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von Claudia Koch, 30.07.2019

Ein Stück Meer im Greuterhof

Ein Stück Meer im Greuterhof
Freuen sich auf die Aufführungen: Hintere Reihe (von links): Vincenzo Ciotola, Carin Frei, Noce Noseda, Christina Spaar, Goran Kovacevic, im Boot: Jean Martin Roy und Adele Raes. | © Claudia Koch

Mit der Novelle „Der alte Mann und das Meer“ wagt sich die Theaterwerkstatt Gleis 5 aus Frauenfeld an ein Stück von Weltruhm heran. Im Mittelpunkt des 1953 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Werks von Ernest Hemingway stehen in der aktuellen Inszenierung im Greuterhof Islikon nicht nur der alte Mann, sondern auch ein legendärer Sportler und eine berühmte Schauspielerin.

Noch ist es schattig und kühl im Innenhof des Greuterhofes. Doch langsam wirft die Sonne, einem Scheinwerfer gleich, ihre Strahlen in den Hof und leuchtet damit einen Teil die für dieses Kammertheater speziell konzipierten Zuschauertribünen aus. Diese sind rund um die Bühne aufgereiht, für eine 360 Grad Rundumsicht, wie Regisseurin Carin Frei sagt. Zentrum und Drehpunkt dieses Raums bildet ein Fischerboot. Drehpunkt deshalb, da das Boot während der Aufführung sich um die eigene Achse dreht und verschiedenen Positionen einnimmt. „So hat jede Zuschauerin und jeder Zuschauer mindestens einmal volle Sicht auf den alten Mann im Boot“, verspricht Frei. Der alte Mann, der arme Fischer, wird von Jean Martin Roy gespielt. Roy, der die Accademia Teatro Dimitri zehn Jahre lang geleitet hat, steht im Mittelpunkt dieses Kammertheaters. „Er ist aber nicht nur Schauspieler, sondern auch unser aller Lehrer“, wie Dramaturg und Produktionsleiter Noce Noseda betont.

Einfache, gradlinige Geschichte

Die Geschichte des armen alten Fischers, der 84 Tage lang vom Pech verfolgt war, dann am 85. Tag den grössten und aufreibendsten Fang seines Lebens macht, diesen aber gegen die Haie verteidigen muss, diese Geschichte hat die Theaterwerkstatt Gleis 5 schon lange begleitet. „Wir wollten dieses Jahr, als vierte Produktion im Greuterhof, ein Stück eines weltbekannten Schriftstellers aufnehmen“, sagt Noseda, der darauf hinweist, dass der Innenhof nächstes Jahr renoviert und es deshalb im 2020 keine Produktion geben wird. Ausserdem wollte das Team diesmal eine einfache, gradlinige Geschichte, da das letztjährige Stück „Am Hang“ von Markus Werner eher verschlungen, dialoglastig war. Bewegung, Rhythmus und Musik sind bei der jetzigen Inszenierung Leitfäden. Die Theaterwerkstatt hat eine eigene Theaterfassung geschrieben. Die zentrale Frage dabei war: „Was bewegt uns in dieser Geschichte?“ Es sei das spezielle Denken des Fischers, sagt Noseda. Der Fischer macht mit der Zeit keinen Unterschied mehr zwischen sich und dem Fisch, zwischen dem Hier und der Welt.

Während den Proben: Jean Martin Roy als der alte Mann im Boot, Adele Raes als Marilyn und Noce Noseda als Joe DiMaggio. Bild: Claudia Koch

Baseballstar und Schauspielerin

Obwohl der Fischer allein im Boot auf dem weiten Meer ist, steht er in Verbindung zur grossen Welt. Da ist einerseits der legendäre Baseballstar, Joe DiMaggio, gespielt von Noce Noseda, den der alte Mann grenzenlos verehrt. Mit ihm fühlt er sich verbunden, trotz der unterschiedlichen Lebenswelten, da DiMaggios Vater ebenfalls Fischer war. Die andere Person, die die Theaterwerkstatt in ihrer Inszenierung aufleben lässt, ist die Frau des berühmten Sportlers: Die Schauspielerin Marilyn Monroe. Marilyn, gespielt von Adele Raes, bringt die weibliche Komponente ins Spiel und ist wie DiMaggio einmal erzählend, dann wieder ein fiktiver Teil der Handlung. Regisseurin Carin Frei fügt an, dass diese beiden Personen dem Fischer aufzeigen, dass es emotional nicht so wichtig ist, ob man ein armer Fischer ist oder weltberühmt.

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Meer im Innenhof

Das grosse Meer in den kleinen Innenhof zu bringen sei eine Herausforderung gewesen, sagt Noseda. „Theater bietet jedoch die Möglichkeit, einen Raum zu verwandeln. Wenn alle an diesen Raum glauben, kann auch ein grosses Meer entstehen“, sagt Noseda und fügt an: „Kammertheater ist nicht nur ein schönes Wort, sondern steht auch für Intimität.“ Bei den 150 überdachten Sitzplätzen sitzt man je nach momentaner Ausrichtung des Bootes auf dem besten oder auf dem schlechtesten Platz. Frei sagt dazu: „Die Emotionen des Fischers sind jedoch auch über den Rücken erlebbar, nicht nur über das Gesicht.“ Selbst wenn im Stück viel Bewegung vorkommt, so gibt es viele ruhige Phasen. „Es gilt, die Stille auszuhalten, wenn vermeintlich nichts passiert“, so Frei.

Komponist Vincenzo Ciotola und Goran Kovacevic spielen melancholische, aber auch lüfpige Melodien. Bild: Claudia Koch

Musik als tragendes Element

Ein weiteres, wichtiges Element der Inszenierung ist die eigens komponierte Musik von Vincenzo Ciotola, ursprünglich aus Neapel, heute im Tessin lebend. Begleitet wird der Komponist und Gitarrist von Goran Kovacevic aus Schaffhausen am Akkordeon. Für Carin Frei ist die Musik ein grosser Träger, besonders in den stillen Momenten. Mit etwas Verspätung trifft auch Adele Raes ein, wie Marilyn, fügt sie lachend an. Die gebürtige Belgierin hat ihre Schauspielausbildung an der Accademia Teatro Dimitri absolviert. Sie sei überrascht gewesen, dass sie als eher grazile Frau für den Part der Marilyn angefragt wurde. „Ich kopiere aber nicht die Person, sondern spiele eine Erinnerung“, sagt Raes. Eine Erinnerung vor allem an die letzten Lebensmonate des glamourösen, aber unglücklichen Stars: Wie der alte Fischer auf dem Meer war Marilyn umringt von Haien und einsam.
 
Aufführungstermine und Kartenvorverkauf:15. (Premiere), 16., 20., 21., 22., 23., 24., 27., 28., 29. und 30. August (Derniere), jeweils um 20.30 Uhr, Greuterhof Islikon, Informationen und Kartenvorverkauf: www.mannundmeer.ch 

Regisseurin Carin Frei berichtet über die Vorarbeiten, daneben der Komponist und Gitarrist Vincenzo Ciotola. Bild: Claudia Koch

 

 

 

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