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16.02.2018

Nordklang, die Zwölfte

Nordklang, die Zwölfte
Drei von 16 Acts am Nordklang 2018: Mariam the Believer (SE), Antti Paalanen (FI), Sea Change (NO). | © Bilder: Martin Vallin; Heidi-Maria Paalanen; Sibilla Calzolari

Ein finnischer Jürgen Klopp mit Akkordeon, eine Norwegerin mit Laptop und den grossen Hymnen an die Nacht und ein grönländischer Mani Matter: Das Nordklang bringt ab 23. Februar gewohnt vielfältig den grossen Norden in den kleinen Osten.

Von Claudio Bucher

Mai 2017, Ulf Fleischer sitzt mit Gitarrenkoffer und einer Horde Fans im Flugzeug von Grönland nach Dänemark. Am SPOT-Festival in Aarhus spielt Grönlands Mani Matter, knapp 60, seine Songs sitzend, während sein mitgereistes Publikum mit Bierfässern unter dem Arm zu Liedern über die Liebe auf der grössten Insel der Welt schwelgt (Asanninneq). Daneben stehen Ü50-er mit dem Rücken zur Bühne, filmen sich und ihren Nationalhelden, der nach dem ersten Song überwältigt in Tränen ausbricht.

So etwa erzählt Larissa Bissegger, Präsidentin des Vereins Nordklang, von ihrer ersten Begegnung mit dem 1-Meter-60-Troubadour. Am 24. Februar bringt dieser seine grönländischen Radiohits zum Nordklang nach St.Gallen, in die Intimität der Kellerbühne, ohne Band und Visuals. Bestellt hat er für seinen grossen ersten Auftritt in der Schweiz einen Notenständer.

Ulf Fleischer aus Grönland.

Ulf Fleischer aus Grönland.

Mit einem Gespür für Entdeckungen ist das Nordklang-Festival in seiner zwölften Ausgabe mittlerweile eine städtische Tradition: Es ist im Februar nicht nur ein Fest der Vielfalt hochnordischer Musik, sondern auch ein Fest des Winters. Und wer will den Winter denn auch besser verstehen, beschreiben und verarbeiten als Menschen, bei denen es im Spätsommer schon um 17 Uhr dunkel wird?

Und warum klingt der Norden dabei so gut? Geografie ist bekanntlich Schicksal. Kulturpolitik weniger: Der dänische Popkulturexport ist beispielsweise im globalen Vergleich erfolgreicher oder zumindest sichtbarer als der eidgenössische. Liegt das bloss an Radioquoten, besseren Englischkenntnissen, höheren Budgets und in die Gesellschaft eingeschriebenen, mystifizierten Mentalitätskonzepten wie dem Janteloven? Oder am Wetter? Interessante Fragen für ein Podium; das Nordklang lässt die Musik für sich sprechen.

Das diesjährige Programm im Schnelldurchlauf: 

Am Freitagabend wird das Festival nach nordklängischer Tradition mit einem Film eröffnet, vertont von drei der insgesamt 48 eingeflogenen Musikerinnen. Das in Kopenhagen ansässige estländisch-dänisch-schwedische Kompositionstrio Shitney hat sich persönlich beim Festival beworben. Die drei werden den Kinok-Saal füllen mit Noise-Generatoren, Saxofon und Stimmfragmenten, mit Gegenwartsjazz für einen Stummfilmklassiker: The Outlaw And His Wife (1918) erzählt das Drama zweier Verstossener auf der Flucht in der Wildnis Islands. Wortlos universal: eine Geschichte über Liebe, Hunger und Kälte. (Hier ein Mashupfür Unsichere.)

Tradition, die Zweite: Am Samstag um 20 Uhr treffen an der Nordklang-Session im Pfalzkeller die fünfköpfige Tanzkapelle Mads Hansens Kapel auf zwei junge Einheimische: den Metal-affinen Wittenbacher Hackbrettler Christoph Pfändler und den Loopmaschinen-verliebten Schwyzer-Örgelist Adrian Würsch.

Nordklang Sessions 2018: Christoph Pfändler (CH/Hackbrett), Mads Hansens Kapel (DK/Tanzkapelle) und Adrian Würsch (CH/Schwyzer Örgeli).

