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von Barbara Camenzind, 19.02.2018

Kontrapunkt zur Hektik der Zeit

Kontrapunkt zur Hektik der Zeit
Brillante Festkonzert-Virtuosin: Die Geigerin Syoung Yoon. | © Barbara Camenzind

Othmar Schoeck, Maria Stader, Clara Haskil: Die Gesellschaft für Musik und Literatur GLM Kreuzlingen hatte in ihrer langen Geschichte schon manch berühmte Künstlergrösse zu Gast. Und ist dabei nicht allein im Kanton Thurgau, der sich - bei näherer Betrachtung - als „heimlifeisser“ Hotspot für klassische Musik entpuppt. Die Grenznähe, die liebliche Landschaft am Bodensee und kulturbegeisterte Lehrpersonen trugen mit dazu bei. Am vergangenen Donnerstag feierte die GLM Kreuzlingen ihren 100.Geburtstag mit Festakt und einem bemerkenswerten Konzert der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz.

Von Barbara Camenzind

„Als am 1. August 1914 der Krieg ausbrach, befand sich Kreuzlingen in einer merkwürdigen Lage“, schreibt die Chronistin Marget Meier-Amann in der Festschrift der GLM. Der kleine Ort neben dem grossen Konstanz war eingeschlossen und musste sich auf sich selbst besinnen. So entstand unter schwierigen Bedingungen die Gesellschaft für Literatur und Musik, die alsbald geschickt nationale und internationale Koryphäen an den Bodensee holen konnte. Warum in die grossen Städte fahren, wenn die Musiker in den Thurgau kommen? Die GLM Kreuzlingen ist untrennbar mit dem ehemaligen Lehrerseminar, der heutigen PMS Kreuzlingen verbunden.

Die kulturbegeisterten Professoren agierten jahrzehntelang als veritable Organisationstalente. Auch der derzeit amtierende Präsident Jörg Engeli ist ein „Ehemaliger“ der Pädagogenschmiede. Das Schaffen des 100-jährigen Vereins wurde darum standesgemäss im ehemaligen Musiksaal der PMS gewürdigt. „Mit meinem Jahrgang ist es etwas schwierig, in die Jugendjahre zu blicken“, begann Regierungsrätin Monika Knill ihre Laudatio. Sie anerkannte lobend den Verdienst der Gesellschaft am analogen Musikerlebnis. Stadträtin Dorena Raggenbass verlieh der GLM, stellvertretend dem  Präsidenten, den Orden der Stadt Kreuzlingen und dankte für das langjährige und grosse Engagement in Sachen Kultur.

Kunst ohne Konserven

„Sprache und Musik sind eine Einheit“, erklärte Jörg Engeli und verwies auf die Vorgänge beim kindlichen Spracherwerb. Darum sei es den Gründern der GLM so wichtig gewesen , beide Kunstformen in Kreuzlingen ein Plattform zu geben. Im Gesang, den Liederabenden und Chorwerken verbindet sie sich am Schönsten. Engeli betonte die Wichtigkeit lokaler Konzertveranstalter im Klassikbereich. Gerade in der Zeit, in der eine überbordende Vielfalt an musikalischen Konserven angeboten werde, sei das direkte Erlebnis wichtig.

Jörg Engeli, Präsident der Gesellschaft für Musik und Literatur Kreuzlingen, bei seiner Ansprache im ehemaligen Musiksaal der PMS Kreuzlingen

Jörg Engeli, Präsident der Gesellschaft für Musik und Literatur Kreuzlingen, bei seiner Ansprache im ehemaligen Musiksaal der PMS Kreuzlingen. Bild: Barbara Camenzind

Fazit des Festakts: In der Tat kämpfen etliche lokale Kulturveranstalter mit dem Dilemma, dass die grossen Städte mit ihrem Kulturangebot leichter zu erreichen sind als früher. Vereinsbindungen sind nicht mehr so in Mode. Viele Menschen sehen im Besuch eines klassischen Konzertes eine Alterserscheinung. Verständlich, dass die GLM Kreuzlingen an ihrem Konzept der „klassischen“ Darbietungen festhalten will. Sie haben nach wie vor ihr Publikum und wenn sie verschwinden, würde etwas Grosses fehlen. Den eigenen Standpunkt behaupten - und die zeitgenössischen Strömungen nicht ignorieren: Vielleicht ist das die Zauberformel für den Weiterbestand der GLM.

Festkonzert mit russischer Musik

Im ersten Moment etwas verwunderlich: Beim anschliessenden Konzert der 100 Jahre Gesellschaft für Literatur und Musik Kreuzlingen stand nicht (wie logisch anzunehmen) der Gesang im Mittelpunkt, sondern die Geige. Die hat dann allerdings sehr schön gesungen. Die südkoreanische Virtuosin Syoung Yoon tauchte die herzergreifenden Leitmotive in Tschaikowskis Violinkonzert in D-Dur in samtene Farben. Die Canzonetta spielte sie schlicht und ergreifend zum Heulen schön. Glasklare Flageolette und Doppelgriffe krönten die Kadenzen. Zum Schluss begeisterte sie die zahlreichen Zuhörenden mit zwei witzigen Zugaben von Fritz Kreisler und einer Popmusik-Adaption.

Orchestermusik ist Menschenmusik. Und diese kann variieren. Im Violinkonzert fiel die Südwestwestdeutsche Philharmonie durch feine Interaktion mit der Solistin auf. Bei Rachmaninoffs 2. Symphonie führte sie Dirigent Alaxandru Ianos sehr akademisch durch das versprochene russische Feuerwerk. Sauber und in den Tempi sehr ausgewogen, wirkte das Werk zu verhalten und zu vorsichtig gespielt. Man hätte sich etwas mehr Mut und weniger angezogene Handbremse gewünscht, um in die grosse Dynamik im Allegro Vivace des Finales eintauchen zu können. Doch auch so ein Erlebnis ist das Grossartige an analoger Musik. Es kann gelingen, es kann nicht gelingen und die Zuhörenden sind ganz nahe dabei. Das schafft keine Konserve.

Das weitere Jahresprogramm der GML im Überblick

Samstag, 24.März 2018, 19:30 Uhr | Refektorium PMS (Klostergebäude)

Abonnementskonzert

Trio Bleu – Flöte, Viola & Harfe

 

Samstag, 28. April 2018, 19:30 Uhr | Aula PMS (Campus Aula)

Preisträgerkonzert

Nachwuchskünstler der Region

 

Freitag, 18.Mai 2018, 20 Uhr | Aula PMS (Campus Aula)

Abonnementskonzert

Gershwin Piano Quartet

 

Sonntag, 17.Juni 2018, 19:30 Uhr | Aula PMS (Campus Aula)

Serenade

Jugendorchester „Il Mosaico“

 

Herbst 2018 | Refektorium PMS (Klostergebäude)

„Der Kreuzlinger Mozart - Johann Anton Sulzer (1752 - 1828)“ Literarisch-musikalisches Programm. Es erklingen Werke von Sulzer und seinen Zeitge- nossen: Rousseau, Haydn, Naumann, Leopold Mozart und anderen. GML-Vereinsmitglied Hilmar Lippert moderiert den von ihm konzipierten Anlass mit Musikern der Region.

 

Tickets: Abonnement für 5 Konzerte 100 Franken (Sonderpreis 100 Jahre GML) Einzeleintritte zwischen 30 und 40 Franken im Vorverkauf bei Kreuzlingen Tourismus, Hauptstrasse 39, 071 672 38 40

 

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Recherche-Stipendien der Kulturstiftung

Bewerbungen können bis 31. März 2024 eingereicht werden.

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