von Maria Schorpp, 04.12.2017
Der Krieg rockt
Was ist der Sinn der Kriegsberichterstattung? Und wie sieht es in den Menschen aus, die sich für ein Bild und eine Reportage in Lebensgefahr bringen? Fragte in der Frauenfelder Theaterwerkstatt Gleis 5 die Inszenierung von Donald Margulies’ Stück „Zeitstillstand“.
Von Maria Schorpp
Der Friede ist schon Jahrzehnte alt, ziemlich vielen geht es hierzulande ziemlich gut. Krieg und Völkermord sind medienpräsent, gefühlsmässig aber nicht von dieser Welt. Zumindest sehr weit weg. Nicht für Sarah und James. Sie fotografiert das Kriegsgrauen, er schreibt darüber. Der Friede zu Hause ist für sie der Ausnahmezustand. Bis Sarah im Irak durch einen Bombenanschlag fast zu Tode kommt. Schwer angeschlagen humpelt sie mit James’ Hilfe in ihre gemeinsame Wohnung. Sie bringt den Krieg mit.
Dorit Ehlers lässt von Anfang an keinen Zweifel daran, dass ihre Sarah das Potenzial hat, ihre Umgebung aufzumischen. Die Schauspielerin macht das zurückhaltend, spielt nicht den Berserker und bleibt so einigermassen identifikationstauglich. Überhaupt sind die Figuren in Pablo Ariel Bursztyns Inszenierung von Donald Margulies’ Stück „Zeitstillstand“ nicht ins Extreme aufgemotzt, sind weder grossartige Sympathieträger, noch provozieren sie Aversionen. Auch James, vom Regisseur selbst gespielt, ist nicht der Schwächling, der seine Sarah immerzu besänftigen möchte. Er ist einfach nicht so aggressiv in seiner Traurigkeit.
Das ist nicht ganz unwichtig, denn in dem Stück von 2010 geht es um eine nüchterne Frage: Welche Rollen spielen diese Kriegsreporter, und was macht die Alltäglichkeit menschlichen Leids mit ihnen? Und: Was bedeutet es für uns, dass wir uns, in Friede und Wohlstand warm eingepackt, gewohnheitsmässig reichlich bebilderte Kriegsgräuel aus anderen Teilen der Welt reinziehen? Was fangen wir mit diesen Informationen an, wie Mandy fragt. Mandy – auch so eine Figur, der man in ihrer vermeintlichen Naivität deutlich mehr Ecken und Kanten hätte mitgeben können, als es Adele Raes tut. Die Schauspielerin spielt diese aus der Zeit gefallene Frauenrolle geradezu verboten sympathisch.
Die Atmosphäre ist spürbar angespannt
Mandy ist die Neue von Richard, dem für die beiden Kriegsreporter zuständigen Redaktor und langjährigen Freund. Halb so alt wie er ist sie und von provokanter Nicht-Intellektualität. Noce Noseda ist Richard, der in Anwesenheit seiner Freunde ständig auf der Hut ist, dass Mandy etwas Falsches sagen könnte, und wenn sie es tut, sogleich für einen Themenwechsel sorgt. Die Atmosphäre ist spürbar angespannt da vorne auf der Bühne in der Frauenfelder Lokremise.
Kammerspiel: Sarah (Dorit Ehlers) versucht die Schrecken des Krieges zu verarbeiten. Die beiden Männer Richard (rechts Noce Noseda) und James (Pablo Ariel Bursztyn) sind dabei nicht sonderlich hilfreich. Bild: Hannah Markfort
Das Zürcher Kodachrome Theater und die Frauenfelder Theaterwerkstatt Gleis 5 nennen die Arbeit mit dem Stück „Zeitstillstand“ ein Projekt. Tatsächlich war der multimedialen (und teilweise auch deutsch-englischen) Inszenierung bei ihrer Aufführung im Kraftwerk Zürich eine Videoinstallation des Künstlers Bertold Stallmach sowie eine Diskussionsrunde zum Thema vorgeschaltet. Projekt – das klingt nüchtern, nach rationalem Mehrwert. Allzu überschäumende Emotionen für die einzelnen Personen würde die inhaltliche Auseinandersetzung nur überdecken. So, könnte man sich vorstellen, ist diese personelle Zurückhaltung zu erklären.
Genau das macht die Inszenierung allerdings zuweilen etwas ermüdend, da Margulies auf Dialog setzt, der ein paar knallige Akzente vertragen könnte. Margulies Stück fehlt allerdings die letzte intellektuelle Schärfe. Es lässt in entlarvender Absicht insbesondere Sarah und James in ihrem starren sozialen Slang der moralischen Überlegenheit daherreden, ist aber selbst sehr vorhersehbar in seinen Wendungen. Margulies bietet mit seinen Figuren Positionen an, wie man sich zu Gewalt und dem Leben verhalten kann. Hat fast etwas von Thesentheater.
Am Ende kommt man dem Lebensgefühl von Sarah ziemlich nahe
Die Schauspieler schaffen es trotzdem sehr sehenswert, richtige Menschen daraus entstehen zu lassen, wobei sich die beiden Frauen immer mehr als die beiden Gegenpole herausschälen. Bei Sarah, der Dokumentarin des Elends, rockt der Krieg. Robi Voigts vier Bildschirme auf der Rückseite des Bühnenraumes in der Lokremise zeigen in atemlosen Schnitten Bilder aus dem Alltag der Kriegsreporterin (zusammengestellt von Ana Chiara Giannini). Da sind Explosionen, Soldaten, Panzer zu sehen, aber da ist ganz deutlich ausserdem etwas zu spüren: ein dunkler Sog. Und wenn noch diese rockige Musik dazukommt, die einzelnen Szenenwechseln unterlegt ist, dann meint man, dem Lebensgefühl von Sarah, die es im Frieden nicht aushält, ziemlich nahe zu kommen.
Mandys Frage, warum sie den kleinen sterbenden Jungen nicht ins Krankenhaus gebracht hat, anstatt ihn zu fotografieren, erhält umso mehr Plausibilität. Vielleicht ist Mandy, wie sie von Adele Raes gespielt wird, sogar die am raffiniertesten angelegte Figur der Inszenierung – mit ihrem so realistisch erscheinenden allzumenschlichen Egoismus, der allem widerspricht, was von aufgeklärter Zeitgenossenschaft erwartet wird. Und vielleicht ist die eher sympathisierende Haltung der Inszenierung diesen Menschen gegenüber auch die klügere, wenn auch nicht unbedingt spassigere.
Und Prost: Auf die Freundschaft! Szene aus "Zeitstillstand" von Noce Noseda und Pablo Ariel Bursztyn. Aufgeführt in Zürich und Frauenfeld. Bild: Hannah Markfort.
Von Maria Schorpp
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