Seite vorlesen

Gar nicht lustig

Gar nicht lustig
"Die Dinge der Woche" sind der Blog des Thurgaukultur-Redaktionsleiters Michael Lünstroth | © Michael Lünstroth

Fasnachter, die sich über ertrinkende Flüchtlinge lustig machen und eine Hochschule, die ein harmloses Gedicht skandalisiert: Zwei aktuelle Fälle zeigen, was falsch läuft in unserer Gesellschaft.

Von Michael Lünstroth

Gelegentlich behaupten Leute ja, dass Humor oder Satire alles dürfe. Ich bin durchaus nicht dieser Meinung. Weil Witz keine Entschuldigung dafür sein darf, die Würde von Menschen zu verletzen. Warum wir an dieser Stelle darüber reden müssen? Nun, die Fasnachtsgruppe „Toggenburger Hülsnerbuben“ fand es besonders komisch, in Aadorf einen Umzugswagen zu gestalten, der sich über das Leid von Menschen lustig machte. Von Menschen, die sich in der Hoffnung auf ein besseres Leben auf eine lebensgefährliche Schiffsfahrt einlassen. Mit „Asylparadies Schweiz“ war der Wagen beschrieben, an ihm war eine Blache befestigt, die die schwarzen Hände von ertrinkenden Flüchtlingen zeigte. Wie verroht muss man sein, um so etwas lustig zu finden? Und wie dreist muss man sein, wenn man glaubt, das auch noch als Satire verkaufen zu können? 

Blöd für den Cliquenchef, dass er sich vorher auf Facebook als Fan von Adolf Hitler geoutet hatte und auch noch Sympathiespuren für die Partei nationalorientierter Schweizer (Pnos) klickenderweise im Netz hinterlassen hatte, wie das Tagblatt berichtete. Pnos, das sind übrigens die, die in den vergangenen Monaten grosse Rechtsrock-Konzerte im Toggenburg und St. Gallen organisiert hatten. Da noch zu behaupten, man sei gar nicht rechtsradikal, ist, nun ja, gewagt. 

Die Reaktionen auf den Fall sind bisweilen bizarr

Interessant an dem Fall ist auch, was die mediale Berichterstattung dazu ausgelöst hat. Die Organisatorin des Gähwiler Umzugs, hier wollten die rechten Hülsnerbuben auch teilnehmen mit ihrem Wagen, wird im Tagblatt mit den Worten zitiert, dass es schade sei, wenn sie nun nicht kämen, „sie hatten ja auch einen Aufwand und Kosten für den Wagen“. Und am Ende ist natürlich immer der Überbringer der schlechten Nachricht der Böse: „Es ist schade, dass die Medien das Ganze nun so aufbauschen. Wir wollen uns nur auf einen schönen Fasnachtsumzug freuen können.“ Ernsthaft? Da kommt ein Hitler-Fan mit seiner Truppe und einem menschenverachtenden Motiv auf seinem Wagen und alles was der Organisatorin einfällt, ist die Medien für die Berichterstattung zu schelten? Das ist wirklich ganz und gar entsetzlich. Wenn Vergehen gegen die menschliche Würde geduldet werden, um den eigenen Spass nicht zu gefährden, müssen wir uns dringlich Sorgen um das gesellschaftliche Klima machen. 

Ein harmloses Gedicht im Strudel der MeToo-Debatte

Das gilt übrigens auch für einen ganz anders gelagerten Fall. Die Alice-Salomon-Hochschule in Berlin hat entschieden, dass ein Gedicht von Eugen Gomringer, das bislang auf der Fassade der Bildungsanstalt prangt, jetzt dringend zu übermalen sei. Bevor wir weiter reden, fügen wir mal schnell den Inhalt der gerügten Lyrik ein. 

avenidas/avenidas y flores/flores/flores y mujeres/avenidas/avenidas y mujeres/avenidas y flores y mujeres y/un admirador". Die deutsche Übersetzung lautet: "Alleen/Alleen und Blumen/Blumen/Blumen und Frauen/Alleen/Alleen und Frauen/Alleen und Blumen und Frauen und/ein Bewunderer".

