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von Brigitta Hochuli, 29.04.2012

Augenschein in Pfyn

Augenschein in Pfyn
Das fast fertig gebaute Amphitheater der Kulturhauptstadt der Schweiz in Pfyn, Thurgau. | © Brigitta Hochuli

Brigitta Hochuli

Samstagnachmittag in der Trotte der Kulturhauptstadt Pfyn. Markus Landert, Direktor des Kunstmuseums Thurgau, zerzaust ein „Manifest“ der Initianten der Tagung „Demokratische Kunst?“ als „fahrlässig vereinfachend“.

● „Demokratische Kunst nutzt den öffentlichen Raum…“. – Was ist der öffentlich Raum?, frägt Markus Landert.
● Sie nutzt „Formen des zivilen Ungehorsams…“. – Ist das überhaupt möglich?
● „Demokratische Künstler begreifen sich als partizipierende Bürger.“ – Partizipative Ansätze gab es viele in den letzten zehn Jahren. Ist das wirklich innovativ?
● „Demokratische Kunst interagiert zwischen Kunst und Gesellschaft.“ – Tut das nicht jede Kunst?
● „Über ihren Wert bestimmt die Öffentlichkeit und nicht der Kunstmarkt…“. – Betrifft das Künstler, die keinen Erfolg haben? Der Markt sei ein wesentliches Element für die Bestimmung dessen, was Kunst sei, sagt Landert. Im Gegensatz zur Kunst sei der Markt allerdings demokratisch.

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Der Museumsdirektor bemüht den Systemtheoretiker Niklas Luhmann (1927-1998). Kunst sei ein selbstreferentielles Wertesystem. „Kunst ist ein höchst elitäres System, weil es wenig Teilnehmer hat. Demokratie hingegen ist ein System der Meingungsfindung, in dem die Mehrheit bestimmt, was an Werten umgesetzt werden soll.“ Kunst und Demokratie funktionieren zusammen nicht. Landert ist deshalb nicht sicher, ob das Umfeld für Künstler in Diktaturen nicht anregender sei.

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Zur Partizipation. „Eine schwierige Geschichte, findet Landert und hegt den Verdacht, dass sie trotz lustiger Entstehungsprozesse oft zu langweiligen Produkten führe. Zugespitzt: „Kunst und Masse widersprechen sich. Kunst ist nie demokratisch.“

Im Publikum sitzt unter den engagiert diskutierenden Künstlern Frau Gemeindeammann Jacqueline Müller. Für sie ist in der Thematik „Kunst und Demokratie“ die Partizipation das Schlüsselwort. Demokratie funktioniere im Übrigen nicht mit Hilfe der Mehrheit; es seien wenige, die an ihr partizipierten. An der Kunst partizipierten mehr Menschen als wenn es in der Gemeinde um ein Glasfasernetz oder den Rechnungsabschluss gehe. Jacqueline Müller gefällt das Statement der Manifest-Autoren Alex Meszmer und Reto Müller, dass Künstler auch Bürger seien. Künstler gäben viel von sich, sie seien authentisch, das imponiere ihr.

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Markus Landert bezeichnet das Künstlerverständnis der Frau Gemeindeammann als eine romantische Vorstellung, eine Projektion. Und eine mitdiskutierende Videokünstlerin überlegt sich, in Zukunft den Kunstkontext überhaupt zu meiden. Jacqueline Müller begleitet mich aus der kühlen Trotte hinein in die heisse Pfyner Luft und zeigt mir das fast fertig gebaute Amphitheater der Kulturhauptstadt der Schweiz. Hier werden ein Schwingfest, die 1. August-Feier und das Dorffest stattfinden. Eine Kunstlandsgemeinde ist nicht vorgesehen. Kunst und Demokratie fein säuberlich getrennt.

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Ergänzend ein Interview mit den beiden Initianten der Kulturhauptstadt und der Tagung „Demokratische Kunst?“, Alex Meszmer und Reto Müller.

 

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