von Rolf Müller, 21.06.2015
Wie ein Buch entsteht

Im Herbst erscheint der neue Roman „Sicher ist sicher ist sicher“ der Thurgauerin Tanja Kummer. Auf thurgaukultur.ch wird sie über das Making-of des Buches bloggen. Vorab sagt sie, was sicher ist und was Angst macht.
Frau Kummer, was ist sicher im Leben?
Die stetige Veränderung. Das ist einerseits eine Freude, weil Unangenehmes vorbeigeht, aber es heisst natürlich auch, dass man lieb Gewonnenes loslassen muss. Letzteres wühlt mich immer wieder auf.
„Sicher ist sicher ist sicher“ heisst Ihr für Oktober angekündigter neuer Roman. Wie lange sassen Sie daran?
Von 2008 bis dato.
Sieben Jahre sind lang. Wie veränderte die Zeit das Buchprojekt?
In der ursprünglichen Fassung wurde ein Jahr im Leben der Protagonistin beschrieben, jetzt sind es vier Tage. Auch habe ich wiederholt die Perspektive geändert. Schliesslich ist es bei der Ich-Perspektive geblieben. Auch die Rückmeldungen der TestleserInnen hatten Einfluss auf die Handlung.
Zentrales Thema sind Ängste, die der Hauptfigur Martina langsam aber sicher die Luft abschnüren, ihre Handlungsfreiheit sukzessive verkleinert. Was für einen Zugang haben Sie selbst zur Thematik?
Martina ist gezwungen, immer alles zu kontrollieren, weil sie Angst hat, dass etwas passieren könnte. Ein bekanntes Beispiel ist die Kontrolle des Herdes. Man kontrolliert, ob er abgestellt ist und wenn man die Haustür hinter sich zugezogen hat, ist man nicht mehr sicher und geht zurück, um den Herd noch einmal zu kontrollieren.
Ich habe früher selber solche Zwänge erlebt und sie später in Gesprächen thematisiert. Es gab selten jemanden, der mir daraufhin nicht von eigenen Zwängen erzählt hat. So habe ich von vielen und unterschiedlichen Zwangshandlungen und Zwangsstörungen gehört. Das Thema interessiert mich persönlich und in seiner literarischen Umsetzung.
Also ein Selbsttherapie-Buch?
Nein. Wie viele Autoren dünge ich mein Schreiben mit eigenen Erfahrungen, aber die Figuren und das Setting sind fiktiv, die Handlung habe ich über Jahre erarbeitet und entwickelt. Es ist auch kein Selbsthilfebuch - es liefert keine Gründe, warum jemand Zwänge hat und es zeigt auch keinen Weg aus den Zwängen. Es beschreibt, wie die Protagonistin ihre Zwänge und die damit verbundenen Ängste erlebt.
Statistiken gehen von zwei bis drei Prozent von Zwangsstörungen Betroffenen in der Bevölkerung aus. Also viele. Dennoch liest oder hört man relativ selten von der Erkrankung. Wieso?
Eine Fachperson sagte mir, dass man Zwangsstörungen auch „die heimliche Krankheit“ nennt. Ich kann mir aus meinem eigenen Erleben vorstellen, dass man nicht darüber reden mag, weil man denkt, dass einen sowieso niemand versteht. Das halte ich aber für ein generelles Thema im Hier und Jetzt: Es wird zwar auf allen Kanälen kommuniziert, aber kaum mehr geredet.
Der Plot der Geschichte ist ein rasanter, tragikomischer Höllenritt in die Katastrophe: Man denkt, schlimmer kann es nicht mehr kommen – aber es wird immer noch übler. Was würde die leidgeplagte Hauptfigur über ihre Erfinderin sagen: „Tanja Kummer ist eine Sadistin!“?
Nein, ich glaube sie würde sagen: Interessant, wie du meinen Alltag so detailliert beschreibst, für mich ist es alles ein Chaos.
Schauplatz ist ein Ort am Bodensee, die Protagonistin Buchhändlerin. Sie zoomen sehr nah und lebendig an deren Berufsalltag heran. Als im Thurgau aufgewachsene, gelernte Buchhändlerin: Wie viel Kummer – und wieviel Thurgau - steckt im Buch insgesamt drin?
Das Buch hat erst in Zürich gespielt, aber dann brauchte ich aus dramaturgischen Gründen eine Beiz am See und diejenige, die ich im Kopf hatte, liegt am Bodensee. Ich habe die Geschichte in den Thurgau verlagert und fand das schliesslich stimmig.
