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von Brigitte Elsner-Heller, 13.11.2017

Heisse Hunde und andere Kulte

Heisse Hunde und andere Kulte
Alles andere in den Schatten stellt die überdimensionale Skulptur einer Dogge von Anita Zimmermann | © Brigitte Elsner-Heller

Neues vom Rande des Thurgau: Die Galerie „widmertheodoridis“ richtet in ihrer neuen Ausstellung Wunderkammern ein. Mit dabei sind das Künstler-Duo huber.huber, Andreas Fux und Anita Zimmermann

Von Brigitte Elsner-Heller

Am besten ist die Aufgabe eines Kurators erfüllt, wenn man gar nicht merkt, wieviel Arbeit hinter Konzeption und Realisierung einer Ausstellung steckt. Wenn das Gefühl vorherrscht, dass das, was die Museumsmauern umschliessen, aus einem Guss ist oder Brüche genau die Spannung erzeugen, die angenehm ist und massvolles Prickeln hervorruft. Kunst trifft dabei stets Aussagen, wenn sie auch nicht immer gleich eine Botschaft – sei sie ästhetisch oder politisch – transportieren muss.

In einer Galerie mögen die Vorgaben etwas anders gelagert sein, da Galeristen meist längere Zeit mit Künstlern zusammenarbeiten. Das bringt zum einen gewisse Einschränkungen in der Auswahl mit sich, andererseits aber auch eine Unmittelbarkeit und Nähe, die sich dadurch ergibt, dass man sich auch persönlich recht gut kennt.

Verbindend wirkt die Haltung der Galeristen

Beide Aspekte sind in der aktuellen Ausstellung der Galerie „widmertheodoridis“ in Eschlikon gut nachzuvollziehen. Denn da, wo der Bezug zwischen den vier ausstellenden Künstlern – mit drei Positionen, da die Brüder Markus und Reto Huber als Künstlerkollektiv huber.huber gemeinsam arbeiten – fehlen mag, wirkt das geradezu Familiäre verbindend, das die Galeristen Werner Widmer und Jordanis Theodoridis vermitteln. Und nicht nur dadurch, dass die Dogge Idda für die Künstlerin Anita Zimmermann zum Modell einer ungewöhnlichen Plastik wurde. Davon gleich mehr.

Die Gelehrtensteine von huber.huber: Es handelt sich dabei um Fundstücke aus Feuerstellen, die Spuren des Brandes enthalten. Und da diese Brocken selbst wohl kaum als Ausstellungsstücke hätten gelten dürfen, werden sie auf geschnitzten Holzsockeln präsentiertDie Gelehrtensteine von huber.huber: Es handelt sich dabei um Fundstücke aus Feuerstellen, die Spuren des Brandes enthalten. Bild: Brigitte Elsner-Heller

Markus und Reto Huber sind der Galerie schon lange verbunden, die zuvor in Zürich angesiedelt war. Bis New York ist man offenbar schon gemeinsam gekommen. In der aktuellen Ausstellung sind die Brüder unter dem Titel „Spirited Away“ vertreten, einer überwiegend Stein-basierten Sinnsuche oder -frage, die keinesfalls frei von Ironie ist. Sie nehmen Bezug darauf, dass der Mensch sich schon immer auf die Kräfte und vermeintliche Ewigkeit von Gestein verliess, um sich gegenüber schlechten Einflüssen zu wappnen. Ganz direkt haben huber.huber das in ihren sogenannten „Gelehrtensteinen“ umgesetzt: Es handelt sich dabei um Fundstücke aus Feuerstellen, die Spuren des Brandes enthalten. Und da diese Brocken selbst wohl kaum als Ausstellungsstücke hätten gelten dürfen, werden sie auf geschnitzten Holzsockeln präsentiert, die auf asiatische Formgebung zurückgreifen. Asiatisch wird es auch mit dem Salz, das sie in den Stand von Kunst erheben: Himalayasalz mit grobem Korn dient dazu, Collagen aus menschlichen Körperteilen eine sinnlich umwölkte Oberfläche zu geben. Oder das Salz darf seine changierende Farbigkeit flächig auf Büttenpapier ausbreiten. Spätestens beim bedruckten, wehenden Vorhang („airflow“: Vorhänge bedruckt, Ventilator, Unikat) und der Installation im Kuhstall, der ebenfalls zur Galerie gehört (Rosenquarze und eine Neonleuchte befinden sich dort, wo ehemals die Rinder standen), ist man geneigt, huber.huber einiges an launiger Heiterkeit zusprechen zu wollen.