Nordklang Sessions 2018: Christoph Pfändler (CH/Hackbrett), Mads Hansens Kapel (DK/Tanzkapelle) und Adrian Würsch (CH/Schwyzer Örgeli).

Weniger geografisch verortbar ist der Sound des Duos Jærv (Samstag, 20:30 Uhr im Palace), wären da nicht die dänischen Texte: Electropop mit Flume- und Hudson-Mohawke-Anleihen, grossen Hooks, teilweise eine Spur zu eurovisionstauglich.

Ein Stück eigenständiger wird wohl Mariam The Believers Auftritt im Hofkeller (21:30 Uhr): Die vielstimmige schwedische Sängerin spielte schon eine Hauptrolle in einer Oper des isländischen Noise-Gotts Ben Frost oder mit Orchesterbegleitung am SPOT Festival in Aarhus. Nach St.Gallen kommt sie mit ihrem letzten Album Love Everything, auf der Suche nach der Kraft grosser Popmelodien, begleitet von ihrer weissen Gibson-Gitarre: 

Während Ulf Fleischer seine grönländischen Folksongs in die Kellerbühne haucht, wird es in der Grabenhalle ab 22 Uhr richtig laut: Der Akkordeonist Antii Palaanen aus Finnland verzichtet auf Bühnenelektronik und feingeistige Noise-Spielereien. Den Technobeat stampft er mit seinen Lederschuhen auf dem Holz der Grabenhallenbühne. Dabei erinnert er an Jürgen Klopp im Blazer: laut, jauchzend, mitreissend:

Ein Höhepunkt des diesjährigen Festivals ist sicher die junge Norwegerin Sea Change. In den letzten zwei Jahren spielte sie über 100 Konzerte, im skandinavophilen Osten war sie schon länger auf dem Radar: Bereits zwei Jahre vor ihrem Debutalbum spielte sie 2013 im Oya.

Die Emotionalität ihrer selbstproduzierten Songs erinnert an PJ Harvey, ihre Hymnen ans Tanzen mit geschlossenen Augen, an die süssbittere Erinnerung flüchtiger Bekanntschaften durchgetanzter Nächte an Lykke Li. Nahe am Zeitgefühl der Generation «Wir haben alles, was wir brauchen, doch noch lange nicht genug / sind zu groß für unsere Stadt, doch zu klein für die Welt» (OK KID) macht sie den Soundtrack für die eskapistischen Momente gefühlter Neuanfänge im Wechselspiel mit beängstigend-lähmender Orientierungslosigkeit. Der Hofkeller unter dem Klosterplatz ist als Bühne dafür zu clean, zu klein, zu vorbelastet für diesen Act: Das Palace wäre die bessere Wahl gewesen, auch wenn Sea Change alleine, ohne Schlagzeug und Grossformation anreist.

Parallel spielt ein paar Schritte weiter über die klösterlich-katholischen Steine die Songwriterin Konni Kass im Pfalzkeller: Sie und ihre Band klingen ein wenig wie Feist von den Färöer-Inseln. Um 23 Uhr bieten De Underjordiske im Palace dänischen Psychedelic Rock, der über Sprachgrenzen hinweg funktioniert. Nichts Avantgardistisches, aber zeitlos.

Zur gleichen Zeit stehen mit Sykur (isländisch: Zucker) eine isländische Combo auf der Bühne der Grabenhalle, deren letztes Album bereits sechs Jahre zurückliegt. Ein Auftritt im isländischen Nationalfernsehen vom Dezember zeigt, dass ihre Oden an Reykjavik noch immer tanzbar sind:

Das grösste Festival nordischer Musik in der Schweiz gibt es nach wie vor zum unverschämt tiefen Preis: 35 Franken kostet der Zweitagespass. Infos zu Tickets gibt es auf der Internetseite des Festivals: http://nordklang.ch/tickets/  Neben den lokalen Förderbeiträgen, der dänischen ROSA, den Bands, die auf ihre Gage verzichten, wäre das Festival vor allem ohne etwas nicht finanzierbar: der Freiwilligenarbeit von Bissegger & Co.

Die Termine im Überblick

Nordklang 2018 – Programm (Klick zum Vergrössern).

Dieser Text erschien zuerst bei www.saiten.ch  

www.nordklang.ch

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