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Das Wortmützen-Massaker

Das Wortmützen-Massaker
Irre komisch, verrückt absurd: Ulan & Bator spielten ihr aktuelles Programm "Irreparablen" im Kreuzlinger Theater an der Grenze | © Michael Lünstroth

Alberner Spass und köstliche Gesellschaftssatire in einem - dem Kabarett-Duo Ulan & Bator gelingt bei seinem Auftritt im Kreuzlinger Theater an der Grenze ein kleines Wunder.

Von Michael Lünstroth

Als die letzten Gäste an diesem Freitagabend in das kleine Kreuzlinger Theater an der Grenze kommen, ist die Bühne schon belegt. Zwei Männer in grauen Anzügen sitzen dort auf zwei einfachen Holzstühlen. Schwarze Krawatte. Erwartungsvoller Blick. Es sind die Hauptdarsteller des Abends - die Kabarettisten Frank Smilgies und Sebastian Rüger, besser bekannt unter ihrem Duonamen Ulan & Bator. Mit ihren Figuren haben sie schon etliche Preise der Branche abgeräumt. Unter anderem das Passauer Scharfrichterbeil, den Deutschen Kleinkunstpreis und den Deutschen Kabarettpreis. Sie beginnen jeden Abend so. Einfach auf der Bühne sitzen, das Publikum spiegeln und so tun als seien sie selbst das Publikum und das Publikum die eigentliche Attraktion an diesem Abend. Das war schon bei ihrem ersten Programm "Wirrklichkeiten" so, es ist auch nun bei "Irreparablen" so. 

Aftershow-Interview: So erlebten Ulan & Bator ihren Auftritt 


Die Show beginnt, übrigens vor ausverkauftem Haus, in dem Moment, in dem die beiden in ihren Hosentaschen jeweils eine, man muss das so sagen, ziemlich bescheuert aussehnde, Woll-Bommelmütze entdecken. Sie setzen sie auf, und los geht es. Das ist jedes Mal aufs Neue die Geburt dieses verrückten Gebildes namens Ulan & Bator. Was in den nächsten rund zwei Stunden folgen wird, ist absurd, schräg, irre komisch und vor allem - grosse Kunst. Bei Smilgies und Rüger ist alles ein bisschen anders. Das macht schon der Anfang klar und in dem Stil geht es weiter. Es gibt eigentlich keine abgeschlossenen Nummern. Eins geht ins andere über, manches ergibt sich aus dem anderen, anderes wiederum hat so gar nichts mit dem zu tun, was zuvor passierte. Ulan & Bator, das ist in erster Linie ein ziemlich wilder Ritt durch die Absurditäten des Alltags.

Die Mützenfindung: Vor der Verwandlung zu Ulan & Bator.  

Nach der Ulan-und-Bator-Werdung: Die Geister sind geweckt.

Die Szenen spielen in einem Raucherabteil, einem Sockengeschäft, einer Radiostation und am Ratgeber-Telefon für Liebeskranke. Nacherzählen der einzelnen Nummern ergibt aber wenig Sinn, weil sich der Ulan-und-Bator-Humor so nicht erschliesst. Er entsteht aus den Momenten, aus dem grossen schauspielerischen Talent von Rüger und Smilgies, aus ihren Blicken und Gesten nicht zuletzt aus dem Tempo, das die beiden vorgeben. Die Show ist zudem extrem gut choreographiert. Der Rhythmus zwischen kürzeren und längeren Nummern, leichteren und schlaueren Szenen ist ausgeklügelt und hat fast schon seine eigene Musikalität. 

Das Erstaunliche ist - die beiden halten den Rhythmus den gesamten Abend, das gesamte zweistündige Programm hat nicht eine auch nur ansatzweise mässige Nummer. Unter den vielen herausragenden und wahnsinnig lustigen Szenen muss man vielleicht drei heraus heben.

Die erschütternde Schnick-Schnack-Schnuck-Krise

 

Nummer Eins: Der minutenlange Dialog aus abgedroschenen Krimi- und Actionfilmzitaten offenbart die ganze inhaltliche Leere dieser Genres auf so unnachahmliche Weise, das man sich zwischen Staunen und Lachen kaum entscheiden kann. Nummer Zwei: Die Regierungserklärung zur so genannten Schnick-Schnack-Schnuck-Krise. Die Umbenennung des beliebten Kinderspiels "Schere, Stein, Papier" in eben Schnick-Schnack-Schnuck mit der Erfindung weiterer Elemente wie dem Brunnen und dem Streichholz löst eine Staatskrise aus, die eine Regierungserklärung notwendig machen. Eigentlich absurd, aber die Worte, die das Duo hier findet ("Angriff auf unseren Wertekanon", "Dort wo nötig, wird es Umerziehungslager geben", usw.) machen deutlich, dass es hier nicht nur um einen albernen Spass, sondern auch um eine kritische Bestandsaufnahme der Gegenwart geht. Und Nummer Drei schliesslich: Natürlich das Kammerkonzert mit zwei Stühlen. Vorher war es kaum vorstellbar, wie viele verschiedene Töne zwei Menschen mit zwei Stühlen auf einem einfachen Bühnenboden schaffen können. Wie Ulan & Bator zeitgenössische Klassikmusik hier einerseits karikieren, andererseits aber auch künstlerisch auf die Spitze treiben, das hat wirklich grosse Klasse. 

Sophokles, Schiller und herrlicher Wortwitz

Neben dem köstlichen Wortwitz, den kleinen Ausflügen zu Schiller und Sophokles sowie etlichen Lachkrämpfen ist dies hier die vielleicht grösste Leistung des Programms: Ulan & Bator sezieren die moderne kommerzialisierte Gesellschaft, ohne dass sie auf aktuelle Aufregerthemen wie Trump oder Erdogan gross Bezug nehmen müssten. Die Art und Weise wie sie unsere Welt und unsere verwahrloste Kommunikation dekonstruieren und ad absurdum führen, steht für das Ganze. Dazu braucht es weder name dropping noch aktuelle Aufhänger. Ulan & Bator zeigen, dass unsere Gesellschaft schon vor den modernen Tyrannen ziemlich deformiert war. Das mag keine beruhigende Analyse sein, ziemlich treffend ist sie dennoch.

Ach und wie war das jetzt noch mal mit den Wollmützen? "Das ist entstanden, weil wir Figuren schaffen wollten, bei denen wir uns total austoben können", erzählt Sebastian Rüger nach der Show im Gespräch mit thurgaukultur.ch "Die Mützen sind für uns so eine Art Clownsnase", ergänzt er noch. Und sein Kollege Frank Smilgies meint: "Ein Auftritt wäre auch ohne Mützen möglich, aber dann wären es nicht Ulan & Bator". 

Ulan & Bator sehen: Videolinks zu ihren Auftritten

Auf der Freiburger Kulturbörse 2017


Von einem Auftritt 2013

 

 Beitrag aus der 3sat-Sendung "Kulturzeit" über das Duo


 

Mehr lachen: Das Festival Kabarett in Kreuzlingen geht weiter am Donnerstag, 9. März, mit Dani Ziegler. Das komplette Programm des Festivals gibt es hier. Kartenreservierungen direkt über die Internetseite des Veranstalters möglich: http://kik-kreuzlingen.ch 

 

 

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