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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit
"Die Dinge der Woche" sind der Blog des Thurgaukultur-Redaktionsleiters Michael Lünstroth | © Michael Lünstroth

Sanierung Kunstmuseum hier, Bau eines Kulturzentrums dort: Sobald die Politik in der Kultur mitspricht, braucht man Geduld. Warum es trotzdem falsch ist, jetzt reflexhaft auf die politische Klasse einzuschlagen. Ein Plädoyer für einen anderen öffentlichen Diskurs.

Von Michael Lünstroth

Bisweilen kann man der Idee verfallen, dass politische Prozesse immer zäher werden, je länger man sie beobachtet. Das könnte nun zwei Ursachen haben. Erstens: Die Prozesse werden gar nicht langsamer, aber es kommt einem als Beobachter so vor, weil man das Thema schon so lange verfolgt und etliche Wendungen, Abbrüche und Neuanfänge erlebt hat. Zweitens: die Prozesse werden tatsächlich langsamer. Weil Entscheidungen komplexer werden. Weil Politik mutloser wird. Weil es einfach Zeit braucht, um manchmal widerstrebende Interessen unter einen Hut zu bringen. Weil die direkte Demokratie so überzeugende Lösungen verlangt, dass damit auch etwaige Abstimmungen gewonnen werden können.

Vieles spricht in diesen Tagen für die zweite Variante. Zwei Beispiele, die dies verdeutlichen: Seit 2013 müht sich der Kanton um eine Sanierung und Erweiterung des Kunstmuseums in der Kartause Ittingen. Aus ganz verschiedenen Gründen ist das Projekt bislang unvollendet. Im März 2017 gab es den Startschuss für einen weiteren Neuanfang. Eine neue Projektgruppe sollte das gesamte Vorhaben neu durchdenken. Ziel sei es, so die Staatskanzlei damals in einer Medienmitteilung, „bis Ende Oktober 2017 einen Bericht zu verfassen, der die Möglichkeiten eines Erweiterungsbaus in Absprache mit den entsprechenden Amtsstellen klärt, Trägerschafts- und Finanzierungsvarianten für das neue Museumsprojekt darlegt und darüber hinaus Empfehlungen zum weiteren Vorgehen gibt.“ 

In Sachen Kunstmuseum liegt der Ball bei der Politik

Oktober 2017 ist jetzt fast vier Monate her und von den neuen Plänen hat man seither nichts gehört. Was ist da los? „Die Projektgruppe „Sanierung und Erweiterung Kunstmuseum 2017“ unter der Leitung des Hochbauamtes ist an der Arbeit. Ihre Abklärungen benötigen mehr Zeit als im März 2017 angenommen. Wir werden zu gegebener Zeit über den Zeitplan und das weitere Vorgehen informieren“, erklärt Paul Roth, Generalsekretär des Departements für Erziehung und Kultur auf Nachfrage. An der Projektgruppe selbst kann die Verzögerung nicht liegen, diese habe ihre Arbeit erledigt und den erarbeiteten Bericht an die Regierung übermittelt, bestätigte Museumsdirektor Markus Landert bei der Medienkonferenz zum Jahresprogramm in der vergangenen Woche. Der Ball liegt also bei der Politik. 

Zweites Beispiel: Das Kulturzentrum in Kreuzlingen. Seit 2008 gibt es Pläne für ein solches Zentrum, das bildender Kunst, Kino, Theater und Musik eine neue Heimat in der Grenzstadt geben soll. Wesentlich vorangekommen ist man in den vergangenen 10 Jahren nicht. Es gab immer wieder Anläufe, aber alle Bemühungen sind bislang versandet. Es habe „bedauerliche Denkpausen“ in dem Projekt gegeben, erklärt Dorena Raggenbass, zuständige Stadträtin für kulturelle Fragen in Kreuzlingen. Nun gibt es wieder einen Versuch. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist: Bis zur Vollendung des Projektes könnte es weitere 10 bis 15 Jahre dauern. Das ist zumindest der Zeithorizont, den Dorena Raggenbass vorgibt für die Entwicklung des Hauses. Offenbar braucht es so lange, um einer Mehrheit für das Kulturzentrum bei einer Volksabstimmung zumindest näher zu kommen. Das sagt viel über die Stimmung in der Grenzstadt, aber auch manches über die Mutlosigkeit der Politik vor Ort. 

"Alle blöd ausser mir": Diese Haltung funktioniert heute nicht mehr

Deswegen jetzt reflexhaft auf die politische Klasse einzuschlagen, bringt einen aber auch nicht weiter. Erst recht nicht, weil es ja nachvollziehbare Gründe für die Entdeckung der Langsamkeit in der Politik geben kann. Wenn in Kreuzlingen beispielsweise die mehrheitliche Stimmungslage zu einem möglichen Kulturzentrum wirklich ist, wie sie von der Politik wahrgenommen wird, ergibt es ja unter Umständen gar keinen Sinn, das Vorhaben jetzt mit Voll-Speed voranzutreiben. Es würde nur schneller scheitern. Und wenn sich die Pläne für das Kunstmuseum nun um ein paar Monate verschieben, was macht das schon, wenn man dafür am Ende eine überzeugende Lösung auf dem Tisch hat? Bitte nicht falsch verstehen: Wenn Politik Projekte unnötig verschleppt oder Fehler macht, dann muss man dies klar benennen und darf es nicht verharmlosen. Aber vielleicht müssen wir im öffentlichen Diskurs auch mal davon wegkommen, dass die anderen immer Voll-Deppen sind und man selbst alles besser weiss. Es gibt in aller Regel Gründe dafür, weshalb jemand Verantwortung trägt und ein anderer nicht. Auch Politikern darf man in diesem Sinne zunächst mal zugestehen, dass sie in erster Linie an einer guten Lösung für ein Problem interessiert sind und sich nicht möglichst lange mit einem Thema beschäftigen wollen.

Andererseits: Irgendwann braucht es dann auch mal eine Entscheidung. Themen, die nicht bearbeitet werden, werden nicht kleiner, sondern eher grösser. Und: Wer zu lange hingehalten wird, wird irgendwann unzufrieden. Da muss man nur mal beim Historischen Museum in Frauenfeld nachfragen. Seit Jahren hofft das Team um Direktorin Gabriele Keck auf eine Verbesserung der aktuellen Situation. Seit März 2017 wissen sie aber auch, dass das bis auf Weiteres nicht passieren wird. Das ist die dunkle Seite der Langsamkeit: Sie kann auch ziemlich lähmend sein. 

 

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