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von Michael Lünstroth, 28.03.2019
Ich habe so viele Lesungen gemacht in den letzten 20 Jahren, insofern ist es nicht mehr so, dass mich das wahnsinnig verändert. Aber ich finde es immer noch schön, ich mache das gerne. Es ist, das muss man auch sagen, einfach verdientes Geld. Die meisten Autoren leben heute mehr von Lesungen als von Büchern.
Ich finde das schon lustig, welche Orte man da so sieht. Da gibt es tolle, aber auch schräge Orte. Vom Luxushotel bis zur Absteige ist alles dabei. Ursprünglich habe ich das mal angefangen für die Frau vom Verlag, die meine Lesungen organisiert. Um ihr zu zeigen, wo sie mich da immer hinschickt. Und dann hat mir der Verlag angeboten, mich zu coachen, was soziale Medien angeht. Das habe ich eine zeitlang ziemlich brav gemacht. Inzwischen bin ich da wieder ein bisschen erschlafft, weil es einfach so viele andere Dinge zu tun gibt.
Ja. Man lernt ihn nochmal besser kennen. Aufgrund von dem was man von Leserinnen und Lesern hört, sieht man Aspekte, die man vorher nicht gesehen hat.
Eigentlich nicht, weil ich es schon so oft gelesen habe, bevor es herauskommt, dass es das nicht geben sollte. Bei „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“ ist mir jetzt allerdings ein Wort aufgefallen, eine unschöne Wiederholung, die ich für die späteren Auflagen gestrichen habe.
Peter Stamm, Schriftsteller
Nein, eher nicht, weil die Abläufe aus Lesereisen doch immer wieder ähnlich sind. Da passiert meistens nichts verrücktes. Ich bin aber auch grundsätzlich nicht der Typ, der Bücher bei Lesereisen schreibt. Ich bin auch zu nett, um irgendwelche negativen Dinge aufzuschreiben. Ich hätte ein schlechtes Gewissen, wenn ich da was Böses schreiben würde über Menschen, denen ich begegnet bin.
Das sind drei ganz verschiedene Fälle. Da muss man schon unterscheiden. Relotius ist ein Skandal für mich. Als Journalist war ich extrem faktentreu. Ich habe mich furchtbar geärgert, wenn ich einen Fehler in einer Reportage hatte oder etwas falsch recherchiert hatte. Ich finde, das ist eins der obersten Gebote im Journalismus, dass man die Dinge so schreibt, wie sie sind. Menasse würde ich entschuldigen. Er ist ein toller Essayist, ich finde es ist noch im Rahmen, was er gemacht hat. Natürlich ist es nicht gut, aber es macht seine Argumente ja nicht falsch. Und wer war der Dritte?
Ach ja. ich glaube, das ist einfach ein schlechtes Buch, oder? So wie ich es verstanden habe. Aber ich habe es selbst nicht gelesen. Manchmal denkt man ja, wenn etwas so schlecht besprochen wird, dann muss man es vielleicht lesen, aber in dem Fall vertraue ich mal den Kritikern.
Literatur muss wahrhaftig sein, aber nicht wahr. Ich habe oft das Gefühl, wenn Literatur versucht zu beschreiben, wie Ereignisse wirklich gewesen sind, dann geht es schief. Für mich ist eine Grenze, andere Personen zu verletzen, in dem ich sie bloss stelle in meinen Romanen. Das würde ich nie machen. Darum habe ich auch so Mühe mit dieser Autofiktion, die in Frankreich so Mode geworden ist. Ich kenne aber schon den Impuls. Ich habe da auch mit einigen Kolleginnen und Kollegen drüber gesprochen. Wir haben eigentlich alle keine Lust mehr den klassischen Realismus zu schreiben, also Geschichten zu erfinden. Dann ist halt eine Möglichkeit zu sagen, okay, dann erzähle ich eben mein Leben. Das ist aber nichts, was ich für meine Arbeit plane. Das kann ich nicht und will ich auch nicht.
Peter Stamm, Autor (Bild: Gaby Gerster)
Nein. Ich finde, es ist die Aufgabe des Journalisten eine Geschichte zu machen aus dem, was da ist und nicht aus dem, wie man es gerne hätte. Ich habe auch schon Reportagen geschrieben, bei denen am Ende die Geschichte war, dass es eben keine Geschichte gab. Also zumindest nicht die, die ursprünglich geplant war. ich habe dann den Lesern erklärt, welche Geschichte ich schreiben wollte, dann aber vor Ort gesehen habe, dass das nicht geht, weil die Wirklichkeit das nicht hergab. Das sind dann oft die besten Reportage, wo man selber scheitert, das aber auch mit dem Leser teilt.
Die Freude am Geschichten erzählen, kann ich nachvollziehen. Aber Relotius hat das einfach am falschen Ort gemacht. Ich hätte ihm empfohlen: Werde Autor, schreib Fiktion. Dann kannst Du das machen. Aber im Journalismus kannst Du sowas nicht bringen. Das ist jedenfalls gegen jede Vorstellung, die ich von Journalismus habe.
Ich glaube, in dem Ausmass ist es ein Einzelfall. Aber weit verbreitet scheint mir eine Haltung nach der man die Fakten so arrangiert, dass es am Ende das Bild ergibt, das man gerne hätte. Und auch Dinge ausblendet. Genau dies nicht zu tun, war eine Lektion, die ich schon im Studium gelernt habe. Ich habe eine Proseminar-Arbeit über Edgar Allen Poe geschrieben und habe am Schluss der Arbeit eine Quelle gefunden, die mein ganzes Argument entkräftet hat. ich stellte mir die Frage: Nehme ich die jetzt noch rein, oder nicht? Das war eine Aussage seines Kindermädchens, eine ganz unbekannte Quelle, ich hätte es genauso gut weglassen können. Aber da habe ich dann auch gesagt, das muss ich rein nehmen, weil das Bild sonst falsch wäre. Da musste ich die ganze Arbeit nochmal umschreiben, obwohl die nur von zwei Leuten gelesen wurde. Aber alles andere wäre für mich nicht möglich gewesen.
