Seite vorlesen

von Brigitte Elsner-Heller, 18.08.2017

Mut tut gut

Mut tut gut
Hund (Mischa Löwenberg) und Katz (Doris Haudenschild) einvernehmlich zusammenzubringen, erfordert Psychologie und auch die zupackende Art des Esels (Jan Obderbeck). | © Brigitte Elsner-Heller

Die Bremer Stadtmusikanten zeigen bei den Schlossfestspielen Hagenwil, wie man mutig sein kann, auch wenn die Dinge nicht so gut laufen. Das kann dann sogar ein bisschen skurril und lustig werden.

Von Brigitte Elsner-Heller

Fast wie im richtigen Märchen liegt das Wasserschloss Hagenwil auf dem Hügel, und bevor man das schöne alte Gemäuer über die Brücke mit den breiten Holzplanken betritt, begrüssen einen bereits Ziegen mit ihren Jungen. Die kleinen Zicklein versuchen noch unsicher, auf die Aussichtsplattform im Gehege zu klettern – und schaffen es schliesslich.

Auch wenn alte Märchen nicht gerade eine heile Welt hervorzaubern, sondern eher von den Herausforderungen erzählen, die das Leben bereithält – besonders, wenn der Mensch noch klein ist und seine Kräfte noch nicht gut einschätzen kann – , taugt das Bild von den Ziegen vor dem idyllischen Wasserschloss doch schon dazu, sich auf die Bremer Stadtmusikanten einzustimmen, die hier gleich für die Kinder und ihre Eltern oder Grosseltern auf der Bühne zum Leben erweckt werden. Auf einer ebenfalls kleinen Bühne übrigens, die sich im engen Schlosshof wie eine Puppenstube ausmacht und den Schauspielern, die als Tiere und Menschen in Erscheinung treten, einiges an geschickter Wendigkeit abverlangt. Ein Hahn, ein Esel, ein Hund und eine Katze werden gleich auf die Reise gehen: nach Bremen. Oder eben auch nicht nach Bremen – wir werden sehen, wieviel Mut die vier gemeinsam aufbringen werden, um am Ende gemeinsam ein schönes neues Zuhause zu erobern.

Sind Märchen zu grausam für Kinder?

Vier alte Tiere sind für ihre Besitzer eine Last geworden, da sie nicht mehr für ihre Arbeit taugen. Daher sollen sie „entsorgt“ werden. Der Beginn des Märchens, das von den Brüdern Grimm aufgezeichnet und bearbeitet wurde, ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Schon gar nicht für kleine Kinder, die bis heute als Hauptadressaten von Märchen gelten. Um dem Märchen auf der Bühne zum Start ein wenig Milde und Heiterkeit angedeihen zu lassen, hat sich das Kindertheater Hagenwil eine lustige Erzählerin einfallen lassen (Textfassung und Regie: Rahel Roy, Florian Rexer). Und so betritt als Erste Doris Haudenschild die Bühne: In der Montur einer putzenden Hausfee, mit Wuschelperücke, Gummihandschuhen und Putzeimer, führt sie die Kinder sanft in die Märchenwelt ein. Schon kräht aber auch der Hahn hinter ihr, der keinesfalls in die Suppe möchte, und unsere Putzfrauen-Erzählerin steht sogleich als Retterin bereit – noch bevor sich Angst vor dem „wirklichen“ Tod überhaupt breitmachen kann. Ja, wie schade wäre es auch gewesen, man hätte auf das Krähen des Hahns in der kommenden Stunde verzichten müssen. Übrigens ist der Hahn die einzige Figur, die quasi aus dem Off als Handpuppe geführt wird (Jan Opderbeck) und damit praktischerweise auch weniger Platz auf der kleinen Bühne für sich beansprucht.

Auch als Räuber tierisch gut: Mischa Löwenberg.

Auch als Räuber tierisch gut: Mischa Löwenberg. Bild: Brigitte Elsner-Heller

Mit einem atemlosen „I-Ahhh, das war knapp“ kommt nun der Esel (Jan Opderbeck diesmal in Fleisch und Blut auf der Bühne) an die Reihe, um seine traurige Geschichte zu erzählen. Zwanzig Jahre hat er für den Müller die Mehlsäcke geschleppt, um nun seinem Ende entgegen zu sehen. Gut, dass er sich an die Worte seiner Mutter erinnert, die immer gesagt hatte: „Junge, etwas Besseres als den Tod findest du allemal“. In der Tat entpuppt sich der Esel, der beherzt die Flucht nach vorn angetreten hatte und dem Zugriff des Müllers entkommen war, geradezu als Philosoph der Truppe, die sich nach und nach zusammenfindet. Schon kommt nämlich ein zweiter Fellmützenträger des Weges daher, der Hund, der seinem Herrn als Wachhund nichts mehr taugte. Mischa Löwenberg rollt als schwarzer Hund sehr komisch mit den Augen, er knurrt, hechelt und jault herzerweichend und macht ganz nebenbei noch klar, dass ein Hund selbst dann, wenn er auf der Flucht ist, immer noch dem verlockenden Geruch von Würsten verfällt (was die Kinder im Publikum sehr erfreut). Das variantenreiche Gejaule des Hundes bringt den Esel immerhin auf die famose Idee, es gemeinsam als Musikanten zu versuchen. Und wo? Natürlich in Bremen – denn dieser Wegweiser steht nun einmal gerade so günstig am Wegesrand.

