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Was für ein Irrsinn

Was für ein Irrsinn
Quizfrage: Was haben Bob Marley, Kelly Clarkson und Papa-Roach-Sänger Jacoby Shaddix gemeinsam? Durch ihre Songs wurden Investoren reich. | © B. Erdödy/Ueli Frey/Kathy Reesey/Wikicommons

Wirtschaft und Kultur - das Verhältnis galt mal als maximal distanziert. Enthüllungen aus den „Paradise Papers“ zeigen, dass das auf absurde Weise längst überholt ist.

Rock, Pop, Reggae, Soul, Jazz und das Beste von heute. Was lange maximal noch als abgegriffener Slogan für Radiostationen durchging, könnte man nun auch über einen Steuerschwindel schreiben, der Künstler, Musikindustrie und Verlage auf ungute Weise mit merkwürdigen Geschäften in Verbindung bringt. Worum geht es also? Um den Handel mit Musikrechten und die Frage, wer mit künstlerischen Werken, wie Geld verdienen kann. Grundsätzlich ist es so - wer die Rechte an einem Werk besitzt, kann aus der Kunst auch die Kohle schöpfen. Immer, wenn ein Musiktitel beispielsweise irgendwo im Radio, in einer Diskothek, im Aufzug, im Supermarkt oder sonstwo öffentlich gespielt wird, bringt er Geld ein. In der Schweiz treibt etwa die Suisa, die Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik, diese Gebühren für die Rechtebesitzer ein. Das Urheberrecht war in diesem Sinne mal dafür da, Schöpfer künstlerischer Werke zu schützen. So weit, so gut.

Daraus wurde in den vergangenen Jahren immer mehr ein Geschäft für Investoren, wie nun Recherchen eines internationalen Journalistenkollektivs um die Süddeutsche Zeitung zeigen. Ein Randaspekt der so genannten „Paradise Papers“ beleuchtet diese Praktiken ausführlich. Möglich wurde es, weil Verlage und Künstler immer mehr dazu übergingen, die eigenen Rechte zu veräussern. Ein Beispiel: Michael Jackson hat schon 1985 für 47,5 Millionen Dollar viele Songs der Beatles gekauft, im vergangenen Jahr verkauften die Jackson-Erben die Rechte weiter - für 750 Millionen Dollar an Sony. Oder: 153 Songs von Sheryl Crow wechselten 2009 den Besitzer - für 14 Millionen Dollar. Geld verdienen konnte man mit diesem Handel also schon immer. 

Bis zu 15 Prozent Rendite: Da frohlockt der Investor

Was allerdings neu ist, dass einige der Investoren ihre so genannten Musikkataloge bündelten und in Steueroasen umsiedelten, um so möglichst wenig Steuern auf die Gewinne zahlen zu müssen. Nach Recherchen der investigativen Journalisten hat ein von ihnen untersuchter Musikkatalog alleine in den Jahren von 2010 bis 2012 etwas 4,6 Millionen Dollar pro Jahr umgesetzt. Steuern wurden darauf aber offenbar ganz wenig gezahlt. 26 000 Songs soll es in diesem Katalog gegeben haben. Darunter Klassiker wie Bob Marleys „Get up, stand up!“, „Because of you“ von Kelly Clarkson oder „Last resort“ von Papa Roach. Experten sprechen davon, dass ein attraktiver Katalog 10 bis 15 Prozent Rendite im Jahr bringen kann.

Angesichts dieser Zahlen wird dieser Handel wohl weiter boomen. Herzlich willkommen in einer Welt, in der Songs lediglich Investitionen in eine zuverlässig sprudelnde Geldquelle sind. Und das Urheberrecht wird weiter ab absurdum geführt. Wirtschaft und Kultur - das Verhältnis galt mal als maximal distanziert. Die Enthüllungen aus den „Paradise Papers“ zeigen endgültig, dass das eine von dem anderen kaum mehr zu unterscheiden ist.

 

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