von Barbara Camenzind, 18.09.2023
Tönefest à la française

Es gibt diese Konzertmomente, in denen alles stimmt. Das Jugendorchester Thurgau unter der Leitung von Gabriel Estarellas Pascual begeisterte am Samstag in der evangelischen Kirche Arbon das Publikum. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Vielleicht hätte sich Charles Gounod ja mit Joseph Haydn auf ein Glas Gumpoldskirchner zum Heurigen getroffen, als er seine erste Sinfonie schrieb. Schon klar, das ging leider nicht, denn Sinfonie-Papa Haydn war 1853 schon 44 Jahre tot. Was Gounod aber übernommen hat, ist diese präzise, verhalten subversive Leichtfüssigkeit in der Musik, die er mit seinen eigenen Klangfarben versah.
Es ist davon auszugehen, dass das Jugendorchester Thurgau (JOTG) sich lange und intensiv mit dem Werk auseinandergesetzt hat, denn die Verhältnismässigkeiten, mit der dieses sehr klassisch aufgebaute Musikstück der französischen Hochromantik komponiert wurde, war jedem Mitspielenden hörbar sehr bewusst. Da wackelte kein Einsatz, im zweiten Satz wanderten wunderschöne, gestochen scharf-leise Bassläufe durch die Kirche und die kleine Fuge schachtelte sich passgenau ineinander.
Mini-Oper ohne Sängerinnen
Im Scherzo haben die Musizierenden und ihr Dirigent achtsam herausgespürt, das in diesem Menuett schon eine veritable „valse française“ steckt, mit ihren grosszügigen Auftakten für das Ballett. Wunderschön hier die Soli der Oboe und der weiteren Holzbläser mit ihren Schäfermotiven.
Mit dem vierten Satz erlebte das Publikum eine Art Mini-Oper ohne Sängerinnen. Der betörend mystische Anfang endete mit einem frech-fröhlichen Galopp im Ouvertürenstil, der einem ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Einfach coole Musik, gespielt von jungen Leuten, die sich ein Werk in die Stiefel geübt haben, wie man in Sängerkreisen sagt.
Saint-Saëns, pathosbefreit
Da die französische Musik seit den Zeiten des Sonnenkönigs eine stilistische Sonderrolle in der europäischen Kompositionszene einnahm, und ähnlich wie die französische Sprache etwas girlandig-pathetisch erscheinen mag, wundert es, dass Gounod und Saint-Saëns in diesen Werken so verknappt und verdichtet komponierten.
Wobei, Saint-Saëns hatte sich nicht so strikt daran gehalten in seiner zweiten Sinfonie. Er, der spätere Meister der klingenden Bilder wirkte zum hell-D-Durigen Gounod etwa so wie jemand, der in einer Erklärung etwas zu weit ausholt. Was aber sicher nicht an den Musizierenden lag. Denn der Anfang mit den grossen Moviven in den tiefen Streichern, den erratischen Pausen und dem wunderbar feinziselierten Geigensolo war perfekt gesetzt.
Am Ende schliesst sich der Kreis zum Anfang
Man merkte natürlich, dass der Komponist auch Organist war und zum Glück blieben Musizierende wie der Dirigent gelassen pathosbefreit bei der etwas langen Reise durch Sequenzen und Fugen im zweiten Satz. Um dann im Scherzo im Sarabandenstil erfrischend bissig zu wirken. Im vierten Satz schloss sich der Kreis zum Anfang und das Orchester servierte mit seinem gut gelungenen Bruch in das allerfeinste Piano mit Geigensolo ein weiteres klasse gespieltes Hörerlebnis.
Zwei Werke der französischen Hochromantik, die leider zu wenig aufgeführt werden, weil sie hinter den bekannten Werken ihrer Schöpfer zurückstehen. Schön, wie intensiv sich Estarellas Pascual mit seinen jungen Musizierenden mit diesen beiden Schmuckstücken französischer Art befasste. Das war in jeder Minute des Konzertes zu spüren. Das JOTG entliess sein Publikum fröhlich und gut gestimmt in den Abend. Solche Konzerte machen richtig Spass.

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