Seite vorlesen

von Daniel Badraun, 30.09.2016

Olli und Eric auf der Überholspur

Olli und Eric auf der Überholspur
Wunderbar poetisch ist der Tanz von Kugel- und Drachenfisch (Olli Hauenstein und Eric Gadient). | © Daniel Badraun

In der Theaterwerkstatt Gleis 5 hinter dem Frauenfelder Bahnhof geht am 29. September die Premiere des Stücks „Clown Syndrom" über die Bühne. Eric Gadient ist Schauspieler mit Down-Syndrom, Olli Hauenstein ist ein erfahrener Clown. Zwei unterschiedliche Voraussetzungen, die eine erfrischende Mischung ergeben.

Daniel Badraun

Hinter dem Frauenfelder Bahnhof deutet nichts auf einen Theaterabend hin. Im Halbdunkel des Parks sitzen Jugendliche beim Feierabendbier, schwatzen und rauchen. Weiter drüben dann ein kleines Schild, das den Weg hinauf zur Theaterwerkstatt weist. Ein Passant fragt, ob er hier wohl richtig sei. Nach einer kurzen Steigung das Gebäude, in dem früher an Loks herumgeschraubt wurde. Eine Ansage vom Bahnhof her erzählt von Städten, in die bald Züge fahren werden. Das Gleis 5 führt auf ein grosses Tor zu, die Schienen verlieren sich unter dem Publikumsraum.

Ober- und Unterschiedlich

Ein Mann betritt die Bühne. Schwarzer Hut, schwarze Weste, weisses Hemd. Es ist der Musiker Andreas Kohl, der musikalische Leiter am Stadttheater Konstanz. Er setzt sich ans Klavier und spielt Ragtime. Sonst gibt es nicht viel zu sehen. Neben dem Klavier stehen einige verhüllte Gestelle. Die Türe zum Publikumsraum geht nochmals auf. Und da sind Olli und Eric. Oder Eric und Olli.

„Ich bin Oberschiedlich", sagt Eric, der eine weite Hose und riesige Schuhe trägt. „Und ich Unterschiedlich", sagt Olli. Ausserdem hat er Hunger und will unbedingt essen. Sofort ist man mitten im Stück. Zum Glück haben die beiden Clowns Angelzeug dabei. Obwohl das Publikum zur Geräuschkulisse von Andreas Kohl wunderbare Wellen formt, ziehen die beiden Fischer nur gerade eine mit Wasser gefüllte Pistole aus dem Meer.

Die beiden Clowns brauchen nicht viele Worte. Kurze englische und deutsche Sätze führen durch die Szenen. Englisch kann Eric gut, denn er verbrachte seine ersten Lebensjahre in New Yersey. „Ocean, aber no fish", sagt Olli. „No fish", seuft Eric. „Aber mir händ abgmacht, dass es jetzt en Tanz git", hilft Olli mit einer Regieanweisung weiter.

 



Andreas Kohl, der Herr der Töne, gibt Gas am Klavier. Und so wechseln sich stillere und sehr bewegte Szenen ab. Und auch nach dem Tanz sind Olli und Eric immer noch hungrig. Aus einer Kühlbox wird ein Pferd, nach einem Ausflug in den Wilden Westen landen die Clowns in der Küche. Olli fällt die Treppe hinunter und die Suppe landet im Zuschauerraum.

Aus der Konservenbüchse an den Tatort

Oli und Eric verstehen sich ausgezeichnet. Ein kurzer Blick, eine Geste, die Künstler sind perfekt aufeinander eingespielt. Sie haben einen langen Weg hinter sich, der mit ersten Stegreifszenen begann und im Laufe eines Jahres zu einem fertigen Stück führte. Diese Arbeit braucht viel Fingerspitzengefühl und Achtsamkeit. Olli Hauenstein scheint über einen unermesslichen Vorrat davon zu verfügen. So kommt es, dass die beiden Clowns ebenbürtig sind und keiner dem anderen die Show stielt.

„Are you ok?", fragt Eric seinen Partner immer wieder. „Yes, but I'm hungry", kommt die Antwort von Olli. Eingeklemmt in der Büchse der Sardinas Comicas singen Olli, Eric und ein silberner Hai als herzerweichendes Trio den Schlager „Cucurucucu, Paloma. Aiaiaiaiai cantare..." Danach wird es Zeit für ein Selfie. Bevor das Bild richtig im Kasten ist, läutet das Handy.

Szenenwechsel. Mit langen Regenmänteln und Schlapphüten werden aus den beiden Clowns Detektive. „Ich bin Sherlock Holmes", sagt Eric. „Und ich Whats Up", sagt Olli, der die Sardinenbüchse zum Jeep umfunktioniert. Am Tatort wird Absperrband ausgerollt. In einer schummrigen Ecke liegt ein, mit einem Flaschenputzer getöteter Fisch.

