von Barbara Camenzind, 11.02.2019
Tanz durch die Schubladen
Was ist jetzt echte Volksmusik? Was sind echte Volksmusikanten? Der staatliche Beromünster-Hudigägg, Herr Prof. A. Gabalier mit seinem Nahdeutscherlebnis «Hulapalu», die Appenzeller Space Schöttl oder ils Fränzlis da Tschlin? Bei Klangreich in der Alten Kirche Romanshorn wurde am vergangenen Sonntag endlich wieder einmal Heinz Holligers „Alb-Chehr“ aufgeführt. Und Volksmusik nach Ansage.
Der Oboist Heinz Holliger war in den so genannten Nuller-Jahren sehr präsent in den Klassik-Kanälen der deutschsprachigen Radiosender. Manchmal fast etwas zu präsent. Er gilt als der Epigone des Rohrblattes von Barock bis Postmoderne. Am Sonntag war er - quasi - mit einem Stück Volksmusik anwesend. Seiner Volksmusik. Nicht verwunderlich, dass darum auch Rahel Cunz, die „eigentlich“ Konzertmeisterin beim Musikkollegium Winterthur ist, mit von der Partie war. Und sich mit Verve ins Zeug legte, um die Mazurkas oder den „Arme-Seelen-Jodel“ zu fiedeln. Ja, da steht fiedeln, und das ist ein Kompliment. Nicht jede gute Musikerin ist auch eine gute Musikantin. Dass beides möglich sein kann, war das Erlebnis des Abends.
Alpine, traditionelle Tanzmusik braucht „Schmalz am Bog’n“ wie die Tiroler sagen. Dass einem da die hart erübte Technik beim Spielen hilft- ist dann die Crème obenauf. Und es war ja schon so etwas wie das Treffen der Crème de la Crème der so genannten „neuen urbanen Schweizer Volksmusik(szene)“ Was für ein sperriger Begriff! Bei dem es sich very urban immer noch um Älplersagen, Kuhreihen und fetzige Polkas drehte. Genug der Spitzfindigkeiten. Sabine Gertschen und Domenic Janett waren das dominierend kraftgebende Klarinettengespann in den Eigenkompositionen der illustren Ad-Hoc-Truppe genannt „sCHpillit“. Mathias Würsch, Professor an der Musikhochschule Basel am Cymbalon, ergänzte sich formidabel mit dem Jungtalent Christoph Pfändler, am Appenzeller Hackbrett, dem der Crossover zur Zeitgenössischen Musik sichtlich Spass machte. Die Akkordeonisten Hermann Lehner und Ernst Rohrer gaben dem Abend das, was so mitreisst, an alpenländischer Volksmusik jeglicher Couleur: „En Ton mit Biss und de Bode.“
Straffla, Kontrabass und Geischterchor
Übrigens: Die Alte Kirche Romanshorn wurde am Sonntag Abend kurz ins Oberwallis entführt. Als kongenialer Wechselspieler zwischen dem westalpinen Idiom und dem geschliffenen Bühnendeutsch agierte Schauspieler Dani Mangisch. Ob die Geschichte der Heupferdchen, „Straffla“ genannt, die das grösste unter Ihnen erst zu Gendarmen, dann zum Premierminister ernannten und ihn aus Ärger dann mit Baumharz an den Stuhl festklebten, wirklich von einem Herrn Taugwalder - und nicht aus Washington D.C. stammte? Wer weiss.
Mangischs Melodrampart in Holligers Alb-Cher, der grausigen Gespenstergeschichte rund um Sennen, die von Geistern Musikinstrumente bekommen haben, wurde wunderbar unterstützt durch Käthy Steuri am Kontrabass - die amazonenhaft schnell und präzise jeden Klang aus Ihrem Instrument zauberte. Der von Peter Siegwart geleitete „Geischterchor“ bildete die pointierte Brücke zwischen den Tagszenen und den Nachtszenen.
So wie Holligers Musik sich feinsinnig-schräg zwischen seriellen Strukturen und den überlieferten Formen hin-und her träumte. „Alb“ kann Alpweide, aber auch Geist, Elfe, oder Nachtalb bedeuten. „Cher“ bedeutet Wiederkehr, aber auch Wiederholung. Das Programm ruft nach Wiederholung. So gute Musik. So gute Musikanten. Tucholskys berühmte Frage müsste demnach lauten: Was darf Volksmusik? Alles. Und es dürfen sie alle spielen.
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