von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 06.11.2017
Willkommen im Mittelalter
Zeitungen, die ihre eigenen Journalisten mundtot machen und Poltiker, die Reporter an die Leine nehmen wollen. Warum man sich Sorgen machen muss um die Meinungsfreiheit
Man wundert sich ja immer wieder zu welch grotesken Fehlentscheidungen gut bezahlte und intelligente Menschen in den Chefetagen von Unternehmen in der Lage sind. Jüngstes Beispiel: Zürich. Die Neue Zürcher Zeitung hat entschieden, dass die langjährige Gerichtstreporterin Brigitte Hürlimann keine Artikel für das Blatt mehr schreiben darf. Gut, die angesehene Journalistin hatte ohnehin ihren Vertrag auf Ende Jahr längst gekündigt. Sie wechselt zu März 2018 zu „Plädoyer“. Aber solch ein Ende eines 24-jährigen Dienstverhältnisses ist nicht nur unschön, sondern komplett überflüssig.
Was war passiert? In mehreren Beiträgen hatte sich Hürlimann, die auch Präsidentin der NZZ-Personalkommission ist, kritisch über die aktuellen Zustände im Verlag geäussert. «Was hier passiert, ist eine Säuberungswelle», sagte sie in der WOZ. Die einen würden entlassen, den anderen werde das Leben schwer gemacht, bis sie gehen. Den Dritten, vor allem den jungen Frauen, werde gesagt, sie hätten keine längerfristige Perspektive. Im Schweizer Medienmagazin „Editio“ hatte sie zuvor schon beklagt, dass die Gerichtsberichterstattung in den Medien stiefmütterlich behandelt werde. Sie bezog sich dabei nicht explizit auf die NZZ, aber wer wollte, konnte es natürlich so lesen.
Nach aussen beissen, nach innen brav sein. Wie soll das bitte gehen?
Nun muss man dazu sagen - andere Arbeitnehmer, die sich in dieser Art öffentlich über ihren Arbeitgeber äusserten, müssten auch mit Sanktionen rechnen. Der Unterschied ist freilich - man kann die Medienbranche nicht mit jeder anderen Branche vergleichen. Meinungsfreiheit muss gerade in Tendenzbetrieben wie den Medien einen besonderen Schutz geniessen. Alles andere wäre auch absurd. Das ist ja eines der Kernprobleme des privatwirtschaftlichen Journalismus: Von Verlagschefs und Chefredakteuren wird immer gefordert, dass Journalisten harte Hunde sein müssen und kräftig zubeissen können sollten. Sobald es aber um die eigenen Interessen geht, wollen viele Verantwortliche in Medienhäusern davon nichts mehr wissen. Da ist dann der angepasste, brave, nicht nachfragende und nicht aufmuckende Arbeitnehmer doch irgendwie angenehmer. Wer es wagt, auch intern so kritisch zu sein wie extern, der gerät schnell aufs Abstellgleis.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Für die Betroffenen ist das extrem frustrierend, weil sie doch nur das tun, was immer von ihnen gefordert wird - kritisch sein. Wenn das nur noch zur Teilzeit-Anforderung an den Job wird, dann steht es um den Journalismus schlecht. Die Medienhäuser müssen verstehen: ein bisschen kritisch gibt es nicht. Das gibt es nur in der vollen Dosis. Zum Glück gibt es immer noch Journalisten, die ihre Wachsamkeit und ihren kritischen Blick nicht am eigenen Verlagseingang einstellen. Die Gefahr ist aber, dass es immer weniger werden, wenn Verlage weiterhin so brachial gegen eigene Mitarbeiter vorgehen. Für Brigitte Hürlimann ist das Kapitel NZZ nun schon früher beendet als geplant. Via Twitter erklärte sie vergangene Woche: „Update: ab Freitagabend freigestellt. Das relativiert das Schreibverbot bzw. in dieser Kombination wird's akzeptabler. Vorher war's absurd.“ Viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Dass sich im 21. Jahrhundert tatsächlich noch leitende Redaktoren in Europa dazu versteigen, Schreibverbote zu erteilen, ist kaum zu begreifen. Es ist schlichtweg dumm. Medienhäuser, die so handeln, schaden sich selbst am meisten damit. Denn: Ein Verlag, der von sich aus Journalistinnen und Journalisten kalt stellt, sei es aus wirtschaftlichen Erwägungen oder weil man in den Chefetagen fürchtet, die Gunst eines Politikers zu verlieren, der erleidet unweigerlich einen Imageschaden in Sachen Glaubwürdigkeit, der kaum mehr zu kaschieren ist. Dass dies keine Rolle vor der Entscheidung über derlei Sanktionierungen spielt, ist auch kein beruhigendes Zeichen für die Branche.
Ein hilfloser Anti-Fake-News-Versuch in Frauenfeld
Wie man sich sonst blamieren kann, hat der Frauenfelder Gemeinderat unlängst bewiesen. Ein neuer Passus des Geschäftsreglements sieht vor, dass man Journalisten die Sitzungszulassung zu den öffentlichen Tagungen des Gremiums entziehen kann. Dafür muss man zuerst „unzutreffende Angaben über die Verhandlungen“ veröffentlicht haben und diese dann nicht „unverzüglich“ und „kostenlos“ berichtigen. Es ist der ziemlich hilflose Versuch dem Phänomen Fake-News zu begegnen. Die Medien, so die Erklärung der Befürworter der neuen Regel, sollen so stärker in die Pflicht genommen werden. Einen aktuellen Anlass dazu gebe es nicht, der Passus sei „auf Vorrat“ niedergeschrieben worden, berichtet die Thurgauer Zeitung.
Langsam muss man sich wirklich Sorgen machen um den Journalismus. Zeitungen, die ihre eigenen Journalisten mundtot machen und Poltiker, die Reporter an die Leine nehmen wollen. So war das alles mit der Meinungsfreiheit damals nicht gemeint.
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