Zunächst wie Hund und Katz

Gesagt, getan. Oder auch nicht, denn jetzt kommt noch die Katze ins Spiel. Nass ist die kleine Madame (Doris Haudenschild nun als kleine, sich zierende Jammermietze), denn sie sollte doch tatsächlich ertränkt werden. Zum großen Vergnügen des kleinen Publikums gibt es aber zunächst zwischen Hund und Katze einige Scharmützel, die die eben noch lauernde Gefahr wiederum schnell vergessen lassen. Doch wir hatten es längst vermutet: Die beiden freunden sich an, und auf geht es Richtung Bremen.

Ende gut, alles gut: Die tierische Truppe ist zwar nicht bis nach Bremen gekommen, aber dennoch musikalisch: Jan Obderbeck, Doris Haudenschild und Mischa Löwenberg (von links).

Ende gut, alles gut: Die tierische Truppe ist zwar nicht bis nach Bremen gekommen, aber dennoch musikalisch: Jan Obderbeck, Doris Haudenschild und Mischa Löwenberg (von links). Bild: Brigitte Elsner-Heller

Was noch fehlt für ein richtiges Märchen, ist natürlich die Gefahr, die gemeinsam bestanden werden muss, bevor alle „unsterblich“ sind. Also her mit der Räuberhütte, in der die beiden Räuber Urs und Oscar gerade ihr vorzügliches Abendessen vertilgen. Esel, Hund, Katze und Hahn (hier: im Korb) greifen zu einer Finte: Indem sie aufeinander klettern und so als Riesentier auftreten, verscheuchen sie die Räuber und kommen nun selbst in den Genuss des reichhaltigen Mahls. Das eröffnet natürlich für die Bühne die schöne Gelegenheit, Mischa Löwenberg und Jan Opderbeck noch einmal als Räuber auftreten zu lassen. Dass die vermeintlich starken Räuber schliesslich vor Angst schlottern und von den Tieren gemeinsam in die Flucht geschlagen werden, ist für die Kinder ganz unverkennbar das grösste Vergnügen der Aufführung, die mit einer fröhlichen Tanz- und Gesangseinlage des tierischen Quartetts ausklingt.

Ende gut, alles gut. In diesem Moment auch für die Erwachsenen, die mit Kindern oder Enkeln auch mal wieder das Vergnügen hatten, Kindertheater anschauen zu können.

 

Termine: Weitere Aufführungen im Wasserschloss Hagenwil: Sonntag, 20. August; Mittwoch, 23. August; Mittwoch, 30. August; Sonntag, 3. September; Mittwoch, 6. September (sonntags jeweils 10.30 Uhr, mittwochs 15 Uhr). „Die Bremer Stadtmusikanten“ ist geeignet für Kinder ab dem Kindergartenalter (Dauer: 1 Stunde). Den Programm-Flyer der Schlossfestspiele Hagenwil gibt es hier 

www.schlossfestspiele-hagenwil.ch 

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Bühne
  • Literatur

Kommt vor in diesen Interessen

  • Kritik
  • Kinder
  • Schauspiel

Werbung

Hinter den Kulissen von thurgaukultur.ch

Redaktionsleiter Michael Lünstroth spricht im Startist-Podcast von Stephan Militz über seine Arbeit bei thurgaukultur.ch und die Lage der Kultur im Thurgau. Jetzt reinhören!

#Kultursplitter - Agenda-Tipps aus dem Kulturpool

Auswärts unterwegs im April/Mai - kuratierte Agenda-Tipps aus Basel, Bern, Liechtenstein, St.Gallen, Winterthur, Luzern, Zug und dem Aargau.

Austauschtreffen igKultur Ost

Für eine starke Kulturstimme im Kanton Thurgau! Dienstag, 11. Juni 2024, 18.00 Uhr, Kult-X Kreuzlingen.

Literaturpreis «Das zweite Buch» 2024

Die Marianne und Curt Dienemann Stiftung Luzern schreibt zum siebten Mal den Dienemann-Literaturpreis für deutschsprachige Autorinnen und Autoren in der Schweiz aus. Eingabefrist: 30. April 2024

Atelierstipendium Belgrad 2025/2026

Bewerbungsdauer: 1.-30. April 2024 über die digitale Gesuchsplattform der Kulturstiftung Thurgau.

Ähnliche Beiträge

Bühne

Neue Schulfächer braucht das Land

Jugendtheater at his best: In der Lokremise in Wil zeigt das momoll Jugendtheater in der Uraufführung des Stücks „Better skills – Ein Stück Zukunft“, was Schule der Zukunft bedeuten kann. mehr

Bühne

Ist das die Schule der Zukunft?

Was, wenn man sich die Schule nach seinen eigenen Bedürfnissen auswählen könnte? Mit der Produktion „Better skills“ entwirft das momoll Jugendtheater ab 20. April ein spannendes Gedankenspiel. mehr

Bühne

Blond, aber nicht blöd

Am Ende gab es Standing ovations: „Sugar – Manche mögen’s heiss“ rief bei der Musical-Premiere auf der Zentrumsbühne in Bottighofen Begeisterung hervor. mehr