von Inka Grabowsky, 25.03.2019
Auftakt macht Appetit auf mehr
Das Festival tanz:now im Phönix-Theater Steckborn ist mit den Auftritten der Tanzcompagnie des Konzert Theater Bern fulminant eröffnet worden.
So wie in Gourmet-Restaurants gerne eine Auswahl von Mini-Vorspeisen oder Mini-Desserts angeboten werden, um von den breiten Möglichkeiten der Küche zu zeugen, so kamen auch die Tänzer und Tänzerinnen der Tanzcompagnie des Konzert Theater Bern mit vier Ausschnitten aus unterschiedlichen Produktionen der vergangenen zwölf Monate an den Untersee. Sie zeigten damit nicht nur ihr eigenes abwechslungsreiches Repertoire, sondern erfüllten gleichzeitig den Anspruch des Festivals tanz:now, einen Querschnitt des zeitgenössischen Tanzes der Schweiz auf die Bühne zu bringen.
Seit rund sechs Jahren leitet Estafania Miranda die Tanzcompagnie des Konzert Theater Bern. Ihre Choreographie „Just“ aus dem eigentlich abendfüllenden Stück „Vier Jahreszeiten“ hatte erst im vergangenen November Premiere. Das Duett ist im Gesamtstück wahlweise Prolog oder Epilog (die Zuschauer sehen es in getrennten Gruppen). Es hat klanglich nichts mit den „Vier Jahreszeiten“ zu tun, die Max Richter aus Antonio Vivaldis Werk geschaffen hat. „Just“ wird getanzt zu einer Version des „Song of Songs“ (dem Hohelied Salomons) von David Lang. Das lässt die Stimmung erahnen: Es ist eine ergreifende Darstellung idealer Liebe. Die Zuschauer sehen sieben Minuten lang eine perfekte Beziehung, bei der sich Tänzerin Nozomi Matsuoka und Tänzer Winston Ricardo Arnon begehren, vereinen, gelegentlich entzweien und gegenseitig stützen. Sieht man es vor oder nach dem Hauptteil der „Vier Jahreszeiten“, in denen es unter anderem um das Scheitern von Gesellschaft geht, dann ist das Duett Sehnsuchts- oder Rückzugsort in einer komplexen Welt. Für die Zuschauer in Steckborn war es einfach nur unglaublich schön.
Konzentration auf das Wesentliche
Die Tanzcompagnie des Konzert Theater Bern kommt fast ohne Bühnenbild und ohne Requisiten aus. Auch die Kostüme lenken nicht von den Körpern ab. In „Just“ tragen die beiden Protagonisten hautfarbene, knappe Anzüge. Verblüffend aber ist der Einsatz der Lichttechnik. Ein Spot beleuchtet die beiden. Erlischt er, wechseln sie die Position in Raum und rücken so den Zuschauern, die in Steckborn ohnehin dicht an der Bühne sitzen, noch ein wenig näher.
Die Tanzfläche im Phönix Theater ist nicht wirklich gross. Nur neun Meter sind es von Wand zu Wand – normalerweise sind Tanzbühnen zwölf Meter breit. Da passt es ganz gut, dass die Compagnie aus Bern nur mit einem Teil der Truppe angereist ist. Im zweiten Stück, „Lost Cause“ von der israelischen Starchoreographin Sharon Eyal, füllen fünf Aktive den Raum vollkommen aus. Sie tanzen zur treibenden, genau getakteten Musik von DJ Ori Lichtik, die Körper staksen maschinenhaft, präzise zu jedem Schlag. Der Dynamik kann man sich schwer entziehen.
Der Titel „Lost Cause“ – „aussichtsloser Fall“ – legt Assoziation zu Kämpfen mit entsprechenden Blessuren nahe, zwingend sind sie jedoch nicht. Jeder Betrachter kann sich selbst seinen Reim auf die getanzten Bilder machen. Die im Programmheft angekündigte „humorvolle Satire“ sehen offenkundig nur wenige Zuschauer. Lacher wegen überraschender Pointen erntet erst das nächste Stück.
Die Bandbreite des zeitgenössischen Tanzes
„Lost Cause“ wurde im Februar als Schweizer Erstaufführung im Rahmen des Programms „Kontraste“ gezeigt. Während hier die Musik und auch die Körpersprache an den Techno-Stil erinnern, nimmt der zweite Teil des Programms Bezug auf die tiefe Religiosität des 16. und 17. Jahrhunderts. In „Salve Regina“ wechselt sich Musik von Monteverdi und Alessandro Scarlatti mit taktlosen Toninstallationen von Jörgen Knudsen ab. Grösser könnte der Kontrast wirklich nicht sein. Der norwegische Choreograph Jo Strömgren hat auch die Bühne gestaltet und inszeniert eine poetische Geschichte. Die sieben Tänzer haben ihre körperbetonten goldenen Anzüge mit wallenden schwarzen Kutten getauscht (Kostüme von Bregje van Balen), sie nutzen Requisiten wie Ikonen, Bücher oder ein rauchendes Weihrauchfass, und sie spielen durchaus humorvoll mit dem Bühnenbild. Eine helle Plane auf dem Bühnenboden wird zur Zudecke einer Tänzerin oder zur bewegten Berglandschaft.
Vom Chaos zur Ruhe
Religiös basiert ist auch der letzte Ausschnitt des Abends: „Yidam“ vom britischen Choreographen Ihsan Rustem. Er liess sich inspirieren von einer buddhistischen Meditation. „yidkyidam-tshig“ heisst auf Tibetisch „Verbindung des Geistes“. Ein Meditations-Neuling erlebt allerdings zunächst einen wilden Sturm der Gedanken, bevor sich sein Geist beruhigt. Genau das stellen die fünf Tänzerinnen und Tänzer dar. Wild lassen sie sich von den pausenlosen Violinenläufen aus „Weather One“ von Michael Gordon treiben, bis sie im perfekten Gleichklang in eine Richtung marschieren und schliesslich entspannt zu Boden sinken.
Der Applaus im vollbesetzten Phönix-Theater ist begeistert. Und die nächsten Vorstellungen im Rahmen von tanz:now dürften nicht weniger spannend werden. Mehr zum weiteren Programm gibt es hier
Von Inka Grabowsky
Weitere Beiträge von Inka Grabowsky
- Vom Reporter zum Dichter (03.04.2024)
- Die 36-Stunden-Revolution (07.03.2024)
- Ein bisschen Zucker für Musical-Fans (29.02.2024)
- Ein ungleiches Paar mit gemeinsamer Botschaft (27.02.2024)
- Auf der Suche nach neuen Königinnen und Königen! (27.02.2024)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Bühne
Kommt vor in diesen Interessen
- Kritik
- Tanz
Ähnliche Beiträge
Blond, aber nicht blöd
Am Ende gab es Standing ovations: „Sugar – Manche mögen’s heiss“ rief bei der Musical-Premiere auf der Zentrumsbühne in Bottighofen Begeisterung hervor. mehr
Ein ungleiches Paar mit gemeinsamer Botschaft
Die Tänzerin Micha Stuhlmann hat gemeinsam mit dem körperlich beeinträchtigten Werner Brandenberger «ein Duo vom allmählichen Verschwinden» erarbeitet. Die Performance feierte jetzt in Kreuzlinger Theater an der Grenz... mehr
Mit lustiger Wut im Bauch
Ein deutscher Abend beim KIK-Festival im Dorfzentrum Bottighofen – Polit-Kabarettistin Simone Solga liess kaum etwas ungesagt und bewies, dass auch Kabarett populistisch sein kann. mehr