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von , 26.04.2018

Warum wir Romane lesen

Warum wir Romane lesen
Nicola Steiner (links) liest aus einem der mitgebrachten Bücher vor. Durch den Abend führt Moderatorin Judith Zwick. | © Julia Christiane Hanauer

Die SRF-Literaturclub-Moderatorin Nicola Steiner erzählt in «ausLESE», einer Veranstaltung der Stadtbücherei Konstanz, über ihre Begegnungen mit Verlagsgründer Daniel Keel, welche Bücher sie geprägt haben und geht der Frage nach, was Literatur ausmacht und woran man gute Literatur erkennt. Ein kurzweiliger, interessanter und ambitionierter Abend, gespickt mit Anekdoten, und moderiert von Judith Zwick.

Von Julia Christiane Hanauer

Gleich zu Beginn legt Nicola Steiner ein Geständnis ab. „Ich kann mir keine Titel merken“, gibt sie zu, nachdem sie vergeblich überlegt hat, von welchem Buch sie gerade spricht. An Inhalt und Autor kann sie sich erinnern, der Titel aber will ihr einfach nicht einfallen. Ein sympathischer Zug, der ihr auch die ersten Lacher aus dem Publikum sichert.

Woran sie sich jedoch sehr gut erinnert, das sind die Bücher, die sie geprägt haben. Da gab es zu Anfang eine schwedische Autorin, deren Namen für Kinderliteratur schlechthin steht: Astrid Lindgren. Später folgten vor allem die russischen Klassiker von Tolstoi, Tschechow und Dostojewski. Als „das Buch meines Lebens“ bezeichnet sie Hermann Hesses „Narziss und Goldmund“. „Aber ich habe diese Bücher nicht mehr gelesen, aus Angst, dass der Rausch nicht mehr da ist“, erzählt sie.

Das ist es auch, was für sie gute Literatur ausmacht, die Frage: Packt mich der Roman? Nach rund 30 Seiten könne sie sagen, ob ihr ein Buch gefällt oder nicht. Allerdings, so meint sie, benötigten manche Bücher auch eine zweite Lektüre. „Das sind die interessantesten Werke“, man könne dabei eine „Erkenntnis der Ästhetik“ erlangen. Lesen, das gehört zu ihrem Beruf. Doch wie schafft man es, aus der Masse an Büchern Werke herauszusuchen, um sie dann im Literaturclub vorzustellen, fragt Judith Zwick. Jeder Gast würde Vorschläge machen, zudem werden Titel vorgestellt „die wir für wichtig erachten“. Literatursendungen seien im Feuilleton nicht sehr beliebt, meint Steiner. Sie sieht diese jedoch nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zum Feuilleton und auch die Zielgruppe sei nicht die gleiche. „Je mehr Leute man mit Literatur erreicht, desto besser“, ist ihre Meinung.

Gründer des Diogenes-Verlages hat Steiner geprägt

Mit dabei hat die mit ihrer Familie in Zürich lebende Steiner zwölf Bücher, die sie vorstellen möchte, darunter „Lustig ist das Verlegerleben. Briefe von und an Daniel Keel“. Herausgegeben wurde dieses Werk von Daniel Kampa – und Nicola Steiner. Sie arbeitete als freie Mitarbeiterin für den Gründer des Diogenes-Verlags und las ihm vier Jahre lang bis zu seinem Tod täglich vor – Manuskripte, Briefe, Zeitungen. In einem Schrank habe er eine Ansammlung unzähliger Briefe gehabt, unter anderem von Loriot, Bernhard Schlink oder Patrick Süskind. Sie habe sie lesen und zum 80. Geburtstag Keels eine Sammlung von 136 Briefen herausgeben dürfen. Der Verleger war eine Person, die Steiner sehr geprägt hat. „Sein Blick hat meinen Blick auf Literatur sehr verändert“, erzählt sie. „Ich habe durch ihn den Mut gefunden, eine eigene Meinung zu entwickeln.“

Auch „Buch der Erinnerung“ von Marcel Cohen gehört zu Nicola Steiners Empfehlungen.Auch „Buch der Erinnerung“ von Marcel Cohen gehört zu Nicola Steiners Empfehlungen. Bild: Julia Christiane Hanauer

Als „ein Buch mit Langzeitwirkung“ bezeichnet Steiner die beiden Werke „Was ich sonst noch verpasst habe“ und „Was wirst du tun, wenn du gehst“ von Lucia Berlin. Vor zwei Jahren las Steiner das erste Buch, die beschriebenen Bilder seien auch heute noch präsent, erzählt sie. Die amerikanische Autorin, die im Jahr 2004 im Alter von 68 Jahren starb, litt an Skoliose und hatte auch ansonsten kein leichtes Leben. In ihren Romanen zeichne sie „ungewöhnliche und treffende Bilder, präzise wie ein Skalpell“, beschreibt die SRF-Moderatorin. Ein Grund, warum wir Romane lesen, sei, um „mehr über die Welt zu erfahren“ und eine neue Ebene, einen Erkenntnisgewinn daraus abzuleiten, ist die Literaturkennerin sicher.

An Peter Stamms neuem Roman scheiden sich die Geister

Während sich Steiner und Zwick im Grossen und Ganzen recht einig sind, kommt es bei Peter Stamms „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“ zu Unstimmigkeiten. Während Steiner hier die philosophische Frage sieht, ob das Leben einfach passiert oder man es beeinflussen kann, bezeichnet Zwick es als „Zumutung“, das sie gelangweilt und bei dem sie bei keinem Satz gedacht habe, „das ist ja interessant“. Ein Anklang dessen, was auch ein wenig Literaturclub sein könnte.

Es ist ein kurzweiliger Abend mit viel Humor und gespickt mit zahlreichen Anekdoten. Zu ambitioniert ist es jedoch, in eineinhalb Stunden zwölf Bücher und relevante Fragen zur Literatur und zum Lesen besprechen zu wollen. Am Ende wird die Zeit knapp, ein Teil der Bücher im Schnelldurchgang vorgestellt. Ein etwas hektischer Schluss für einen ansonsten kurzweiligen Veranstaltungsabend.

Zur Person

Nicola Steiner studierte Sprachen sowie Wirtschafts- und Kulturraumstudien in Passau. Anschliessend arbeitete sie bei den Verlagen Hanser in München und Schöffling & Co. in Frankfurt. 2003 fing sie bei der Zeitschrift „Du“ in Zürich an. Seit 2008 ist sie Mitglied der SRF-Literaturredaktion und moderiert seit vier Jahren den „Literaturclub“. Zudem produziert sie Radiosendungen, unter anderem die Literatur-Hintergrundsendung «52 beste Bücher» auf SRF 2 Kultur.

 

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