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von Daniel Badraun, 26.07.2014

Schwarzes Gold in Diessenhofen

Schwarzes Gold in Diessenhofen
Die sieben Schwestern mit ihren weissblonden Perücken träumen von der Weltherrschaft. | © Daniel Badraun

Daniel Badraun

Ein verschlafenes Städtchen am Rhein, eine gierige Ölgesellschaft, die fette Gewinne einfahren will, Liebespaare, die zusammenfinden und die globale Verschwörung der Ölmultis: Vor vollen Rängen findet am Rheinufer unterhalb der Thurgauer Klinik St. Katharinental die Premiere des Stückes „Schwarzes Gold“ statt.

Eine grosse Kiste

Zuerst begrüsst Stadtammann Walter Sommer mit blumigen Worten und dankt dem Kanton und namhaften Sponsoren für die grossen Beiträge, die es den Theatermachern ermöglichten, mit der ganz grossen Kelle anzurichten. Am Rheinufer sind eine gedeckte Tribüne mit 500 Plätzen, eine Bühne mit Bohrturm über dem Wasser und ein grosses Festzelt mit einer ordentlichen Festwirtschaft entstanden. Fleissige Helferinnen und Helfer hinter den Kulissen sorgen dafür, dass alles rund läuft. Ein eindrückliches Bühnenbild wird von einem begeisterten Ensemble bespielt, Laien und Profis führen gemeinsam durch die Geschichte. Mit einem grossen Verein sind die Rheinspiele Diessenhofen fest in der Region verankert. Immer wieder wird auf die lange Theatertradition des Rheinstädtchens hingewiesen; damit wurden Erwartungen geschürt, die nun erfüllt sein wollen. Eine Produktion von dieser Grösse muss professionellen Qualitätsansprüchen gerecht werden.

Die Geschichte

Im idyllischen Städtchen Rheinhofen („Hier lebe ich, hier liebe ich, hier bin ich zu Haus!“) mit seinem Naturschutzgebiet will die von der skrupellosen Managerin Nathalie Killing geführt Firma Oil Star nach dem Schwarzen Gold bohren. Der Widerstand der Bevölkerung bricht angesichts des vielen Geldes schnell zusammen, den Probebohrungen wird schnell zugestimmt. Lukrative Arbeitsplätze locken, so eröffnet die Spitexangestellte ein Bordell und erscheint ab sofort im Mieder-Look mit roter Schleife im Haar. Die Tochter des Bürgermeisters bekommt trotz Kleidergrösse 38 einen Modelvertrag in New York, bei den Ölarbeitern sitzt das Geld locker in der Tasche.

Als man mit konventionellen Mitteln zu wenig Öl findet, will Oil Star mit Fracking eine höchst umstrittene Methode anwenden. Erst als ein Geologe aussteigt („Hier hast du meine Kreditkarte, meine Seele bekommst du nicht!“) und die zweite Tochter des Bürgermeisters von einem Greenpeaceeinsatz zurückkehrt, kommt der Umschwung. Es gibt eine Demonstration. Zum Schluss gibt es Geständnisse („Ich war ratlos ... und ich war schwanger!“), diverse einsame Herzen finden zusammen und die Ölfirma muss das Feld räumen. Ende gut.

Aktualität

Seit Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ wissen wir, dass jede Gesellschaft käuflich ist. Der Altmeister hütete sich aber davor, dem Publikum seine Einsichten einzutrichtern. Bei „Schwarzes Gold“ werden die Zuschauerinnen und Zuschauer durch diverse Exkurse zu Experten in Sachen Klimaschutz, CO2-Lüge, Nachhaltigkeit und Weltherrschaft der internationalen Ölfirmen. Die Weisheiten „Das ganze Leben ist gefährlich!“ und „Geld kann man nicht essen!“ helfen da auch nicht weiter. Sieben Schwestern mit ihren weissblonden Perücken, die von der Weltherrschaft träumen („ein Reich, ein Volk, ein Führer“), lassen aus luftiger Höhe wahre Kaskaden aus Worthülsen auf das Publikum herunterprasseln, gewürzt mit dem fiesen Lachen, das nur noch vom Zynismus der Ölmanagerin übertroffen wird. Trotz der vielen Fakten geht man nicht wirklich klüger nach Hause. Man hat ja schon immer gewusst, dass die Grossen die Kleinen übers Ohr hauen wollen und dass das Gute nicht immer siegt. Diese Ohnmacht spüren wohl auch die Bewohnerinnen und Bewohner von Etzwilen, die sich gegen Geothermiebohrungen in ihrem Dorf wehren.

Wo ist Elke? oder Weniger wäre mehr

Die Leute des Dorfes sorgen für starke Momente. Viel Aufmerksamkeit erhält das Diessenhofer Original Fredi Lier, der mit einer in die Jahre gekommenen Dame anbändelt und dann hinter den Kulissen verschwindet. Eine weitere Hauptrolle übernimmt der Rhein, der kraftvoll unter der Bühne hindurchfliesst, beim Eindunkeln langsam die Farbe wechselt und einen angenehmen Kontrast zum etwas vollen Stück bildet.

Autorin Gabriele Caduff hat ein aktuelles Thema aufgegriffen und viele Informationen eingebaut. Sie hat gegensätzliche Figuren gezeichnet und strukturiert die Geschichte mit einer bunten Szenenfolge. Irgendwann verschwindet eine Frau, irgendwann wird sie tot aufgefunden, irgendwie bleibt aber alles im Dunkeln. Im Lied „Mancamp“, begleitet von tanzenden Freudenmädchen in Strapsen, wird angedeutet, dass die Ölarbeiter eben harte Typen sind, so muss die tote Elke wohl als Nebenerscheinung dieses Gomorrha am Rhein in Kauf genommen werden. Wie die arme Elke tauchen Erzählstränge auf, um wieder in der Dunkelheit zu verschwinden. Caduff reisst viele Themen an, führt aber nicht alle Geschichten weiter. Einiges bleibt in der Schwebe und an einem Nebensatz hängen. Das ist schade.

Ausblick

Der Verein Rheinspiele Diessenhofen möchte gerne weitere Projekte angehen. Auf der schönen Rheinbühne ist sicher einiges möglich. Zu wünschen wäre dem initiativen Team, dass die nächsten Projekte nicht so überladen werden. Dann steht einer neuen Diessenhofer Freilichtspieltradition nichts mehr im Wege.

***

Tickets und weitere Informationen unter www.rheinspiele.ch

Gespräch mit Regisseurin Gabriele Caduff

 

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