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von Inka Grabowsky, 17.11.2022

Zu zweit ins Museum

Zu zweit ins Museum
Zu zweit durchs Museum laufen, macht mehr Spass als alleine. Das ist das Prinzip, das hinter dem TiM-Projekt steckt. Das Foto zeigt ein Beispiel aus dem Naturmuseum Winterthur. | © Franziska Dusek

Alleine in eine Ausstellung – das ist mitunter etwas öde. Mit einem Gegenüber ein Museum zu entdecken ist dagegen unterhaltsam. Solche Begegnungen will das Projekt «Tandem im Museum» fördern. Zwei Beispiele aus dem Thurgau. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Ein trüber Novembertag – ideal für einen Museumsbesuch. Und ich bin mit Beatrice Löber im Schulmuseum zum «Timmen» verabredet. «TiM» steht für «Tandem im Museum» oder eben auf französisch für „Tandem au Musée“, woraus sich der Projekt-Titel TiM-TaM ergibt.

Die pensionierte Lehrerin ist seit nicht ganz einem Jahr TiM-Guide in Amriswil. Das bedeutet, sie geht mit einem Gast durch das Haus und protokolliert eine Geschichte, die dem Besucher zu einem der Exponate oder der Räume einfällt.

«Die Geschichte kann erfunden sein», sagt sie. «aber die meisten erzählen etwas Autobiografisches. Das bietet sich bei uns an, weil jeder eigene Schulerfahrungen gemacht hat.»

 

Beatrice Löber hofft als Koordinatorin für denThurgau auf viele weitere TiM-Guides. Bild: Inka Grabowsky

Die Schiefertafel als Inspiration

Wir laufen zunächst durch die Handarbeitsausstellung –  interessant, aber keines der Schaustücke weckt meine Fantasie oder eine Erinnerung. Das ändert sich, als wir das historische Schulzimmer betreten.

Auf den alten Schreibpulten liegen Schiefertafeln – und hier fällt mir sofort etwas ein, was ich für die Geschichtensammlung im Internet beisteuern könnte. Wie oft hat meine Mutter erzählt, wie der Regen ihre Hausaufgaben auf dem Weg zur Schule weggewaschen hatte. Die Ungerechtigkeit der Strafe, die sie damals bekam, hat sie Jahrzehnte verfolgt.

Mein TiM-Guide hört zu, fragt nach, schreibt auf. Tausend Zeichen sind schnell beisammen. Dann fotografieren wir die Tafel und machen ein Selfie. Nun noch ein paar Personalien angeben und alles hochladen. Schon wieder ist das Geschichtenarchiv des Schulmuseums etwas gewachsen.

 

Die Schiefertafel mit Milchgriffel weckt eine Erinnerung. Bild: Inka Grabowsky

Zeitzeugenstimmen einsammeln

«Wenn Objekte Erinnerungen hervorrufen, dann ist es für uns sehr spannend, sie aufzuzeichnen. Wir dokumentieren die ‹Oral History›» sagt die Leiterin des Schulmuseums Frauke Dammert. Sie sieht aber auch einen Nutzen für die Erzähler:  «Man kann über die Geschichte einen Teil seiner Biografie aufarbeiten. Es kann wohltuend sein, sich bewusst zu machen, dass eine unangenehme Erinnerung ins Museum gehört, also wirklich vergangen ist.»

Vor allem aber mache das Schulmuseum gerne bei TiM mit, weil aktive Teilnahme das Ziel der Kulturvermittlung sein müsse. Logisch: Wenn man selbst etwas zu einem Ausstellungsstück erzählt, dann macht man sich das Museum zu eigen. So bleibt viel mehr Wissen hängen als bei einem Frontal-Vortrag.

Lernen, was Diskussionen anregt

Für das Museum entsteht noch ein angenehmer Nebeneffekt: Aus der Wahl des portraitierten Ausstellungsstücks kann die Leiterin ablesen, was die Menschen anspricht. «Wir wollen natürlich wissen, was Diskussionen anregt. TiM verschafft uns automatisch Rückmeldungen.»

Und noch etwas ist Frauke Dammert aufgefallen: «Wenn Tandems durchs Haus ziehen, hört man viel Gelächter. Es gibt die Lust an der Inszenierung für das Selfie und auch Spass beim Fabulieren. Das ist ein ganz grosser Pluspunkt.»

 

«Wenn Tandems durchs Haus ziehen, hört man viel Gelächter.»

Frauke Dammert, Leiterin Schulmuseum Amriswil

Beispiel Seemuseum

Aus ähnlicher Motivation beteiligt sich auch das Seemuseum Kreuzlingen. «Mir gefällt, dass man sich mal ohne Ehrfurcht den Ausstellungsstücken nähern kann», sagt Julian Fitze, der für die Vermittlung im Museum zuständig ist. «Es ist wie ein Spiel. Man hat ein gemeinsames Ziel und kommt dadurch ins Gespräch. Ob die Geschichte nun stimmt oder erfunden ist, ist dafür völlig unwichtig.»

