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Keine Angst vor dem Wandel

Keine Angst vor dem Wandel
Auf der Suche nach der Zukunft der Arbeit: Bei der Diskussionsrunde des Historischen Museums sprachen Daniel Werner, Leiter Amt für Wirtschaft des Kantons Thurgau, Dominik Schnetzer, Moderator, Stefan Keller, Historiker & Journalist, sowie Stefan Pabst, Zukunftsforscher miteinander. | © Michael Lünstroth

Wie sieht die Arbeitswelt von morgen aus? Eine Diskussion des Historischen Museums versuchte eine Annäherung und verlor sich in der Vielschichtigkeit des Themas

Von Michael Lünstroth

Eigentlich war alles angerichtet für einen spannenden Abend. Das Historische Museum hatte im Rahmen seiner neuen Sonderausstellung „Schreck & Schraube“ zur Industriegeschichte des Thurgau am Donnerstagabend zu einer Podiumsdiskussion mit dem Titel „Roboter, Migration und Auslandsproduktion. Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus?“ geladen. Ein Thema, das gerade rauf und runter diskutiert wird, weil die Arbeitswelt von morgen ja doch irgendwie die meisten Menschen betrifft. Trotzdem kamen an diesem sonnigen Abend gerade mal rund 40 Zuhörer ins Rathaus Frauenfeld, um der Debatte zu folgen. 

Man wolle die Aktualität mit der Geschichte verbinden, sagte Moderator Dominik Schnetzer zu Beginn der Veranstaltung. Entsprechend hatte der Kurator von "Schreck & Schraube" das Podium ausgewählt. Die Gäste standen für die verschiedenen Zeitebenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Jeder sollte seinen Teil beitragen. Der Journalist und Historiker Stefan Keller war naturgemäss für den Blick zurück zuständig, Daniel Wessner, Leiter Amt für Wirtschaft des Kantons Thurgau, beschrieb die aktuelle Praxis und Situation in Thurgauer Betrieben und der Zukunftsblick schliesslich hing an dem Zukunftsforscher Stefan Pabst vom Zukunfts-Think-Tank „W.I.R.E“.

Viele Themen standen auf der Agenda, vielleicht zu viele

Pabst bemühte sich sogleich darum, die aktuelle gesellschaftliche Diskussion über das Thema etwas runterzukühlen: „Die Ängste, die in einigen Medien vor den Entwicklungen geschürt werden, sind massiv übertrieben.“ Er warnte auch davor, alle Meldungen, die derzeit kursierten für bare Münze zu nehmen, da sei vieles noch nicht so weit, wie es bisweilen behauptet werde. Als Beispiel führte er die Debatte um selbstfahrende Autos an: „Bis hier in Frauenfeld selbstfahrende Autos unterwegs sind, dauert es mindestens noch 30 Jahre“, so der Zürcher Zukunftsforscher.

Was folgte war ein Abarbeiten einiger Themen, die auch in der Ausstellung des Historischen Museums im Alten Zeughaus eine Rolle spielen. Wie steht es um die Eigenverantwortung jedes Einzelnen, sich für die neue Berufswelt fit zu halten? (Daniel Wessner hielt dies für essentiell für die Zukunft) Was bedeutet Fortschritt eigentlich? (Stefan Keller wies darauf hin, dass Fortschritt lange immer positiv gewertet wurde, dabei sei diese Entwicklung immer ambivalent gewesen mit Gewinnern und Verlierern) Wie wichtig wird künftig Mobilität sein? (Sehr, fand Stefan Pabst, die Süd-Nord-Migration werde anhalten, aber auch die Städte werden als Zentren von Innovation und kulturellem Leben weiter Menschen anziehen). Können die neuen Technologien auch neue Arbeitsplätze in der Schweiz schaffen? (Stefan Pabst hält eine Re-Industrialisierung für möglich, weil Roboter schliesslich überall gleich viel kosteten; eine Verlagerung von Arbeitsplätzen hänge künftig stärker damit zusammen, wo technisches Know-how vorhanden ist.) Kinderarbeit, verantwortungsvoller Konsum und Überfremdungsängste waren weitere Themen, die anklangen. Für die Diskussion war diese Fülle ein Problem, weil es schlicht zu viele grosse Themen waren, als, dass man sie in diesem Format auch nur annähernd in der Tiefe hätte besprechen können. 

