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von Inka Grabowsky, 15.12.2017

«Gotthelf» in Kreuzlingen: Viel Liebe und ein bisschen Käse

«Gotthelf» in Kreuzlingen: Viel Liebe und ein bisschen Käse
Und am Ende kriegen sie sich doch: Das arme Verdingkind Änneli und Felix, der Sohn des Ammanns. | © www.gotthelf-musical.ch

Was für ein Spektakel: Der Verein „Symphonische Kulturevents“ erntete mit seinem Musical im Kreuzlinger Dreispitz grossen Applaus.

Von Inka Grabowsky 

Gelbe Wanderschilder zeigen, wo es lang geht. Getränke gibt’s aus dem Milchwägeli. Die Barhocker sind mit Kuhfell bespannt und Anspielungen auf die traditionelle Käseherstellung findet sich in jedem Deko-Stück. Kurz: Die Mehrzweckhalle Dreispitz in Kreuzlingen hat sich bei der Premiere von "Gotthelf - das Musical" am Donnerstagabend in einen Dorfplatz im Emmental verwandelt. Hier erfüllt sich bis zum Silvesterabend immer wieder das Schicksal des armen Verdingkindes Änneli, das sich ausgerechnet in Felix, den Sohn des Ammanns, verliebt. Hier entscheiden sich manipulierbare Dorfbewohner Abend für Abend für den Kommerz und gegen die Bildung. Käserei oder Schulhaus stehen ihnen zur Wahl. Die Gier nach Geld gewinnt, weil die Dorfoberen es so wollen: „Das ist nicht demokratisch“, sagte der naive Felix seinem Vater. „Aber praktisch“, entgegnet der. „Chäs!“ ist der wunderbar orchestrierte Schlachtruf gegen Orthographie und Geographie.

Als sei das Leben in einer Dorfgemeinschaft auf dem Weg in eine industrialisierte Landwirtschaft nicht kompliziert genug, gibt es noch zusätzliche Intrigen und Machtspielchen. „Der Mensch ist ein seltsames Kamel,“ kommentiert Pfarrer Bitzius mit erhobenen Zeigefinger. Ausgerechnet mit einer Teufelsbeschwörung will die fiese Bäuerin Eisi der vermeintlichen Hexe Änneli das Handwerk legen. Besser kann man Bigotterie wohl nicht zeigen. Besser kann man aber auch die Theatermaschinerie nicht nutzen: Im Dreispitz lodert das Bühnenlicht und zieht der Trockeneisnebel durch die Reihen. Auf die Idee, das „Vater unser“ rückwärts zu beten, muss man erst mal kommen.

Szene aus "Gotthelf - das Musical". Bild: www.gotthelf-musical.ch 

Ein Holzschnitt aus dem Emmental

Die Bösen in „Gotthelf“ sind richtig böse, erfreulicherweise aber auch ganz schön dumm. Und die Guten sind so gut, dass die Zuschauer stellvertretend wütend werden über so viel Duldsamkeit. Nur einer Figur wird im Stück eine Entwicklung zugestanden, der Sohn des Ammanns wandelt sich vom arroganten Playboy in einen verliebten Schmusebären. Amüsanter war er als eitler Gockel. Immerhin: Ein verlogenes Happy End kann man „Gotthelf“ nicht verwerfen. Unser allwissender Erzähler sagt deutlich, dass er nun seine Chronistenrolle als Pfarrer Bitzius verlässt und als Schriftsteller Jeremias Gotthelf das Ende dichten kann, das er allen Beteiligten wünscht.

„Gotthelf“ ist als Unterhaltungsstück geschrieben worden, um ein Spektakel in einem Touristengebiet zu bieten. Das funktioniert auch im Dreispitz in Kreuzlingen. Hier hat der Trägerverein das Stück bewusst gewählt, um dem Symphonischen Blasorchester eine Plattform zu bieten, sich zu präsentieren. Auch das funktioniert: Wer bisher glaubte, für eine Liebesszene brauche es schluchzende Geigen, wird eines Besseren belehrt. Das Stück bietet vom Ländler über den Kirchenchoral bis zur grossen Oper alle Musikstile. Der musikalische Leiter Stefan Roth hat es mit Genehmigung des Rechtinhabers so arrangiert, dass auch ein reines Blasorchester (mit Percussion und Synthesizer) die Musik spielen kann. Und die 54 Laien-Musiker zeigen, was sie können, um die acht professionellen Solisten zu begleiten. Die Unterscheidung zwischen Amateur und Profi ist allerdings unfair. Die bezahlten Sänger lieben ihren Job offenkundig, und die Amateure lösen ihre Aufgabe mit professionellem Ehrgeiz.

Da haben sie nun ihren Käse: Szene aus "Gotthelf, das Musical" im Kreuzlinger Dreispitz. Bild: www.gotthelf-musical.ch 

Bewunderswerter Effort

Regisseur Florian Rexer hat für sein im Programmheft erklärtes Ziel, „ein bisschen Schweizer Heimat in einer aufregenden Erzählung“ erlebbar zu machen, keine Mühen gescheut. 150 Menschen arbeiten auf, hinter und vor der Bühne. Sichtbar sind zum Beispiel die 29 Sängerinnen und Sänger vom Chor Amazonas,  die die Dorfgemeinschaft bilden, und Hexen und Teufel, die der Verein in Konstanz engagieren konnte. Nur mittelbar spürbar ist die gründliche Arbeit der Choreographin Rita Bänziger und des speziellen Kampfchoreographen Jean-Loup Fourure, der eine wunderbare Wirtshausschlägerei inszeniert. Kein Wunder, dass der Verein für die Produktion ein Budget von 350 000 Franken aufstellen musste. „Einiges haben wir durch Sponsoren eingeworben“, sagte Christian Schärer aus dem Vereinsvorstand. „Aber für die schwarze Null braucht der Verein eine durchschnittliche Auslastung von 80 Prozent pro Abend.“ Im Vorverkauf waren schon 75 Prozent erreicht – Man kann also zuversichtlich sein.

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Weitere Aufführungen jeweils um 20 Uhr im Dreispitz Kreuzlingen:

Fr. 15. Dezember 2017,

Sa. 16. Dezember,

Di. 19. Dezember,

Mi. 20. Dezember,

Sa. 30. Dezember,

So. 31. Dezember mit Silvesterparty

Video: So ging es bei den Proben zu

Weitere Fotos von der Hauptprobe (www.gotthelf-musical.ch) und der Premiere (Inka Grabowsky)

Der Titelheld mit seinen Getreuen: Mathias Ott als Gotthelf.

Im Hintergrund der eigentliche Held des Abends: der musikalische Leiter Stefan Roth.

Antonio Zeiter und Corinne Liss als Ammann-Paar mit ihren „Sohn“ Matthias Salzmann

 

www.gotthelf-musical.ch

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