Noch gab es nicht viele Tandems, die sich auf Entdeckungsreise durch das Haus gemacht haben. Kaum jemand wendet sich per Mail an TiM-Guide Heidi Bodmer, um einen Termin zu vereinbaren. «Wir wollen deshalb das Timmen bei den Familienveranstaltungen gezielt anbieten», so Fitze. «Wenn am 7. Dezember die Kinder bei uns Samichlausreime dichten, können die Eltern sich gleichzeitig etwas zu ihrem Lieblings-Exponat zusammenreimen

 

Selfie mit Kunst: Auch diese beiden Frauen haben sich über TiM gefunden - im Kunstmuseum St. Gallen. Bild: zVg

Guides mit sozialen Fähigkeiten

Ein TiM-Guide ist anders als die normalen Vermittler im Museum. «Er muss vor allem empathisch sein», so Beatrice Löber. Sie und ihre Kollegen vermitteln kein Wissen, sondern geben einen neuen Zugang zu Ausstellungsstücken – auch Menschen, die allein im Museum zu wenig Spass hätten.

Im Tandem hat man einen Ortskundigen an seiner Seite, der nicht belehrt, sondern selbst etwas lernen will. Zugegeben, das funktioniert nicht hundertprozentig.

Bei meinem Schulmuseumsbesuch muss ich einräumen, noch nie einen Milchgriffel in der Hand gehabt zu haben. Eine Ahnung, was ihn vom Steingriffel unterscheidet, habe ich auch nicht. Diese Wissenslücke schliesst mein Guide dann doch schnell.

 

Julian Fitze von Seemuseum freut sich am Fabulieren der Gäste. Bild: Inka Grabowsky

Jeder mit Smartphone kann mitmachen

Etwas Mut braucht es, im Tandem zu arbeiten. Der Guide muss sich schliesslich immer wieder auf neue Menschen einzulassen. Ausserdem darf man den öffentlichen Auftritt nicht scheuen. Ein TiM-Experte präsentiert sich mit Foto auf der tim-tam-Homepage.

Danach ist der Zeitaufwand überschaubar. Die Organisatoren hoffen, dass ein jeder von ihnen pro Jahr vier Geschichten einsammelt. Die einzige Belohnung dafür: Die Guides bekommen einen Ausweis, der ihnen in jedem der über hundert TiM-Museen der Schweiz freien Eintritt garantiert, damit sie nicht nur in «ihrem» Museum, sondern überall Geschichten aufnehmen können.

Initiiert vom Migros Kulturprozent

Auf die Idee gekommen ist Franziska Dürr, die Leiterin von Kuverum, einer Weiterbildungsinstitution für Kulturvermittler. «Seit rund dreissig Jahren suche ich nach Möglichkeiten, Museen partizipativ erlebbar zu machen. 2013 kam dann das Team Soziales vom Migros Kulturprozent auf mich zu. Sie wollten Jung und Alt zusammenbringen. Gemeinsam haben wir dann ‹GiM› entwickelt, Generationen im Museum, wo sich beispielsweise Gruppen aus einem Altersheim mit Gruppen aus dem Kindergarten getroffen haben, um gemeinsam eine Geschichte zu schreiben.»

Doch dann kam die Pandemie. Selbst als der Lockdown vorbei war, waren bestenfalls Ausstellungsbesuche zu zweit denkbar. So entstand 2020 auf Basis von GiM das «Tandem im Museum», um die Menschen aus der Isolation zu holen.

 

Franziska Dürr von Kuverum hat TiM mitentwickelt. Bild: Inka Grabowsky

Erfolgsgeschichte mit Ausbau-Potential

Noch werden weitere TiM-Guides und weitere TiM-Museen gesucht, um die Idee weiterzutragen. Beatrice Löber hat als Koordinatorin gerade ein Regio-Treffen für den Thurgau und St. Gallen organisiert, um Interessenten zu gewinnen. Doch schon heute können sich die Resultate der Arbeit im Internet sehen lassen.

Inzwischen sind 950 Geschichten hochgeladen. Die TiMTaM-ler rechnen aber mit etwa doppelt so viel Tandem-Besuchen. «Die veröffentlichte Geschichte im Musee imaginaire Suisse ist für uns die Kirsche auf dem Kuchen», so Franziska Dürr. «Was zwischen den Menschen passiert, ist viel wichtiger.»

 

Mit TiM zum Adventsanlass

Schweizweit gibt es TiM Adventsanlässe:  Im Thurgau unter anderem im Seemuseum in Kreuzlingen am 7. Dezember von 14 bis 15.30 Uhr und im Schulmuseum am 11. Dezember von 15 bis 17 Uhr

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