"Ich hoffe, wir alle arbeiten zukünftig weniger": Zukunftsforscher Stefan Pabst auf dem Podium des Historischen Museums."Ich hoffe, wir alle arbeiten zukünftig weniger": Zukunftsforscher Stefan Pabst auf dem Podium des Historischen Museums. Bild: Michael Lünstroth

So geriet auch das eigentliche Thema des Abends - die Zukunft der Arbeit - ein bisschen unter die Räder. Erst am Ende der Veranstaltung kam Moderator Dominik Schnetzer nochmal darauf  zurück, als er seine Gesprächspartner konkret nach der Arbeitswelt von morgen befragte. Arbeit werde sich weiter individualisieren, es werde immer mehr flexible Arbeitsmodelle geben, meinte zum Beispiel Daniel Wessner vom Thurgauer Wirtschaftsamt. Inhaltlich werde sich die Arbeit noch schneller verändern, „das Tempo wird weiter zunehmen“, so Wesner. Eine Konsequenz für ihn daraus: „Wir müssen uns noch mehr als bislang der Frage stellen, wie wir mit den Verlierern dieser Entwicklung umgehen? Wie wir jenen Menschen eine Chance geben, die das Tempo nicht halten können.“ Das bedingungslose Grundeinkommen sei da ein Modell, über das sich nochmal nachzudenken lohnte, sagte Wesner.

Profitieren nur die Unternehmen von den Produktivitätsfortschritten?

Eine gerechtere Verteilung mahnte der Historiker Stefan Keller an. Angesichts der zu erwartenden Produktivitätsfortschritte durch neue Technologien in Zukunft müsse man auch die Frage stellen, wer davon profitiere: „Schöpfen das nur die Unternehmen ab oder bleibt da auch etwas für uns Arbeitende übrig?“ Dass das ganze Thema eben keine reine Wirtschaftsangelegenheit sei, betonte auch Zukunftsforscher Stefan Pabst: „Der Solidaritätsgedanken in unserer Gesellschaft bröckelt. Wollen wir nicht massive Konflikte riskieren, müssen wir fundamental daran arbeiten, unsere Solidarität miteinander zu stärken.“ Wie das genau gehen sollte, führte er allerdings nicht mehr aus. Dafür äusserte er eine andere Hoffnung: „Technologie war immer dafür da, den Menschen zu entlasten. Deshalb hoffe ich, dass wir in Zukunft alle weniger arbeiten müssen.“ Angesichts steigender Zahlen bei Erkrankungen wie Belastungs-Depressionen sei das eine wichtige Entwicklung. Am Ende der Veranstaltung blieb das Bild von der Zukunft der Arbeit einigermassen vage. Immerhin gab es noch einen Tipp vom Zukunftsforscher, wie wir mit all den Unsicherheiten umgehen sollen: „Wir müssen den Wandel als Teil unseres Lebens akzeptieren. Wem das gelingt, der hat auch keine Angst mehr vor neuen Entwicklungen.“

"Wir müssen uns auch die Frage stellen: Was wird aus den Verlierern der Entwicklung?": Daniel Wesner in der Diskussion des Historischen Museums im Rathaus Frauenfeld."Wir müssen uns auch die Frage stellen: Was wird aus den Verlierern der Entwicklung?": Daniel Wesner in der Diskussion des Historischen Museums im Rathaus Frauenfeld. Bild: Michael Lünstroth

Termine: Im Rahmen der Ausstellung "Schreck & Schraube" finden weitere Veranstaltungen statt. Zum Beispiel am Donnerstag, 24. Mai, 18 Uhr, mit einem Vortrag zum Thema "Ohne sie steht alles still. Frauenpower im Zeitalter der Industrialisierung". Das komplette Rahmenprogramm im Überblick gibt es hier

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