von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 12.06.2017
Unter freiem Himmel
Es wird Sommer, alles drängt nach draussen. Die Freiluft-Saison beginnt. Über ein Veranstaltungsformat, das sehr beliebt ist. Und es gerade trotzdem so schwer hat, wie noch nie. Die Frage ist nur - warum eigentlich?
Seit dem vergangenen Wochenende ist es offiziell: Jetzt kommt er wieder, dieser Sommer. Und mit ihm kommen unzählige Open-Air-Festivals und Freiluftveranstaltungen. Der Boom hält seit Jahren an, kaum eine Veranstaltungsart ist so beliebt wie künstlerische Darbietungen (welcher Art auch immer) unter freiem Himmel. Dabei ist es eigentlich gar nicht so furchtbar originell, Konzerte unter freiem Himmel zu spielen. Schon im ausgehenden 17. Jahrhundert entstanden in England die ersten so genannten „Pleasure Gardens". Hier konnte man verweilen, flanieren, flirten oder wenn einem der Sinn mehr nach körperlicher Betätigung stand, auch Fehden mit dem Florett ausfechten. Einer der ersten dieser Lustgärten war Vauxhall Gardens am Südufer der Themse in Kennington, etwa gegenüber der heutigen Tate Gallery. Die Musik war am Anfang nur Beiwerk im grossen Freizeittreiben, neben Artistik, Feuerwerk und Ballonspektakeln. Sie wurde aber immer wichtiger. Davon zeugt in jenen Vauxhall Gardens beispielsweise heute noch eine lebensgrosse Statue von Georg Friedrich Händel. Die Aufführungen wurden über die Jahre grösser, pompöser und professioneller und diese Mischung aus Kultur- und Naturerleben bereitete den Menschen offenbar Freude.
Das egalitäre Moment des Draussen-Seins
Und so ist es ja auch noch heute. Schöne Laute in schöner Umgebung zu hören, macht irgendwas mit den Menschen. Dass das so ist, ist ganz einfach zu erkennen: Man muss nur mal die Zahl der fröhlichen Gesichter bei einem Freiluftkonzert mit der Zahl der fröhlichen Gesichter bei einem Saalkonzert vergleichen und schon wird einem der Unterschied bewusst. Warum das so ist, wäre damit allerdings noch nicht beantwortet. Der Wind im Haar, die Sonne im Gesicht, das Gras unter den Füßen, all diese Dinge machen viele Menschen anscheinend weicher und netter. Selbst aggressive Mückenschwärme am Abend oder Wolkenbrüche zwischen den Sätzen können das Erlebnis oft nicht trüben. Zumindest hat man dann wieder etwas zu erzählen. In gewisser Weise hatten Freiluftkonzerte so auch immer ein egalitäres Moment. Menschen mit ganz verschiedenen Hintergründen und Geschichten kommen zusammen, teilen ein Erlebnis und fühlen sich danach irgendwie verbunden.
Um so trauriger ist, dass solche Draussen-Veranstaltungen trotz ihrer Beliebtheit, immer schwieriger zu realisieren sind. Irgendwo findet sich noch immer ein Anwohner, dem alles, was über das Summen der Bienchen hinausgeht, zu laut ist. Die Beschwerdelust und Not-in-my-backyard-Haltung ist längst ein Symptom unserer Zeit. Man muss nur mal bei Google die Stichworte "Open-Air-Veranstaltungen" und "Beschwerden" gemeinsam eingeben. Kaum eine Region, ob in der Schweiz, Österreich oder Deutschland, die sich nicht mit der Anspruchshaltung von Interessengruppen auseinandersetzen muss. Im vergangenen Januar war es die Debatte um das Frauenfelder Out in the green garden, in St. Gallen gibt es gerade eine ziemlich ähnliche Diskussion um das Weihern Open Air. Da bleibt einem nur eines: So oft zu solchen Veranstaltungen gehen, so lange es sie noch gibt (hier ein paar Vorschläge). Und überall dafür zu werben, dass das öffentliche Leben nicht zu Tode reglementiert wird.
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