von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 27.07.2017
Der 1. August - feiern oder nicht?
Zum Bundesfeier kommen die Dinge der Woche als Spezialausgabe. Wir haben Thurgauer Künstlerinnen und Künstler gefragt, was ihnen der 1. August heute noch bedeutet. Und spannende Antworten darauf bekommen
Vor 126 Jahren wurde der 1. August zum ersten Mal gefeiert, damals noch nur in Bern, erst acht Jahre später, also ab 1899, wurde der Tag schweizweit begangen, wenn auch je nach Kanton durchaus unterschiedlich. Es ist wie so oft mit verordneten Feiertagen - man weiss nicht so genau, wie man sich dazu verhalten soll. Hat der Tag heute noch eine Bedeutung? Interessiert er uns noch oder ist er nurmehr eine gute Gelegenheit, um günstig in Deutschland einkaufen zu fahren? Wir wollten es genauer wissen und haben Thurgauer Künstlerinnen und Künstler gefragt: Sagt, wie haltet ihr es mit dem 1. August? Das sind ihre Antworten.
Rahel Müller, Künstlerin aus Pfyn: "Der Tag hatte für mich schon immer die Bedeutung, dass es mir zu sehr stinkt, zu sehr kracht und dass ich darum wenn immer möglich ins Ausland geflüchtet bin. Die Symbolik an sich finde ich nicht falsch, und die Höhenfeuer - die ich tatsächlich auch schon mehrmals erlebte - sind etwas ganz Besonderes und Beglückendes. Dass Menschen zusammenkommen und feiern finde ich grundsätzlich auch wichtig und hilfreich. Letztlich ist es so: Der Tag hat die Bedeutung, die man ihm gibt. Dass gerade überall unsere Rechte beschnitten werden und es immer enger wird, sollte einem auffallen, ob man den 1. August stark feiert oder nicht."
Thomas Götz, Kabarettist und Schauspieler, aus Weinfelden: "Meine Cousine, die in Kanada lebt, erzählte mir, dass sie vor einigen Jahren Haus und Garten am 1. August mit Schweizerfahnen dekoriert hat. Die Passanten reagierten darauf mit der Frage, ob bei ihr im Haus eine Blutspende-Aktion stattfinde. Ja, weisses Kreuz auf rotem Grund und rotes Kreuz auf weissem Grund sind zweierlei. Beides sollte humanitäre Verpflichtung sein."
Peter Stamm, Schriftsteller, erreichen wir kurz vor den Ferien, "Zur Schweiz fällt mir gerade nicht viel ein, aber ich hänge Ihnen mal die 1. August-Rede an, die ich 2006 in Winterthur gehalten habe", schreibt er. Darin heisst es unter anderem: "Ich weiss noch, wie ich vor vielleicht zehn Jahren die Winterthurer Nationalfeier besuchte. An die Rede erinnere ich mich nicht mehr, aber ich weiss noch, dass ich unsicher war, ob ich bei der Nationalhymne aufstehen sollte oder nicht. Der Text der Hymne ist mir fremd, eigentlich ist sie eher ein Kirchenlied als eine Nationalhymne, und die Melodie ist auch nicht gerade mitreissend. Schliesslich – mit etwas Verspätung – stand ich doch auf. Denn auch die 1. August Feier ist das, was wir aus ihr machen. Sie gehört nicht den Konservativen, und schon gar nicht den Neonazis, die wohl auch heute wieder auf dem Rütli aufmarschieren. Ich stand damals nicht auf für Gott oder für das Morgenrot oder für das hehre Vaterland, nicht für siebenhundert oder hundertfünfzig Jahre Geschichte. Ich stand auf für meine moderne und weltoffene Schweiz, für mein Land, für das ich mich verantwortlich fühle wie für meine Kinder."
Richard Tisserand, Künstler, aus Kreuzlingen: "Ich bin am 1. August meistens in Frankreich in den Ferien. Ein nationales „Gefühl“ wie es am 14. Juli die Franzosen haben, kenne ich deswegen nicht so ausgeprägt. Ausser ich erinnere mich an die Weltausstellung 1992 in Sevilla wo der Künstler Ben mit seinem. „la Suisse n’existe pas“ (siehe Bild unten) ein starkes nationales Bewusstsein weckte."
Florian Rexer, Regisseur und Schauspieler, aus Romanshorn: "Das ist wie Weihnachten irgendwie. Seit ich in der Schweiz lebe durfte ich diesen besonderen Tag in verschiedensten Formen erleben aber stets als gemütliches Zusammensein mit wertvollen Menschen. Es sind weniger Nationalgefühle als Gefühle der menschlichen Verbundenheit. Ein Innehalten in stürmischen Zeiten. Und natürlich ein Tag an dem es besonders gut schmeckt. Also ein wichtiger Feiertag. Wir sollten wieder mehr Zeit zum Feiern und bewussten Zusammensein pflegen."
Christoph Rütimann, Künstler aus Müllheim: "Am 1. August müssen wir uns um unseren Hund kümmern. Du siehst ich finde den 1. August also „tierisch" nicht gut. Meist fliehen wir über die Grenze…"
Jan Rutishauser, Kabarettist aus Güttingen: "Der erste August ist für mich ein Tag, an dem ich die Gelegenheit nutze, wieder einmal darüber nachzudenken, wie glücklich wir uns doch schätzen dürfen, in der Schweiz zu leben. Keine Kriege, keine Hungersnöte, keine Epidemien. Ein Dach über dem Kopf und im Winter eine funktionierende Heizung. Saubere Seen, schöne Wälder und dann auch noch Raclette! Danke Schweiz!"
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