Nein, das wäre wirklich gegen alles, wofür ich stehe im Journalismus. Ich habe es in der Literatur allerdings schon mal gemacht. Ich habe mal ein Zitat als Motto eines Buches gehabt, das ich nur von Dritten kannte. Dann habe ich das nachgeschaut und es war im Original viel weniger schön als in der Version, die ich gehört hatte. Für das Buch habe ich nicht das Original genommen, sondern die andere Version, obwohl die betreffende Person das wörtlich so nie gesagt hatte.
Es war ein Zitat des französischen Architekten Étienne-Louis Boullée. Ich hatte es in einem Buch von Aldo Rossi gelesen. Bei Rossi war es ein griffiger Satz, im Original waren es drei komplexe Sätze. Mein Lektor und ich haben darüber gesprochen, ob man das machen kann. Am Ende fanden wir dann beide, dass das in der Literatur geht. Aber in einem journalistischen Text hätte ich das nicht gemacht.
Peter Stamm, Schriftsteller (Bild: Stefan Kubli)
Ich finde nicht. Man war ja nicht dabei, dann sollte man auch nicht vorgaukeln, man wäre es gewesen. Was ich aber finde ist, dass die Journalisten sich selber häufig in die Texte reinnehmen sollten. Nicht im Sinne der Befriedigung ihrer Eitelkeit, sondern dass der Journalist im Text präsent wird und dem Leser klar wird, welche Rolle der Journalist in dem Moment spielt.
Nein, meinen nicht. Aber ich fürchte, dass das bei Leuten passiert, die sich der Thematik gar nicht bewusst waren. Und das gerade jetzt. Wo sowieso alle von Fake-News reden und die Leute den Zeitungen nicht mehr glauben. Das ist schlecht. Das war der dümmste Moment, in dem so etwas passieren konnte.
Ja, das gibt es schon. Das ist leider so. Es passieren immer wieder auch Fehler. Es gibt zum Beispiel Kritiken, die nicht mal die Namen der Protagonisten richtig haben. Da denkt man dann schon, das ist jetzt wirklich nicht so schwer, der Name steht ja oft in dem Buch drin.
Ehrlich gesagt, ich lese die nicht mehr alle. Manchmal geht es auch eher um Rivalitäten zwischen den Kritikern. Wenn Kritiker A etwas gut findet, muss es Kritiker B auf jeden Fall schlecht finden. Das sind so Mechanismen, die ich beispielsweise beobachte im Verhältnis der grossen deutschen Zeitungen. Die mittelgrossen Zeitungen sind da oft unabhängiger, die WOZ, die Stuttgarter Nachrichten, die TAZ. Erstaunlicherweise, und das hören die Deutschen und Schweizer Kritiker nicht gerne, bekomme ich die tollsten Kritiken in den USA und England. Weil die sich noch Zeit nehmen und oft auch Autoren haben, die kritisieren. Also nicht nur Journalisten, sondern Leute, die selber schreiben und auch etwas davon verstehen und sich mehr Zeit lassen, mehr Platz haben und mehr Geld kriegen.
Peter Stamm, über seine Gedanken vor der Vergabe des Schweizer Buchpreises 2018
Was ich merke ist, dass bei Lesungen mehr Leute kommen. Und auch andere Leute als früher. Bei den Verkäufen hat es auch noch ein bisschen was gebracht, aber das Buch hatte sich auch vorher schon gut verkauft.
So klar war das für mich nicht. Es ist wie beim Roulette. Wenn zweimal rot kommt, kann auch beim dritten Mal wieder rot kommen. Ich muss ehrlich sagen, direkt vor der Verleihung hatte ich die meiste Angst. Als ich da so sass, dachte ich, scheisse, es geht wieder schief. Und es hätte genauso gut passieren können. Am Ende entscheidet die Jury und die hat ja oft ihren eigenen Stolz. Im Vorfeld haben alle gesagt, jetzt müsst ihr ihm das geben, aber da könnte ich mir gut vorstellen, dass eine Jury dann auch sagt: ‚Nein, wir sind nur für dieses Jahr zuständig und suchen das Beste dieses Jahres aus. Alles was vorher war interessiert uns nicht.‘ Das kann ich sogar nachvollziehen. Es kann ja keinen Preis für besonders grosse Geduld geben.
Nein, eigentlich nicht. Das ist okay. Ich weiss, dass es Leute gibt, die mit meinen Büchern nichts anfangen können. Das ist ja auch völlig normal. Ich kann ja auch mit vielen Büchern nichts anfangen.
Peter Stamm, geboren 1963, aufgewachsen in Weinfelden, studierte einige Semester Anglistik, Psychologie und Psychopathologie und übte verschiedene Berufe aus, unter anderem in Paris und New York. Er hat für verschiedene Magazine auch lange als Reporter gearbeitet. Seit 1990 arbeitet er als freier Autor. Er schrieb mehr als ein Dutzend Hörspiele. Seit seinem Romandebüt »Agnes« 1998 erschienen sechs weitere Romane, fünf Erzählungssammlungen und ein Band mit Theaterstücken, zuletzt die Romane »Weit über das Land« und »Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt« sowie unter dem Titel »Die Vertreibung aus dem Paradies« seine Bamberger Poetikvorlesungen. »Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt« wurde ausgezeichnet mit dem Schweizer Buchpreis 2018.
Weitere Literaturpreise:
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