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von Daniel Badraun, 13.03.2017

Ein abwesender Hauptdarsteller

Ein abwesender Hauptdarsteller
Telefongespräch mit Pilar. Weiss sie, wo Alex ist? Szene aus dem Stück "Wo ist A?" des Theater Bilitz | © Theater Bilitz

Wie findet man seine eigene Meinung? Wie lernt man eigenständiges Denken? Und woran im Leben kann man sich orientieren? Das neue Jugendstück "Wo ist A?" des Theater Bilitz wirft viele Fragen auf. Und gibt auch ein paar Antworten. 

Von Daniel Badraun

Die Geschichte dreht sich um den siebzehnjährigen Alex. Er ist nicht zufrieden mit seiner Lehrstelle. Lieber wäre er Meeresbiologe geworden, doch seine Leistungen in der Schule genügten nicht. Herr Kellerhans, der alleinerziehende Vater, hat genaue Vorstellungen, wie der Weg seiner Kinder aussehen soll. „Ich will doch das Beste für sie." Die Beziehung seines Sohnes zu Pilar, der Tochter einer spanischen Gastarbeiterfamilie, missfällt ihm. „Es ist nicht gut, wenn sich die Kulturen mischen." Seit Alex mit Pilar zusammen ist, hat er sich verändert, er vernachlässigt das Training im Schwimmclub und hat mit Rauchen begonnen. Auch die Schwester Steffi hat den Draht zum Bruder verloren, er spricht nicht mehr mit ihr und schliesst sich im Zimmer ein. Und dann ist Alex plötzlich weg.

Was ist geschehen?

Hier setzt das Stück ein. Steffi, Pilar und Herr Kellerhans erzählen wild durcheinander, was aus ihrer Sicht passiert ist. Alex ist verschwunden. Ohne sich zu verabschieden. Ohne eine schriftliche Nachricht zurückzulassen. Ohne SMS. An diesem Morgen war alles hektischer. Die Schale mit den Cornflakes fiel zu Boden, es gab eine Riesensauerei. Geschrei. „Ich hatte ein merkwürdiges Gefühl", sagt Steffi. Nach einem Streit mit dem Vater und mit Pilar verschwand der Jugendliche und wurde unsichtbar. Die Polizei spricht mit allen Beteiligten. Das Wort „Selbstgefährdung" schwebt im Raum. Weil der Pass fehlt, rechnen die Beamten nicht mit dem Schlimmsten. Als es endlich gelingt, den Laptop von Alex zu knacken, finden Steffi und Herr Kellerhans eine heisse Spur, die nach Spanien führt. Mit wummernden Beats und aggressiven Gitarrenriffs schüttelt die Musik von Daniel Schneider die Zuschauer immer wieder durch. Die Bühne ist mit fünf Stellwänden auf Rädern bestückt, die eine weisse und eine dunkle Seite haben und je nach Bedarf verschoben oder umgedreht werden können. So entstehen immer wieder neue Räume, die bespielt werden können.

Drei Menschen, drei Versionen: Die Erinnerungen an Alex sind bei Vater, Schwester und Freundin sehr verschieden. Bild: Theater Bilitz

Christina Benz als Schwester Steffi, Sonia Diaz als Freundin Pilar und Roland Lötscher als Vater Kellerhans spielen ihre Figuren mit grossem Engagement und Präzision. Jeder Blick hat seine Bedeutung. Die Hektik, die nach dem Verschwinden des Jugendlichen aufkommt, hat nichts Zufälliges. „Diese Freundin, die Pina", sagt Herr Kellerhans, „die weiss doch etwas." „Ich heisse Pilar", sagt das Mädchen. „Seit Alex mit ihr zusammen ist", erklärt Steffi, „spinnt er." Ein Vater, der immer Recht hat, eine Schwester, die ihre eigene Position in der Familie finden will, eine Freundin, die mit den Schuldgefühlen zurechtkommen muss. In diesem spannungsgeladenen Dreieck entwickelt sich eine Geschichte, in der für die Beteiligten nichts bleibt, wie es einmal war. Vater Kellerhans wird weicher, Steffi lernt, zu einer eigenständigen Meinung zu stehen und Pilar findet einen Weg, der Familie ihres Freundes ihre Kultur näher zu bringen. Als dann der Vater versucht, Spanisch zu lernen und bei der Familie von Pilar zum Essen eingeladen wird, löst sich die Schwere auf, für einen magischen Moment beginnt alles zu schweben.

Ein Stück aus der eigenen Feder

„Zuerst waren da die drei Protagonisten", erzählt Roland Lötscher, der für die Produktion verantwortlich ist, „ausserdem die Frage, wie es für Jugendliche ist, in der heutigen Gesellschaft erwachsen zu werden, einen Weg ins Leben zu finden und sich eine eigenständige Meinung zu bilden." Eine Liebe, die nicht sein darf, ein unterschwelliger Hass auf alles Fremde, das sind weitere Elemente, die im Stück mitspielen. „Wir wollen zeigen, wie Jugendliche zu einer eigenen Haltung kommen. Sollen sie die Umstände einfach hinnehmen oder sich dagegen auflehnen?", sagt Lötscher, In acht intensiven Probewochen entwickelten Benz, Diaz und Lötscher die Geschichte rund um den verschwundenen Alex, dies unter der Leitung der Regisseurin Agnes Caduff. Immer neue Möglichkeiten wurden entworfen und durchgespielt.

Die Dramaturgin Sysy Vieli nahm die Szenen auf, tippte sie auf dem Heimweg und brachte den Text am nächsten Tag in die Probe mit. Schliesslich wurden die einzelnen Teile zu einem Stück zusammengesetzt. Bis kurz vor der Premiere wurde noch am Schluss gefeilt, mit dem Resultat ist Lötscher sehr zufrieden.

Termin: Das Stück "Wo ist A?" ist am Mittwoch 15. März, 20.15 Uhr, nochmal im Theaterhaus Thurgau in Weinfelden zu sehen.

Video: Art-TV.ch hat einen Beitrag zum Stück gedreht

 

www.bilitz.ch

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