Seite vorlesen

«Diese Krise ist existenziell»

«Diese Krise ist existenziell»
«Wir Frauen müssen uns gegenseitig unterstützen, um auch in der Klassik sichtbarer zu werden.» Die Pianistin Simone Keller im Video-Interview mit thurgaukultur.ch | © Michael Lünstroth

Die Corona-Krise hat freischaffende KünstlerInnen hart getroffen. Viele beklagen grosse Umsatzverluste. Die Pianistin Simone Keller spricht jetzt offen über ihre Situation. Aber nicht nur. Sie hat noch eine andere Mission: Unentdeckte Komponistinnen neu zu entdecken.

Nein, grundlegende Zweifel an ihrer Berufswahl hat die Pianistin Simone Keller noch nicht, ihr Beruf sei ihr nach wie vor eine Berufung, sagt sie. Aber trotzdem hat die Corona-Krise auch sie nachdenklich gestimmt. Die Folgen beschäftigen sie nach wie vor: 25’000 Franken verzeichnet sie an Verdienstausfall seit dem Lockdown. 5’000 Franken davon haben Veranstalter übernommen, 3’000 Franken hat sie vom Staat als Erwerbsersatz erhalten. Den ganzen Rest muss die freischaffende Künstlerin aber alleine stemmen: „In meinem Fall greifen die staatlichen Unterstützungsmassnahmen nicht so exakt, ich muss von meinem Ersparten leben“, sagt die aus dem Thurgau stammende Musikerin im Video-Interview mit thurgaukultur.ch

Video: Jetzt das ganze Interview ansehen (ca. 48 Minuten)

Das Gespräch lief im Rahmen der Solidaritätsaktion #deinebühne und behandelte nicht nur die aktuelle Situation für MusikerInnen, sondern kreiste auch um inhaltliche Fragen: Was macht gute Musik aus? Wie ist die Lage für Frauen in der Männerdomäne der klassischen Musik? Und warum werden immer noch viel mehr Werke von Komponisten als von Komponistinnen aufgeführt?

Gendergerechtigkeit einerseits, aber auch die Stärkung von Vielfalt jeglicher Art in der Musik ist für Simone Keller seit Jahren ein grosses Anliegen. „Ich habe immer wieder ganz bewusst die Zusammenarbeit mit Menschen gesucht, die in der Öffentlichkeit zu wenig oder lediglich stereotypisierend wahrgenommen werden und habe versucht, Raum zu schaffen für Menschen, die gesellschaftlich ausgegrenzt werden. Im gemeinsamen Musizieren mit Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen, mit Geflüchteten oder mit jugendlichen Straftätern durfte ich unendlich viel Schönes entdecken und erlernen, was zuvor jenseits meines Horizontes lag“, erklärt die Pianistin.

Simone Keller am Klavier. Bild: Michael Lünstroth

Trotz allem: Sie will positiv bleiben und nach vorne schauen

Im Video redet sie auch nicht nur darüber, sondern spielt auch drei Werke heute weitgehend vergessener Komponistinnen: Julia Amanda Perry (ab Minute 16:45), Ruth Crawford Seeger (ab Minute 29:07) und Teresa Carreño (ab Minute 37:50). «Das sind so tolle Werke und ich verstehe einfach nicht, weshalb sie nicht viel häufiger gespielt werden», sagt Simone Keller. Ein Grund dafür seien aber sicherlich die patriarchalischen Strukturen in der Welt der klassischen Musik. Das sei sehr lange ein von weissen Männern dominierter Club gewesen, so die Musikerin.

Trotz ihrer aktuell schwierigen Lage, gibt Simone Keller aber nicht auf: „Ich versuche, positiv zu bleiben. Ich gehe davon aus, dass ich im September wieder spielen kann.“ Was die Corona-Krise und ihre Folgen für die Kulturbranche bedeuteten, sei allerdings noch nicht absehbar: „ Noch ist es zu früh abzuschätzen, was das für uns KünstlerInnen bedeutet.“

 

Die Solidaritätsaktion #deinebühne

Die Idee: Wir wollen nicht, dass das Thurgauer Kulturleben hinter dem Corona-Vorhang für viele Wochen verschwindet, wir wollen es sichtbar halten. Deshalb bieten wir an vor allem all jenen Kulturschaffenden, die in diesen Tagen und Wochen eigentlich Konzerte, Lesungen, Aufführungen und Ausstellungen auf die Bühne bringen wollten, dies über unsere Kanäle zu realisieren. Die Aktion #deinebühne läuft seit Mitte März 2020. Mehr Infos dazu gibt es auch hier.