Angehörige der Hochschule hatten vergangenes Jahr moniert, Gomringers Gedicht könne Frauen gegenüber als diskriminierend aufgefasst werden. Im Kern geht es dabei wohl um den letzten Satz: „Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer». Damit würden Frauen, so die Kritiker, zum Objekt männlicher Bewunderung degradiert. Puh, da muss man auch erst mal darauf kommen. Aber es ist wie es ist. Der Akademische Senat der Hochschule hat mehrheitlich entschieden, dass das Gedicht nicht mehr tragbar sei. Ich habe das Gedicht jetzt mehrmals gelesen. Verstanden habe ich die Entscheidung der Hochschule trotzdem nicht. Seitdem habe ich vor allem eine Frage in meinem Kopf: Wenn das nicht mehr möglich sein soll, wie sollen Frau und Mann dann überhaupt noch zusammen leben? Über Antworten freut sich ein verzweifelter Kolumnist…

 

Kommentare werden geladen...

Werbung

Die «Tipps der Woche» #13/14

Unser «Service culturel» - die Highlights aus Magazin & Agenda - verpackt in unseren kompakten Newsletter. Immer montags in deiner Mailbox. Oder hier zum Nachlesen:

Wir lotsen dich durchs Thurgauer Kulturleben!

Abonniere jetzt unsere Newsletter! Oder empfehle unseren Service Culturel weiter. Danke.

Hinter den Kulissen von thurgaukultur.ch

Redaktionsleiter Michael Lünstroth spricht im Startist-Podcast von Stephan Militz über seine Arbeit bei thurgaukultur.ch und die Lage der Kultur im Thurgau. Jetzt reinhören!

#Kultursplitter - Agenda-Tipps aus dem Kulturpool

Auswärts unterwegs im März/April - kuratierte Agenda-Tipps aus Basel, Bern, Liechtenstein, St.Gallen, Winterthur, Luzern, Zug und dem Aargau.

Kultur für Klein & Gross #18

Unser Newsletter mit den kulturellen Angeboten für Kinder und Familien im Thurgau und den angrenzenden Regionen bis Mitte Mai 2024.

Die Theaterwerkstatt Gleis 5 sucht Verstärkung!

Gesucht wird eine Person für die Buchhaltung und Administration, ca. 50%. Weitere Informationen hier:

Literaturpreis «Das zweite Buch» 2024

Die Marianne und Curt Dienemann Stiftung Luzern schreibt zum siebten Mal den Dienemann-Literaturpreis für deutschsprachige Autorinnen und Autoren in der Schweiz aus. Eingabefrist: 30. April 2024

Thurgauer Forschungspreis

Noch bis zum 31. März läuft die Ausschreibung des mit 15’000 Franken dotierten Forschungspreises Walter Enggist.

Recherche-Stipendien der Kulturstiftung

Bewerbungen können bis 31. März 2024 eingereicht werden.

Atelierstipendium Belgrad 2025/2026

Bewerbungsdauer: 1.-30. April 2024 über die digitale Gesuchsplattform der Kulturstiftung Thurgau.

Ähnliche Beiträge

Kolumne

Es ist angerichtet

Als die Kulturstiftung ihren neuen Wettbewerb „Ratartouille“ lancierte, gab es viel Kritik. Die drei Final-Teilnehmer zeigen: Keine der Befürchtungen hat sich bewahrheitet. mehr

Kolumne

Geht das gut?

Mit den Öffnungsschritten inmitten steigender Infektionszahlen geht die Politik ins Risiko. Man kann daran verzweifeln. Oder seinen eigenen Teil dazu beitragen, die Gefahr zu minimieren. Ein Appell. mehr

Kolumne

Man müsste mal

Auf ins Abenteuer: Es gibt so viele Dinge im Leben, die man mal tun müsste. Aber dann kommt doch wieder irgendwas anderes dazwischen. Eine Kolumne zwischen Lebenslust und Sofa-Bequemlichkeit. mehr