von Maria Schorpp, 24.01.2019
Das ewige Mädchen
Die See-Burgtheater-Mitbegründerin Astrid Keller inszeniert in der Operettenbühne Vaduz „Der Bettelstudent“. Dass die Schauspielerin heute auch Regie macht, war eigentlich nicht vorgesehen.
Bleibt man ein Leben lang derselbe Typ? Sitzt man Astrid Keller gegenüber, könnte man es meinen. Auf Fragen geht sie ganz offen ein, überlegt offensichtlich nicht, wie sie am besten rüberkommt, guckt überrascht, wenn sie überrascht ist, und hat überhaupt etwas Unverstelltes. Ihr Weg als Schauspielerin begann mit dem Rollentyp des Mädchens. Das Mädchenhafte kann sie auch im wirklichen Leben nicht verleugnen. Bis heute. „Ich habe jetzt noch manchmal das Gefühl, ich bin ein in die Jahre gekommenes Mädchen.“ Sagt sie selbst.
Offenbar ist es nicht ihre Art, ihre Aussendarstellung mit vermeintlicher Bedeutsamkeit aufzuladen. Obwohl sie es könnte, rein darstellungstechnisch. Stattdessen spricht sie von dem, was sie macht. Aktuell inszeniert die Schauspielerin, die mittlerweile auf die Regie gekommen ist, in der Operettenbühne Vaduz „Der Bettelstudent“ von Carl Millöcker. Sie ist die erste Frau, die in Liechtenstein bei einer Operette Regie führt. „Ich finde es gut und an der Zeit, dass sie mit mir eine Frau als Regisseurin genommen haben“, sagt sie geradeheraus. Mit dem populären Musikstück, das Anfang des 18. Jahrhunderts spielt und dessen Libretto Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben wurde, knüpft sie nahtlos an die MeToo-Debatte an. „Ach, ich hab sie ja nur auf die Schulter geküsst“, die berühmte Arie des sächsischen Gouverneurs im besetzten Polen, klingt heute wie die Rechtfertigung eines dieser mächtigen Männer, die jüngst öffentlich des sexuellen Übergriffs beschuldigt wurden. „Er glaubt, nachdem er das Land eingenommen hat, kann er auch noch alle schönen Frauen haben.“ Das kommt einem in der Tat bekannt vor. Die ungefragt Geküsste jedenfalls reagiert mit einem Hieb ihres Fächers ins Gesicht des Belästigers. Der ist tödlich beleidigt und versucht sich mit einer perfiden Intrige zu rächen.
Wer mit ihr arbeiten will, muss den Stoff ernst nehmen
Astrid Kellers Interpretation des Vorfalls geht allerdings noch ein Stück weiter. Die Schauspielerin und Regisseurin legt Wert auf gute Geschichten, auch in Operetten, die bekanntermassen ziemlich seichten Inhalts sein können. Das hält sie so in der Zentrumbühne Bottighofen, wo sie seit ein paar Jahren Musicals inszeniert, Geschichten wie „Irma la Douce“ oder letztes Jahr den „Altweiberfrühling“. Das ist selbstredend im See-Burgtheater so, das sie gemeinsam mit Ehemann Leopold Huber leitet, und nicht anders in ihren Lesungen. Wer unter der Regie von Astrid Keller arbeitet, muss die Geschichte des Stücks ernst nehmen. Im besten Fall passt dann für sie alles zusammen, wie im Vaduzer „Bettelstudent“: „Die wunderbaren Stimmen der Solisten, der fünfzigköpfige Chor und das Sinphonieorchester Liechtenstein: Wenn die lossingen und -spielen, das hat eine Wucht, die einen nicht kalt lässt.“
Die Kreuzlingerin, die vor einiger Zeit mit Ehemann Huber von Altnau in die Grenzstadt gezogen ist, zeigt Respekt vor den Herausforderungen ihrer Arbeit. Das war schon immer so, ganz besonders kurz nach ihrem Abschluss am Max Reinhardt Seminar in Wien. Damals spielte sie im Wiener Burgtheater. „Da kam man aus dem Staunen ja nicht mehr heraus.“ Paula Wessely etwa, die Legende von der Schauspieler-Dynastie, war damals noch im Ensemble. Für die Anfängerin allerdings war das zu viel des Guten, wie sie es im Nachhinein sieht: „Du bist ein Typ und hast eigentlich gar nichts zu melden.“
Erst in Konstanz ist sie richtig in ihrem Beruf angekommen
So kam sie nach dem Burgtheater, nach St, Gallen, Zürich und Bern am Stadttheater Konstanz erst richtig in ihrem Beruf an. Hans Ammann und Ulrich Khuon, damals Intendant und Chefdramaturg und Weichensteller des Konstanzer Theaters, holten sie an den Bodensee: „Das war zum ersten Mal eine junge gute Truppe, mit der man wirklich zusammenarbeiten konnte.“ Gespielt hat Astrid Keller bis dahin – wie es ihre Schauspiellehrerin vorhergesagt hatte – das Mädchen. Und das ging so weiter. Zehn Jahre lang. „Dann kam die Krise.“ Für das Mädchen war sie zu alt geworden, „und die Frau habe ich vom Typ her noch nicht dargestellt“.
