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Klamme Kasse

Klamme Kasse
Keine Sorge, das ist kein Spendenaufruf für mittellose Redaktoren. Unserem Redaktionsleiter geht es gut. Anders als mancher öffentlichen Kasse. | © Thurgaukultur.ch

Die Konsumgesellschaft hat uns zu ihren Junkies gemacht: Über den Wert des Sparens in einer angespannten Zeit. Und warum lauter Protest dagegen nicht immer Recht hat 

Von Michael Lünstroth

Es war ein komisches Gefühl, den ersten Kreditantrag meines Lebens zu unterschreiben. Ich hatte immer gelernt, dass man sich nur das leisten kann, was man auch selbst bezahlen kann. Auf Pump zu leben war in meiner Familie eher verpönt. Und trotzdem hielt ich nun einen Stift in der Hand und war bereit diesen Grundsatz aufzugeben. Es ging damals um ein neues Auto, das alte hatte mich lange genug genervt mit seinen Macken. Ich weiss noch, dass ich gestaunt habe, was man inzwischen alles auf Kredit kaufen kann. Neben den üblichen Immobilienkrediten, gab es längst spezielle Darlehen für Autos, Urlaube, Smartphones, Fernseher und sonstige Dinge, die vornehmlich einen Zweck haben - Spass machen.  Ging es früher darum, mit Krediten neue langfristige Werte (wie Häuser) zu schaffen, geht es heute nicht selten um schlichte kurzfristige Bedürfnisbefriedigung. Die Konsumgesellschaft hat uns zu ihren Junkies gemacht. 

Wohl auch deshalb ist im Privaten kaufen geil und sparen eher uncool. Denn: Sparen ist immer ein Genussverzicht in der Gegenwart zu Gunsten der Zukunft. Das Blöde daran - wenn alles glitzert und blinkt in den Auslagen der analogen und digitalen Warenhäuser, dann reicht Zukunft für viele Menschen nicht viel weiter als der nächste Klick. 

Interessanterweise ist das Verhältnis zum Sparen auf politischer Ebene geradezu gegensätzlich  ausgeprägt. Klar, auch hier gibt es Projekte, die aus dem Ruder laufen und deutlich teurer werden als ursprünglich geplant. Aber im Grundsatz ist das Ideal jedes Politikers doch jenes der schwarzen Null, also des ausgeglichenen Haushalts. Das mag daran liegen, dass Politiker ja nicht mit eigenem Geld hantieren, sondern über unser aller Geld verfügen. Da ist es nur recht, wenn sie ordentlich und sorgsam damit umgehen. 

Romanshorn fehlen 2 Millionen Franken: Jetzt sollen alle mitsparen

Aber natürlich hat auch das einen Haken. Wenn gespart werden muss in Gemeinden, Städten, Kantonen oder beim Bund, dann trifft es aus Sicht der jeweils Betroffenen immer die Falschen. Ein aktueller Fall spielt im Thurgau. Die Stadt Romanshorn will in den nächsten vier Jahren zwischen 1,5 und 2 Millionen Franken sparen, um ihre Gestaltungsspielräume für die Zukunft nicht zu verlieren. Der Stadtrat um Präsident David H. Bon hat eine lange Liste mit Kürzungsvorschlägen vorgelegt. Die Devise lautet - wenn es jedem ein bisschen wehtut, dann schaffen wir das. Tatsächlich ist die Kultur nur ein Bereich, in dem der Rotstift angesetzt werden soll. Zittern müssen demnach das Kino Roxy, die Museumsgesellschaft, die das Museum am Hafen betreibt, der Musikverein, aber auch ein Kinderhaus. Gestrichen werden könnte auch der Kulturpreis der Stadt, die 1.August-Feier soll künftig von einem externen Organisator durchgeführt werden. Auch Steuererhöhungen sind ein Thema. Die Lage in der Stadt ist dementsprechend angespannt. Eine erste Vorentscheidung über das künftige Budget trifft der Stadtrat am 15. August.

Aus der Ferne lässt sich leicht dagegen anschreien und ein drohender „Kahlschlag“ beklagen.. Schaut man genauer hin, ist es meistens doch etwas komplizierter. Natürlich wäre es fatal, wenn durch die Kürzungen am Ende bewährte Strukturen zerschlagen würden und beispielsweise das Roxy oder das Museum am Hafen ihren Betrieb nicht mehr in jetziger Form aufrecht halten könnten. Aber sich einfach zu verschliessen und zu sagen, wir sparen nichts, geht in einem Gemeinwesen ja auch nicht. Was also tun, wenn man das Ganze im Blick haben muss und nicht nur einzelne Partikularinteresse? 

Eine Politik, die keine Prioritäten setzen kann, wird handlungsunfähig

Es gilt der Grundsatz: Politik muss die Möglichkeit haben Prioritäten zu setzen, sonst wird sie handlungsunfähig. Dazu gehört auch, Entscheidungen so gut zu erklären, dass sie nachvollziehbar werden. Die Menschen müssen verstehen können, warum Politik handelt, wie sie handelt. Und sie müssen das Gefühl haben, dass sie gehört werden. Nur dann haben politische Entscheidungen die Chance im Zweifel auch vor dem Stimmbürger zu bestehen. 

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