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Auf die Barrikaden?

Auf die Barrikaden?
Es ist Zeit zu protestieren: Die neuesten Zahlen zu den Einkommen von Künstlerinnen und Künstlern sind ein Skandal, findet Michael Lünstroth, Redaktionsleiter bei thurgaukultur.ch | © Thurgaukultur

Die neue Entwicklung in Sachen Out in the Green Garden in Frauenfeld zeigt - Protest kann wirken. Aber wie? Auf Spurensuche nach einer manchmal zu modischen Geisteshaltung

Von Michael Lünstroth

Reden wir heute mal über: Protest. Ganze 288 Millionen Treffer erzielt der Begriff bei einer einfachen Google-Suche. Damit liegt er noch vor der "Liebe" (252 Millionen Treffer), aber eben auch meilenweit hinter "Sex" (3,2 Milliarden Treffer). Drei Zahlen, die vielleicht mehr über das Internet und seine Nutzer sagen als sehr viele, sehr dicke Bücher. Aber gut. Anderes Thema.  In seiner unnachahmlichen Weise erklärt der Duden uns erstmal, was Protest eigentlich ist: eine "meist spontane und temperamentvolle Bekundung des Missfallens, der Ablehnung".  Ja, da können wohl von den Trojanern in ihrem Pferd bis zur "Blockupy"-Bewegung alle mitgehen. Wie erfolgreich Protest sein kann, hängt massgeblich von drei Dingen ab: a) wer macht mit? b) wie viele machen mit und c) wie viel Durchhaltevermögen haben die Protestierenden?

Ein gelungenes Protestbeispiel der jüngeren Vergangenheit ist sicher der Kampf um das Frauenfelder Festival Out in the green garden (OITGG). Nach den Querelen um die Absage für dieses Jahr haben die Organisatoren ihre Reihen geschlossen und ihren Unmut über städtische Auflagen klar formuliert. Und siehe da - auch dieser, alles in allem sehr gesittete, Protest erzielte eine Wirkung. In der Beantwortung einer Interpellation hat sich der Stadtrat nun sehr positiv über die Zusammenarbeit mit dem OITGG geäussert. Eine der zenralen Aussagen lautet: Frauenfeld soll nicht zur Schlafstadt werden. Um das zu erreichen soll es auch künftig, "im öffentlichen Raum weiterhin Platz für die unterschiedlichsten Veranstaltungen" geben. In Konflikt- beziehungsweise Abwägungsfällen wolle man sich auch nicht "von Faktoren wie „bessere Anwälte" und „lauteres Brüllen" beeinflussen lassen. Damit ist nun noch nicht gesagt, dass das OITGG auf jeden Fall 2018 stattfindet. Aber ohne den Protest der jungen Kulturschaffenden hätte sich die Politik wohl niemals so klar bekannt. 

Ein geschlossener Kreislauf kann ein übles Gefängnis sein

Nicht jede Begegnung zwischen Mensch und Verwaltung muss so freundlich verlaufen. Protest hin oder her: Bisweilen kann man sich als Einzelner gegenüber einem System auch ziemlich verloren fühlen. Muss man nur mal Josef K. fragen. Entweder bleiben gleich alle Türen verschlossen oder man läuft wie in einem Labyrinth umher und kommt doch nur immer wieder an seinen Ausgangspunkt zurück, aber nie ans Ziel. Ein geschlossener Kreislauf kann ein ziemlich übles Gefängnis sein. Und damit wären wir auch schon bei den Dingen, die in dieser Woche noch wichtig werden. Das Künstler-Duo Bildstein | Glatz konstruiert seit einigen Wochen in der Kartause Ittingen einen solchen Kreislauf. Bis zu 15 Meter soll "das Gebilde zwischen Bauexperiment und Gedankengebäude, zwischen Konsumkritik und Spektakel, Verheissung und Verweigerung" werden, so die Ankündigung. Zwei Looping-Bahnen schlingen sich in einer atemberaubenden Holzkonstruktion unendlich ineinander und sollen so zur Metapher für die Bewegung in Richtung Unendlichkeit werden. Uiuiuiui, da hat aber jemand grosse Ambitionen. 

Das mit sehr vielen, sehr grossen, sehr wichtigen Gedanken beladene Projekt des Kunstmuseums wird offiziell am kommenden Sonntag, 21. Mai, der Öffentlichkeit vorgestellt. Wer sich nur ein bisschen für zeitgenössische Kunst interessiert, sollte das nicht verpassen. Es ist wahrscheinlich eines der grössten Kunstprojekte im Kanton der vergangenen Jahre. Passenderweise ist an jenem 21. Mai auch noch der Internationale Musuemstag. Das Motto in diesem Jahr: "Mut zur Verantwortung!" Dabei will man sich mit sensiblen Fragen beschäftigen. Wie diesen hier: Darf man Elfenbein im Museum ausstellen, während weltweit Nashörner und Elefanten vom Aussterben bedroht sind? Ist es korrekt, Kunstwerke auszustellen, deren Herkunft man nicht kennt? Und menschliche Überreste, gehören die ins Museum? Interessante Fragen, am Ende des Tages wird sich zeigen, ob es darauf auch ein paar Antworten gibt. Falls nicht, können wir uns ja immer noch empören und auf die Barrikaden gehen. Oder auch nicht.

 

 

 

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