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von Inka Grabowsky, 29.05.2017

Das nicht so dunkle Mittelalter

Das nicht so dunkle Mittelalter
Hielt den Eröffnungsvortrag: die Historikerin Gudrun Schnekenburger | © Inka Grabowsky

Im Kreuzlinger Museum Rosenegg ergänzt eine kleine Sonderausstellung zum Alltag der Frauen die Schau zum ländlichen Leben im späten Mittelalter. Besucher können einige Vorurteile revidieren.

Von Inka Grabowsky

„Die Gesellschaft im Mittelalter war offener als wir uns vorstellen", sagte die Historikerin Gudrun Schnekenburger in ihrem Eröffnungsvortrag, der sich speziell mit den Frauen beim Konstanzer Konzil beschäftigte. „In der Zeit des Konzils waren rund ein Drittel aller Steuerzahler in Konstanz Frauen. Witwen zum Beispiel waren voll geschäftsfähig. Erst die Reformation bremste sie wieder aus."

Beim Konzil im Hintergrund

Trotzdem sei das Konzil unstrittig eine Männerveranstaltung gewesen. Frauen waren Zaungäste, dekoratives Beiwerk oder nützliche Helfer. „Jeder Handwerksmeister und Kaufmann brauchte eine Hausfrau im Hintergrund, die vorausschauend wirtschaften konnte und durchaus eine eigene Autorität hatte", erzählt die Wissenschaftlerin. Natürlich habe es auch einfache Frauen gegeben, die für ein paar Pfennige einen Rücken voll Heu in die Stadt gebracht hätten, andere aber hätten gut verdient – als Zimmerwirtin oder Händlerin. Nur zwei Frauen spielten beim Konzil eine etwas grössere Rolle. „Und eine davon war schon über vierzig Jahre tot", so Schnekenburger. Die Bestätigung der Heiligsprechung von Birgitta von Schweden war insbesondere den Gesandten aus Skandinavien ein grosses Anliegen. „Birgitta war hochgebildet, sehr einflussreich und entsprechend selbstsicher ", erklärt die Expertin. „Ihre Wirkung war damals schon unumstritten. Lediglich die Verwirrung um die vielen Päpste sorgte dafür, dass ihr Fall noch einmal verhandelt werden musste." Tatsächlich körperlich anwesend war Barbara von Cilli, die Frau des Initiators des Konzils, König Sigismund. „Barbara hat mit Sigismund wirklich als Team regiert. Sie war machtbewusst und hat mehrfach die Schulden ihres Mannes übernommen, weil sie besser mit Geld umgehen konnte." Beim Konzil sei sie aber nicht über das Damenprogramm hinausgekommen.

Zutaten zum Bierbrauen, bevor man sich auf der Konservierungsstoff Hopfen beschränkte. Auch dies zeigt die neue Sonderausstellung im Museum Rosenegg. Bild: Inka Grabowsky

 

In einer Zeit, in der Ehen aus wirtschaftlichen oder hierarchischen Gründen eingegangen wurden, hatte die eheliche Treue keinen grossen Stellenwert. Männer hatten selbstverständlich Geliebte. Frauen dürften sich ebenfalls schadlos gehalten haben, allerdings waren sie wohl erheblich diskreter, denn bei ihnen wurde Ehebruch als Verbrechen geahndet. Zu den möglichen Strafen gehörte die öffentliche Blossstellung: Ehebrecherinnen mussten die Kleidung von Prostituierten anlegen – In Zürich und Bern zum Beispiel eine rote Kappe. „Prostituierte standen aber nicht immer ausserhalb der Gesellschaft", sagt dazu Gudrun Schnekenburger. „Es wurde allgemein anerkannt, dass ihre Dienstleistung zu bezahlen war. Die Frauen konnten ihren Lohn einklagen – und nachdem der Stadtrat oft genug darüber zu Gericht gesessen hatte, beschloss man, städtische ‚Frauenhäuser' einzurichten, in denen die Prostituierten wohnten und arbeiteten. Das war sowohl für die Dirnen wie auch für die Freier eine vergleichsweise sichere Umgebung." Ulrich von Richental erwähnt in seiner Konzil-Chronik 700 offizielle Prostituierte, die heimlichen Hübschlerinnen mochte er nicht zählen. Die Dienste müssen also gefragt gewesen sein. Erst in der Endphase des Mittelaltes, ab 1460, muss sich die Einstellung geändert haben. Prostituierte waren nun Sündenböcke. Ihr liederlicher Lebenswandel habe die Pest als Strafe Gottes heraufbeschworen, hiess es.

Ausstellung mit viel Lesestoff

Das Museum Rosenegg hat zur Ergänzung der bestehenden Ausstellung auf eine Wanderausstellung der deutschen Kunsthistorikerin Alice Selinger zurückgegriffen. Auf Texttafeln werden die unterschiedlichsten Aspekte des Lebens von Frauen in Stadt, Land und Kloster erklärt. Anschauungsmaterial in Vitrinen illustriert Themen wie Bierbrauen, Fellgerben, Federn schleissen oder Buttern. Die Arbeit im Kloster zeigt ein Faksimile des Graduales des Nonnenklosters St. Katharinental  aus dem eigenen Bestand des Museums. Man geht davon aus, dass wenigstens die Noten des mittelalterlichen Gesangbuchs von den Frauen selbst geschrieben wurden. „An der Illustration waren aber vielleicht auch Männer beteiligt", sagt die Museumsleiterin Heidi Hofstetter. „Die Ausstellung gab uns den willkommenen Anlass, das Buch aus dem Depot zu holen und würdig zu präsentieren."

Termine:

Die Ausstellung im Museum Rosenegg ist noch bis 25. Juni zu sehen.

Öffnungszeiten:
Mittwoch 17 bis 19 Uhr
Freitag 14 bis 17 Uhr
Sonntag 14 bis 17 Uhr

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