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von Inka Grabowsky, 22.06.2017

Ein Buch zum Jubiläum

Ein Buch zum Jubiläum
Die junge Historikerin Sandra Biberstein hat sich der Mammut-Aufgabe gestellt. Von März 2016 an durchstöberte sie die 200 Pappkisten im Archiv der Stiftung Kartause Ittingen nach Wichtigem und Erzählenswerten | © Inka Grabowsky

Zum 40. Gründungstag macht sich die Stiftung Kartause Ittingen selbst ein Geschenk: Sie liess die Ereignisse der vergangenen vier Jahrzehnte in einem Buch aufarbeiten.

Von Inka Grabowsky

Die junge Historikerin Sandra Biberstein hat sich der Mammut-Aufgabe gestellt. Von März 2016 an durchstöberte sie die 200 Pappkisten im Archiv der Stiftung nach Wichtigem und Erzählenswerten. „Ich dachte anfangs, aus meiner Arbeit würde eine fünfzigseitige Broschüre entstehen", sagt die Studentin, „aber ich fand immer mehr Material. Nun wurde es ein Buch von 180 Seiten." Nach all der Arbeit wäre eine simple Broschüre auch nicht angemessen gewesen, ergänzt die Kommunikationschefin Corinne Rüegg Widmer: „Wertvolles Wissen verdient ein schönes Buch." Der Procurator und Geschäftsführer der Stiftung, Heinz Scheidegger, sieht es pragmatisch. „Wir haben im Eigenverlag 1200 Bücher drucken lassen und hoffen, damit die Kartause den Menschen wieder mehr ins Gedächtnis zu rufen." Dieser Wunsch entstand aus aktuellem Anlass. Rund ein Drittel der Dächer der Klosteranlage ist sanierungsbedürftig – eine Fläche von 10 000 Quadratmetern. Einen Teil der dafür notwendigen Mittel kann die Stiftung aus Rücklagen übernehmen, sie ist aber auch auf Spenden angewiesen. Deshalb gibt es einen Jubiläumsfonds, in dem sich eine Million Franken an Spendengeldern sammeln soll.

Kartause Ittingen Südtor vor der Gründung der StiftungDas Südtor der Kartause Ittingen vor der Gründung der Stiftung. Bild: Kartause Ittingen

"In der Vergangenheit hat die Ostschweizer Bevölkerung bereits viel Solidarität mit der Kartause gezeigt. Genau das belegt das Buch von Sandra Biberstein. 1977 lief die Kampagne „Üsi Kartuus – Üsi Ufgoob" mit der die Schweizer aufgefordert wurden, für die Erhaltung der einzigartigen Gebäude zu spenden. In jedem Schulzimmer hing ein entsprechendes Plakat. Für den Kauf der Anlage von der Familie Fehr, die hier über hundert Jahre Landwirtschaft betrieben hatte, brauchte die neugegründete Stiftung etwa sechs Millionen Franken. Für die Einrichtung der Museen, des Tecums, der Werkstätten, der Gastwirtschaft, der Seminarräume und vor allem für die Restaurierung wurde aber ein Vielfaches dieser Summe benötigt. Die Dächer waren undicht, die Keller nass, Mauern verfallen, die Wände von Schimmel befallen. Und das alles musste nach den strengen Richtlinien des Denkmalschutzes behoben werden. „Eigentlich war es ein Fass ohne Boden", sagt Procurator Scheidegger im Rückblick. „Deshalb waren vor der Stiftung auch alle Kaufinteressenten wieder abgesprungen."

Geld aus allen Richtungen

Die Stiftung hat das Ziel, die Kartause Ittingen zu bewahren und zu beleben. Der Kanton und die Kirchen standen aus eigenen Interesse hinter diesem Ziel. Den Gründern der Stiftung gelang aber auch das Kunststück, die Bevölkerung mit ins Boot zu holen. Gegen einen bescheidenen Jahresbeitrag kann man Mitglied werden. „In der Anfangszeit gab es eine lebenslange Mitgliedschaft auch mal gegen Handwerksarbeiten, die nicht berechnet wurden", erzählt Scheidegger. Man konnte sich aber auch immer unverbindlich an den Kosten beteiligen: Sammelaktionen machten die Kartause bekannt und brachten allein zwischen Juni 1977 und 1978 rund eine dreiviertel Million Franken zusammen. Das allerdings wurde getoppt durch ein legendäres Treffen am 20. November 1978. Das sogenannte Patronatskomitee aus Vertretern der Schweizer Wirtschaft stellte innerhalb von zehn Minuten 3,7 Millionen Franken zur Verfügung. Sandra Biberstein hat für das Buch den damaligen Procurator Robert Fürer nach seinen Erinnerungen dazu befragt. „Während sich die Unternehmer nicht sicher gewesen seien, ob sie diese ‚riskante Sache' unterstützen sollten, sei Hortense Anda-Bührle aufgestanden, habe ihre Handtasche geöffnet und einen Scheck über eine Million ausgefüllt." Damit war der Damm gebrochen.

Gegen die Expertenmeinung

Der Erfolg der Stiftung mit ihren unterschiedlichen Partnerbetrieben war tatsächlich nicht vorherzusehen. Ernst Mühlemann, Direktor der Schweizer Bankgesellschaft und Leiter des Ausbildungszentrums Wolfsberg, hatte die Gründer gewarnt, wie Biberstein beschreibt. Seiner Ansicht nach könne es nicht funktionieren, wenn in einer Betriebsleitungssitzung ein Agronom, eine Kunsthistorikerin, ein Sozialpädagoge und ein Hoteldirektor an einen Tisch sitzen. „Doch genau das macht uns heute aus", sagt Corinne Rüegg Widmer. „Wir haben verschiedene Standbeine, und wir stützen uns gegenseitig." „Gleichzeitig hatte Mühlemann auch recht", räumt Heinz Scheidegger ein. „Mitunter gibt es Verständigungsprobleme. Aber dann müssen wir sie eben ausräumen." Der neunte Band der Ittinger Schriftenreihe „Vier Jahrzehnte Stiftung Kartause Ittingen 1977 bis 2017" von Sandra Biberstein wird am 25. Juni im Rahmen eines Festes den Stiftungsmitgliedern offiziell vorgestellt. Er kann aber jetzt schon im Buchhandel bestellt werden, ist im Klosterladen und im Webshop der Kartause für 36 Franken erhältlich. Dort gibt es auch den gerade erschienenen Band 8 der Ittinger Schriftenreihe: „Vom Wein und vom Wohlstand" (ISBN 978-3-033-06217-7). Ende September wird das 40-Jahr-Jubiläum noch mit einem Fest für die Bevölkerung gefeiert.

Grosser Kreuzgang in der Kartause Ittingen in den 1970er Jahren

Grosser Kreuzgang in der Kartause Ittingen in den 1970er Jahren. Bild: Kartause Ittingen

So sieht das Buch zu 40 Jahre Stiftung Kartause Ittingen aus

So sieht das Buch zu 40 Jahre Stiftung Kartause Ittingen aus. Bild: Inka Grabowsky

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