Fux ist plötzlich samtig und seidig

Andreas Fux, Berliner Künstler, hat ebenfalls schon in Zürich bei „widmertheodoridis“ ausgestellt und dabei – wie die Galeristen bei der Begrüssung anmerkten – einigen Aufruhr ausgelöst (Muster auf nackter Haut ziehen Künstler und Betrachter wohl gleichermassen an, auch wenn manche Betrachter sich darüber vielleicht nicht im Klaren sind und sich nach aussen hin entrüsten müssen). Unter dem Titel „Spaceboy“ ist der Fotograf Andreas Fux einen Schritt weiter gegangen und hat die Oberfläche seines tätowierten Models in einen weichen Flor verwandelt. „Jetzt ist Fux plötzlich samtig und seidig“, wie es Jordanis Theodoridis ausdrückte. In der Tat hat der Berliner die Fotografie seines Models als Vorlage für einen Seidenteppich gewählt. Raumhoch in Schwarz-Weiss- und Silberanmutung prägt er den Ausstellungsraum im Erdgeschoss des streng kubisch gehaltenen Neubaus der Galerie. Ein wenig wie ein Kunstwerk wirkt bei der Vernissage auch Fux selbst, der aus gegebenem Anlass auch ein T-Shirt mit Aufdruck seines Modells trägt.

Unter dem Titel „Spaceboy“ hat der Fotograf Andreas Fux die Oberfläche seines tätowierten Models in einen weichen Flor verwandelt.Unter dem Titel „Spaceboy“ hat der Fotograf Andreas Fux die Oberfläche seines tätowierten Models in einen weichen Flor verwandelt. Bild: Brigitte Elsner-Heller

Will die Dogge Idda nur spielen?

Geradezu liebevoll und verspielt wirkt Anita Zimmermann, die mit der Galerie seit zweieinhalb Jahren in Kontakt steht. „Heisse Hunde“ hat sie die Installation genannt, die sie im ehemaligen Heustall des Nebengebäudes zeigt. Alles andere in den Schatten stellt die überdimensionale Skulptur einer Dogge, die, so imposant das über zwei Ebenen sitzende Tier auch sein mag, ein Leichtgewicht sein dürfte, das das Original – die Dogge Idda, die im Haus wohnt – durch das Ausgangsmaterial Styropor kaum an Gewicht übertreffen dürfte. Anhand der fehlenden Schwere dieses Materials lässt sich nachvollziehen, dass Anita Zimmermann wert darauf legt, als Zeichnerin verstanden zu werden. Die genauen Konturen von Idda, die sanfte Schattierung zwischen Grau und Weiss, geben ihr da zweifellos recht. Wie auch der scherenschnittartig aufgebaute Turm, der sich auf dem Heuboden zu Idda gesellt. Anita Zimmermann geht dabei auch von der Überlegung aus, dass zu hinterfragen ist, wie sich Grösse und Materialität von Grossplastiken mit einem Machtanspruch einher gehen. Idda ist mit Sicherheit eine freundliche Einladung dazu.

Bis 23. Dezember in der Galerie „widmertheodoridis“ in Eschlikon. Langes Wochenende: Samstag, 2. Dezember, 11-21 Uhr; Sonntag, 3. Dezember, 11-16 Uhr.

Unter dem Titel „Spaceboy“ hat der Fotograf Andreas Fux die Oberfläche seines tätowierten Models in einen weichen Flor verwandelt.

Künstler und Galerist: Reto Huber (links) und Jordanis Theodoridis in der neuen Ausstellung. Bild: Brigitte Elsner-Heller 

 

 

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