 

Mitmachen: Zwei Möglichkeiten gibt es dafür. Möglichkeit a) Es gibt bereits Videos und/oder Bilder zu den Projekten oder die Künstlerinnen, Künstler und Institutionen planen eigene Streams und/oder Videoproduktionen. In diesen Fällen können wir gerne Multiplikator sein. Das heisst: Schickt uns eure Termine für geplante Streams oder Dateien, diese am besten über einen Dienst wie WeTransfer, und wir verbreiten sie ebenfalls über unsere Kanäle. Hauptkanal hierfür ist unsere Facebook-Seite mit mehr als 3000 Abonnenten sein. Wenn ihr mögt, blendet am Ende des Videos auch eure Kontodaten ein, vielleicht mag der eine oder andere Zuseher ja spenden für eure Arbeit.

 

Möglichkeit b) Reporterinnen und Reporter von uns kommen zu euch und machen einen Livestream von und mit euch. Auch dies würden wir vor allem über unsere Facebook-Seite ausstrahlen. Das werden dann allerdings keine fancy Hochglanz-Produktionen. Wir stellen es uns eher roh und im besten Sinne handgemacht vor. Mit einer Basis-Ausrüstung aus Smartphone, Mikrofon, Stativ, Selfie-Stick werden wir dabei arbeiten.

 

Kontakt: Für beide Möglichkeiten gilt: Meldet Euch bei uns unter der E-Mail-Adresse redaktion@thurgaukultur.ch , wenn wir euch helfen können.

 

Bisherige Ausgaben:

 

#deinebühne No.1: Rundgang mit Markus Landert, Direktor des Kunstmuseum Thurgau, durch die Ausstellung «Pixel, Pinsel und Pailletten».

#deinebühne No. 2: Comedy und Yoga mit Florian Rexer

#deinebühne No. 3: Pianist und Sänger David Lang spielt Songs aus seiner geplanten «Rosenhochzeit»-Tournee

#deinebühne No. 4: Die Country- und Folksängerin Beth Wimmer stellt ihr neues Album in einem Release-Konzert vor

#deinebühne No. 5: Das Theater in der Corona-Krise: Talk mit Roland Lötscher vom Theater Bilitz

#deinebühne No. 6: Die Kunst in der Corona-Krise: Talk mit Richard Tisserand vom Kunstraum Kreuzlingen

#deinebühne No. 7: Rundgang mit der Künstlerin Sonja Lippuner durch ihre Ausstellung «orten» in der Kunsthalle Arbon

#deinebühne No. 8: Country- und Blueskonzert mit Southbound Steve

#deinebühne No. 9: Frank Vetter und seine Corona-Songs

#deinebühne No. 10: Talk mit dem Schauspieler und Regisseur Giuseppe Spina

 

Das Dossier: Alle zur Aktion #deinebühne erschienen Artikel sammeln wir in unserem Themendossier. Dort könnt ihr auch alle Videos nach dem Livestream noch anschauen.

 

 

Kommentare werden geladen...

Werbung

Hinter den Kulissen von thurgaukultur.ch

Redaktionsleiter Michael Lünstroth spricht im Startist-Podcast von Stephan Militz über seine Arbeit bei thurgaukultur.ch und die Lage der Kultur im Thurgau. Jetzt reinhören!

Austauschtreffen igKultur Ost

Für eine starke Kulturstimme im Kanton Thurgau! Dienstag, 11. Juni 2024, 18.00 Uhr, Kult-X Kreuzlingen.

Literaturpreis «Das zweite Buch» 2024

Die Marianne und Curt Dienemann Stiftung Luzern schreibt zum siebten Mal den Dienemann-Literaturpreis für deutschsprachige Autorinnen und Autoren in der Schweiz aus. Eingabefrist: 30. April 2024

Atelierstipendium Belgrad 2025/2026

Bewerbungsdauer: 1.-30. April 2024 über die digitale Gesuchsplattform der Kulturstiftung Thurgau.

Ähnliche Beiträge

Musik

Zu Unrecht fast vergessen

Am Sonntagabend fand im Rathaus Weinfelden die Buchvernissage von «Hidden Heartache» statt. Das Buch ist im Rahmen der Reihe «Facetten» der Kulturstiftung des Kantons Thurgau entstanden. mehr

Musik

Dem Alltag entfliehen

Mit bekannten Namen und literarischen Experimenten: Das Jahresprogramm des Klosters Fischingen bietet Raum für Entdeckungen. mehr

Musik

Eine Passion für alle

Warum berührt uns Bachs Johannespassion noch heute? Christian Bielefeldt, künstlerischer Leiter und Dirigent des Oratorienchor Kreuzlingen, über Bachs dramatisches Geschick und seine Klangsprache. mehr