von Brigitta Hochuli, 27.07.2014
Architektur der Anmut

Die Kombination sitzt: Die Bauweise von Tilla Theus auf dem Mammertsberg bei Freidorf, beschrieben und fotografiert für ein Buch im Wolfau Druck Weinfelden - anmutig!
Brigitta Hochuli
Iso Camartin, Publizist und Schriftsteller, leitet die Anmut von Friedrich Schiller ab und behauptet, dass es sie auch in der Architektur gebe. Appliziert durch die Zürcher Architektin Tilla Theus auf das Restaurant Mammertsberg und den monolithischen Neubau auf dem Platz der ehemaligen Remise bedeute das - neben der Küche von August und Luisa Minikus - die Erfüllung höchster gestalterisch-ästhetischer Ansprüche an die gesamte Anlage, die Grundform und Möblierung, Material- und Farbwahl, Lichtführung und Spiegelungen, Garten und unverbauten Ausblick auf den Bodensee.
Über all das staunt man nicht nur in Wirklichkeit, sondern im vorliegenden Buch der Weinfelder Wolfau Druck AG auch beim Betrachten der Fotografien aus dem Atelier FA Zürich und Basel. Prächtig fangen die Bilder ein, wie skulptural einzelne Architekturelemente - etwa die alumiumbewandete Wendeltreppe oder der gläserne Lift - das alte Riegelhaus in die Moderne ziehen oder wie der Anbau für Küche und Saal zum Kunstobjekt aus Bambus und Stein wird.
Mammertsberg, Altbau und Monolith, © Atelier FA Zürich und Basel
Von 1911 bis 2006 habe der Riegelbau als kleinräumiges Restaurant und grossflächiger Tanzsaal gedient, fasst Kulturpublizist Alex Bänninger zusammen. 2010 habe Vermögensverwalter und Anlageberater Jürg Maurer den Bau erworben. Dazwischen habe das Gebäude Schaden erlitten. Nun sollte die ursprüngliche Harmonie zwischen Natur und Architektur wieder hergestellt werden. Das sei gelungen, weil Maurer kaufmännisches und mäzenatisches Handeln miteinander verbunden und die für ihre Architektur bewunderte Tilla Theus und die gastronomischen Spitzenkräfte August und Luisa Minikus (früher Römerhof Arbon) gewonnen habe.
Der Mammertsberg ist denkmalpflegerisch als wertvoll eingestuft, Architektin Tilla Theus ist spezialisiert auf Umbau und Sanierung solcher Objekte. Beispiele sind das Widder Hotel in Zürich oder das Castello del Sole in Ascona. Für die Fähigkeit, besonders komplexe und exponierte Projekte zu meistern, sprächen Neubauten wie der FIFA-Hauptsitz oder das Gipfelrestaurant auf dem Aroser Weisshorn, schreibt Bänninger. Der Mammertsberg sei eine Herausforderung mit neuen Aspekten gewesen, weil „für die Ermittlung des ursprünglichen Ausdrucks die Baupläne fehlten“. Mittels Fotos und Postkarten habe Tilla Theus den Bestand dann mit detektivischer Akribie bis zur verborgensten Ecke erfasst, um zu erkennen, was an Veränderung möglich und sinnvoll sei. Und um zu beschreiben, was nun seit 2013 das Auge entzückt, greift auch Alex Bänninger auf Friedrich Schiller zurück: „Das Schöne beherrscht sich edel, drängt sich nicht auf, vertraut elegant seiner Anmut.“
***
„Mammertsberg“, Hrsg. Jürg Maurer, Freidorf, Wolfau Druck AG, Weinfelden
Beteiligte
Jürg Maurer, Investor, Freidorf
Tilla Theus, dipl. Arch. ETH, Tilla Theus und Partner AG, Zürich
Denkmalpflegerin Bettina Hedinger
Gemeinderat Roggwil-Freidorf
August und Luisa Minikus, Spitzenkoch (17 Gault-Millau-Punkte) und dipl. Sommelière

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