Von zehn befreundeten Schauspielerinnen haben neun irgendwann aufgegeben. Der altbekannte Schwund weiblicher Theaterrollen um die 40. Eine machte eine Logopädie-Ausbildung, eine andere eine Lehre in der Psychiatriepflege, wieder eine andere arbeitet heute in einem Museum. Astrid Keller wurde dreifache Mutter. Da war aber auch noch das See-Burgtheater, das sie gemeinsam mit Gregor Vogel und Hans-Ruedi Binswanger gegründet hatte. Etliche ihrer mehr als 150 Rollen hat sie bis heute dort gespielt. Und das waren nicht „nur“ Mädchen-Rollen. Da war auch „Frida – viva la vida“, das One-Woman-Stück des See-Burgtheaters zu Frida Kahlo. Eine Grenzerfahrung: „Eineinhalb Stunden, in denen du nicht eine Sekunde unkonzentriert sein darfst. Wenn du es schaffst, hebst du ab.Ein tolles Gefühl.“ Dann sagt sie noch: „Man ist im Leben selten so intensiv wie auf der Bühne.“
«Ich war in meinem Leben noch nie so zufrieden wie jetzt mit der Situation, wie sie ist.»
Astrid Keller, Regisseurin und Schauspielerin
Eine zarte Erscheinung mit Durchhaltekraft. Dass es heute schon am Berufsanfang schwerer ist als zu ihrer Zeit sieht sie an ihrer Tochter Maria Huber, die wie sie selbst eine unter etwa zehn von vielen hundert Bewerbern eines Jahrgangs war, die am Max Reinhardt Seminar auf Anhieb genommen wurden. Während die Tochter in einer Theaterfamilie aufgewachsen ist, stammten Astrid Kellers Spielerfahrungen lediglich aus dem Schultheater. Noch dazu war und ist sie eher introvertiert, wie sie von sich selbst sagt. „Extrovertiert muss man als Schauspielerin nicht sein, finde ich. Die Bühne und das Scheinwerferlicht haben mich erst zum Blühen gebracht.“
Das mit der Regiearbeit „hat sich so ergeben“ – nachdem ihr regieführender Mann ihr mit „Du kannst das“ den lähmenden Teil am Respekt genommen hatte. Heute geht Astrid Keller selbst auf Menschen zu, die noch nie auf der Bühne gestanden haben und das eigentlich auch nicht vorhaben, und sagt „Du kannst das“, wenn sie sie für eine Inszenierung haben will. Die Erfahrung mit Laiendarstellern in Bottighofen kommt ihr in Vaduz sehr zugute. Sänger, im Grunde bessere Laiendarsteller, würden sich ohne führende Hand am liebsten an die Rampe stellen und schön singen. „Das interessiert mich jetzt nicht“ kann so jemand schon mal zu hören bekommen. „Es geht mir darum, dass er meint und das rüberbringt, was er singt, nicht, dass er einfach schön singt.“
Video: Arttv.ch über Kellers Regiearbeit „Kasimir und Karoline“
Auch im See-Burgtheater hat Astrid Keller bereits zweimal Regie geführt. An Horváths „Kasimir und Karoline“, das sie mit Tochter Maria als Karoline gemacht hat, erinnert sie sich mit grosser Begeisterung („meine absolute Lieblingsarbeit“). Die Karoline hat sie selbst schon gespielt. Sie kann sich begeistern – und ist bereit, sich beeindrucken zu lassen. „Ich war in meinem Leben noch nie so zufrieden mit der Situation, wie sie ist. Jetzt bin ich über 60, und alles, was noch kommt, nehme ich wie ein Geschenk.“ Als nächstes erst einmal die Premiere ihrer ersten Operetteninszenierung.
Termin: Premiere der Operette „Der Bettelstudent“ in der Operettenbühne Vaduz ist am Freitag, 25. Januar 2019. Spielplan und Karten unter: https://www.operette.li/spielplan/
Video: Interview mit Astrid Keller zur Produktion „Der Bettelstudent“
Von Maria Schorpp
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