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04.09.2017

Thurgauer Talentforum am Untersee

Thurgauer Talentforum am Untersee
Musik mit Witz und Verve: Das Trio Dolce Vita bei den „Jungen Schweizer Talenten“ am Festival Kammermusik Bodensee in Ermatingen. | © Barbara Camenzind

Dort, wo sich sonst die Grössen aus Wirtschaft, Politik und Handel treffen, hielt am vergangenen Wochenende die Musik Hof am Untersee. Das Lilienberg Unternehmerforum Ermatingen wurde zum Mekka für „Brahmsianer“. Das Festival Kammermusik Bodensee, welches nun schon zum zweiten Mal in Ermatingen stattfand, setzte auf themenzentrierte Konzerte und bot jungen Klassiktalenten am Sonntagmorgen eine grosszügige Plattform.

Barbara Camenzind

Untersee, Reichenau, Wolkenspiel: Wem bei diesem Anblick nicht das Herz aufgeht, scheint wohl keines zu haben. Auf dem Lilienberg in Ermatingen scheint immer ein wenig die Zeit still zu stehen. Die Saal-Rotunde mit den grossen Fenstern spiegelt die prachtvolle Kulisse. Drinnen tastet sich ein junger Geiger behutsam durch den ersten Satz der grossen A-Dur-Sonate von César Franck, ein Stück, dass unter den jungen Klassiktalenten im Thurgau momentan sehr gerne gespielt wird. David Hubov gelingen die schweren Détaché-Passagen schon sehr gut, selbstbewusst gestaltet der junge Mann das feine Wechselspiel zwischen lyrischen Passagen und Parlando. Ein geschickter Schachzug der Dramaturgie: Im zweiten Satz übernimmt das Cello. Schon im 19. Jahrhundert wurde die Sonate für die „grosse Schwester der Geige“ umgearbeitet. David Pfistner aus Berg TG gelingt die musikalische Handänderung problemlos. Francks schwärmerische Motive perlen durch den Saal, sonor und farbig klingt Pfistners schönes Instrument, hervorragend begleitet von Joanna Lohmann am Flügel.

Als wahrhaft „bunte Truppe“ entpuppt sich das Trio Dolce Vita: Zusammen mit Chiara Brechbühl (Violine), Gian-Andri Cuonz (Violoncello) spielte sich die Blockflötistin Mireya Bernardini in die Herzen der zahlreich erschienenen Zuhörenden. Klabautrig purzeln die Tonkaskaden aus der Sopranflöte bei Frescobaldi, bei Telemanns Triosonate in d-moll entwickelt die junge Künstlerin die ganze Pracht des deutschen Barockmeisters. Cuonz am Cello und Brechbühl an der Geige sind ihr ebenbürtige Sparringpartner. Nicola Matteis’ „Ground after the Scotch Humour“ spielen die drei so, als hätten sie eben die Highlands besucht und den Dudelsäcken zugehört. Den Abschluss bildet wieder die Romantik: Felix Mendelssohn-Bartholdys erster Satz aus dem Klaviertrio in d-moll beschliesst den Morgen der jungen Schweizer Talente am Kammermusik Festival Bodensee. Sara Bucher (Violine), David Pfistner (Violoncello) und Myrtha Schmücker (Klavier) gelingt ein fulminantes Ende.

Fokus auf Thurgauer Nachwuchsförderung

Die Matinée an diesem Kammermusik-Sonntag muss jeden Klassikfan freuen: Um den Nachwuchs in Sachen Tonkunst scheint es im Thurgau gut bestellt zu sein. Die Plattform „Junge Schweizer Talente“ innerhalb des Kammermusik Festivals ist erstens gut besucht, zweitens bietet sie genau das, was die berühmte Sängerin Emma Kirkby ihren Studierenden stets predigt: „Wenn du Musik vor Publikum aufgeführt hast, ist sie nachher nicht nur in deinem Kopf, sondern auch in deinen Stiefeln“. Auftritte helfen, weiterzukommen. Jeder, ob jung oder alt, bekommt als Ausübender sofort ein Feedback, was geht - und was noch Erfahrung und Zeit braucht. So auch an diesem Morgen. Wenn da und dort mal eine Wendung etwas eierte, oder die Intonation noch nicht ganz lupenrein war, die jungen Musizierenden können diese Erfahrung mit nach Hause nehmen. Mit ein Grund, warum solche Veranstaltungen wichtig sind. Jemandem beim künstlerischen Wachsen zuzuhören, ist ein wunderbares Erlebnis, um diesen Satz wieder zu perpetuieren.

Martin Lucas Staub, künstlerischer Leiter des Festivals, ist zufrieden mit seinen jungen Schweizer Talenten: „Grundsätzlich schauen wir natürlich zuerst im Kanton, wer gerade auf dem Weg unter die Hufe nimmt, Profimusiker zu werden. Dabei ist die Pädagogische Maturitätsschule PMS Kreuzlingen mit ihrer Kunst-und Sportklasse eine gute Adresse. Dann orientieren wir uns an den Preisträgern verschiedener Wettbewerbe, dies auch in der ganzen Schweiz.“ Etwa fünf der insgesamt 10 Musikerinnen und Musiker dieser Matinée stammen aus dem Thurgau, oder werden hier ausgebildet.

Der 17jährige David Pfistner hat sich über die Einladung der „grossen Profis in Ermatingen“ gefreut: „Ich bin dankbar über gute Gelegenheiten, mit meinem Cello auch einmal solistisch auftreten zu können. Eine feine Sache, die einem enorm weiterbringt. Falls das Festival Kammermusik Bodensee auch Meisterkurse anbieten würde, wäre ich sofort dabei.“  Der junge Thurgauer ist glücklich an der PMS in Kreuzlingen, die ihm die Möglichkeit bietet, seinen künstlerischen Weg zu gehen.

Das Cello als guter Wegbegleiter: David Pfistner aus Berg TG. (Foto Barbara Camenzind)

Luft nach oben

Geschäftsführer Roland Meier gibt sich mit Blick auf die Veranstaltungsreihe 2017 ebenfalls ganz zufrieden: „Das Angebot ist stimmig, gerade die Matinée mit den jungen Schweizer Talenten wurde sehr gut besucht. Bei den anderen Konzerten haben wir publikumstechnisch noch Luft nach oben, auch wenn wir wachsen. Wir sind überzeugt, dass unser Konzept im Lilienberg Unternehmerforum richtig ist“. Der Blick ins Programmheft zeigt: Die preislich ganz durchschnittlich gehaltenen Packages für Essen und Musik, zu denen das Schweizer Klaviertrio illustre Gäste wie den Starpianisten Barry Douglas und den Klarinettisten Alexey Bogograd eingeladen haben, sind eindeutige Leckerbissen. Gerade die Verbindung von Johannes Brahms’ Musik und der Kulinarik ist eine Hommage an den grossen, schrulligen Romantiker, der selber sehr gerne gegessen hatte. Zwar unterscheiden sich das Lilienberg Unternehmerforum und Brahms’ Stammlokal „Rother Igel“ in Wien doch etwas. Das altehrwürdige Gasthaus mit Kellergewölbe im 1. Bezirk wurde zwar das ganze Jahr von Künstlern frequentiert, musiziert wurde dort wohl eher selten. Für das Festival Kammermusik Bodensee das öffnet das Unternehmerforum in Ermatingen seine Tore weit. Musik ist für alle da - auch auf dem Lilienberg.

 

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