, keinem notwendigen Konflikt aus dem Weg zu gehen: "Bleiben Sie bitte noch lange unbequem", sagte eine Studentin. Und als sich Jürgen Leipold (SPD) einer der erfahrensten Kommunalpolitiker der Stadt, inzwischen allerdings auf eigenen Wunsch ausgeschieden aus dem Gemeinderat, erhob, nahm der Abend wieder einen versöhnlichen Verlauf: "Christoph, manchmal erwartest du auch zuviel von der Kommunalpolitik. Ärgere Dich nicht darüber, was die Rathausspitze macht, sondern denke immer daran: Du hast das Publikum ganz sicher hinter Dir. Und das ist viel mehr Wert als jeder politische Zuspruch." Da wollte dann auch Christoph Nix nicht mehr widersprechen. 

 

Das Buch: "THEATER_MACHT_POLITIK. Zur Situation des deutschsprachigen Theaters im 21. Jahrhundert" von Christoph Nix ist im Verlag Theater der Zeit erschienen. Es ist im Buchhandel erhältlich. ISBN 978-3-95749-077-3. Preis: 24,40 Franken. Am 17. Februar 2017, 15 Uhr, stellt der Autor das Buch auch an der Universität Bern vor. Alle Informationen zu dem Termin gibt es hier 

 

 

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Bühne

Kommt vor in diesen Interessen

  • Schauspiel
  • Sachbuch

Werbung

Hinter den Kulissen von thurgaukultur.ch

Redaktionsleiter Michael Lünstroth spricht im Startist-Podcast von Stephan Militz über seine Arbeit bei thurgaukultur.ch und die Lage der Kultur im Thurgau. Jetzt reinhören!

Austauschtreffen igKultur Ost

Für eine starke Kulturstimme im Kanton Thurgau! Dienstag, 11. Juni 2024, 18.00 Uhr, Kult-X Kreuzlingen.

Literaturpreis «Das zweite Buch» 2024

Die Marianne und Curt Dienemann Stiftung Luzern schreibt zum siebten Mal den Dienemann-Literaturpreis für deutschsprachige Autorinnen und Autoren in der Schweiz aus. Eingabefrist: 30. April 2024

Atelierstipendium Belgrad 2025/2026

Bewerbungsdauer: 1.-30. April 2024 über die digitale Gesuchsplattform der Kulturstiftung Thurgau.

Ähnliche Beiträge

Bühne

Ist das die Schule der Zukunft?

Was, wenn man sich die Schule nach seinen eigenen Bedürfnissen auswählen könnte? Mit der Produktion „Better skills“ entwirft das momoll Jugendtheater ab 20. April ein spannendes Gedankenspiel. mehr

Bühne

Blond, aber nicht blöd

Am Ende gab es Standing ovations: „Sugar – Manche mögen’s heiss“ rief bei der Musical-Premiere auf der Zentrumsbühne in Bottighofen Begeisterung hervor. mehr

Bühne

Raus aus der Komfortzone

… rein in die bunte Vielfalt der „Kulturbühne 2024“: Die Wiler Kulturtage stehen vor der Tür, mit Veranstaltungen aus allen möglichen Sparten sowie Aktionen, offenen Ateliers und Proben. mehr