Intensiv, wunderbar, leise und lustig

Und schon wechselt wieder die Szenerie. Mit wenigen Requisiten und einer raffinierten Lichtführung schaffen Olli und Eric neue Stimmungen. Hochkonzentriert hangeln sich die beiden Clowns durch eine Fülle von Episoden, Missgeschicken und Bildern. Eine verspielte Geschichte zieht am Publikum vorbei, die leicht daherkommt, ohne dass sie vergessen lässt, was die beiden Clowns auf dem Weg hierher geleistet haben. Wunderbar poetisch ist der Tanz von Kugel- und Drachenfisch, der gleich darauf zum chinesischen Nudelessen führt, bei dem die Teller auf Stäben kreisen.


Restlos zufrieden nach der Premiere: Olli und Eric. Bild: Daniel Badraun

 

Es ist ein intensiver wunderbarer Theaterabend, an dem das Publikum viel lachen kann. An dem auch leisere Töne ihren Platz haben. Und an dessen Ende Olli Hauenstein und Eric Gadient so viel Applaus entgegennehmen können, dass sich Oberschiedlich und Unterschiedlich in Gitarrengötter verwandeln und noch eine Hardrockparodie als Zugabe anhängen.

 

***


Theaterwerkstatt Frauenfeld; 30.9. bis 2.10., Fr/Sa 20, So 16 Uhr; Ende Oktober auch im Kulturforum Amriswil. Tournéeplan siehe www.clown-syndrom.ch

 

 

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Bühne

Kommt vor in diesen Interessen

  • Kritik
  • Schauspiel
  • Show

Werbung

Hinter den Kulissen von thurgaukultur.ch

Redaktionsleiter Michael Lünstroth spricht im Startist-Podcast von Stephan Militz über seine Arbeit bei thurgaukultur.ch und die Lage der Kultur im Thurgau. Jetzt reinhören!

15 Jahre Kulturkompass

Jubiläumsstimmen und Informationen rund um unseren Geburtstag.

#Kultursplitter - Agenda-Tipps aus dem Kulturpool

Auswärts unterwegs im August/September - kuratierte Agenda-Tipps aus Basel, Bern, Liechtenstein, St.Gallen, Winterthur, Luzern, Zug und dem Aargau.

Jetzt bewerben!

Die Schweizer Künstlerbörse bietet Künstler:innen und Formationen aus dem Bereich der darstellenden Künste die Möglichkeit, mittels Kurzauftritten ihre aktuellen Produktionen zu präsentieren.

Bewegungsbegeisterte Menschen gesucht!

Die Performance Künstlerin Micha Stuhlmann sucht für ihr neues Projekt "Frühlingserwachen der Zwischenweltwesen" Performerinnen und Performer.

Ausschreibung für eine lokale Koproduktion im Phönix Theater

Bewerben können sich Gruppen und Künstler:innen mit Schwerpunkt Tanz und eindeutigem Bezug zum Thurgau.

Kongress Kulturjournalismus

Das Ostschweizer Kulturmagazin Saiten stellt am 21. September die Zukunft des Kulturjournalismus ins Zentrum.

Kunstwettbewerb: Skulptur für SOPHIA-Garten

Die Spitalstiftung Konstanz und die Werner-Schupp-Stiftung Konstanz schreiben einen Kunstwettbewerb aus. Vorschläge für den SOPHIA-Garten können bis zum 30. Oktober 2024 eingereicht werden.

Offene Stellen Kulturmagazin Coucou

Das Winterthurer Kulturmagazin sucht eine neue (Co)Verlagsleitung, 30-40% und Freischaffende Autor:innen. Zu den Stellenbeschrieben geht es hier:

Ähnliche Beiträge

Bühne

Walter Andreas Müller schlüpft in die Rolle des Papstes

Gelegenheit macht Diebe: Wieso also nicht den Papst persönlich kidnappen? arttv.ch war bei den Schlossfestspielen Hagenwil. mehr

Bühne

Auf der Suche nach Adolf Dietrich

Der Regisseur und Stückeschreiber Oliver Kühn erweckt den Künstler Adolf Dietrich mit seinem «Theater Jetzt» in Berlingen zu neuem Leben. mehr

Bühne

Kindermärchen in Schloss Hagenwil

«Hänsel und Gretel» muss nicht so grausam sein, wie von den Brüdern Grimm aufgeschrieben. Bei den Schlossfestspielen hat Regisseur Florian Rexer die Geschichte behutsam modernisiert und entstaubt. mehr