Da ich schon lange nicht mehr auf dem Beruf arbeite, habe ich den Text von einer Buchhändlerin gegenlesen lassen und sie hatte einige Anmerkungen zu den buchhandelstypischen Abläufen. Es hat sich offenbar einiges verändert.
Aber Bücher bleiben Ihre Welt.
Natürlich - und ich bin auch immer eine Buchliebhaberin geblieben, ich interessiere mich sehr für Bücher, rede darüber, hole mir Empfehlungen ein und empfehle selber. Lesen nährt mich.
„Sicher ist sicher ist sicher“ ist bereits Ihr siebtes Buch, das dritte im Zytglogge-Verlag, welcher ja die Hand gewechselt und von Bern nach Basel umgezogen ist. Wie war die Zusammenarbeit?
Ich habe mit dem bisherigen Zytglogge-Verleger Hugo Ramseyer und dem neuen Verleger Thomas Gierl erst ein langes Gespräch geführt. Als wir wussten, dass das Buch erscheinen wird, habe ich mich mit meiner Lektorin Angela Fessler zu einem Gespräch getroffen. Was ich damit sagen will: Ich erlebe immer wieder Missverständnisse, weil man eine Annahme trifft, was der andere denkt und will und nicht miteinander redet. In der Zusammenarbeit mit Zytglogge ist das anders und das schätze ich sehr.
Ihr Leben bestreiten Sie mit Sprache – nebst Büchern mit Lesungen, als Jurorin, Hörspielautorin, Bloggerin, Journalistin und Auftragstexterin. Wie kommt man damit über die Runden in der Schweiz?
Von «man» kann ich nicht erzählen, bei mir reicht alles zusammen um auf kleinem Fuss zufrieden zu leben. Was übrig bleibt, spende ich Tierschutzorganisationen.
Die Autorin
Tanja Kummer, 1976 in Frauenfeld geboren, lebt in Winterthur. Auf ihren ersten Gedichtband 1997 folgten mehrere Bücher, die mit diversen Werkbeiträgen und Preisen ausgezeichnet wurden. Die Autorin schreibt Geschichten für Kinder und Erwachsene für Radio SRF und bloggt für thurgaukultur.ch. 2014 war sie mit dem Erfolgstitel «Alles Gute aus dem Thurgau» auf grosser Lese-Reise. Mit dem Trio «vergiiget, verjuchzet, verzapft» mit Christine Lauterburg (Jodel) und Dide Marfurt (Musik) ist sie auf der Bühne mit Spoken Word Texten zu erleben.
Ebenfalls im Herbst erscheint ein zweiter neuer Roman von Ihnen: „Drei Weihnachtswünsche“ im Zürcher Th. Gut-Verlag. Wann haben Sie denn den geschrieben – parallel, früher, später?
Parallel. Mir tut es gut, wenn es Abwechslung in den Themen gibt, über die ich schreibe.
Um was geht es?
Es ist eine moderne Weihnachtsgeschichte, die von einer jungen Familie erzählt und in Zürich spielt. Ein Schuss Magie darf natürlich nicht fehlen.
Apropos Weihnachten: „Sicher ist sicher ist sicher“ spielt wenige Tage vor Weihnachten. Der zweite neue Roman führt Weihnachten im Titel. Hat Weihnachten für Sie eine spezielle Bedeutung?
Nein. Ich habe einfach seit jeher viele Aufträge für Weihnachtsgeschichten und darum immer wieder versucht, aus verschiedenen Perspektiven über dieses «Fest der Feste» nachzudenken. Mein erfolgreichster Text ist auch eine Weihnachtsgeschichte: «Gnocchi di Natale» aus dem Jahre 2010.
Bis zur Veröffentlichung von „Sicher ist sicher ist sicher“ beschreiben Sie in Blogs für thurgaukultur.ch die Entstehung des Buchs. Was werden Sie thematisieren?
Ich würde gern viele Facetten der Entstehung eines Buches beschreiben. Wenn ich Schreibkurse leite, merke ich immer wieder, dass dieser Prozess, wie auch der Beruf der Autorin von vielen Vorstellungen geprägt sind, die nicht der Realität entsprechen. Sicher kommt das Thema „wer bestimmt das Cover“ zum Tragen, mein Verlust der Objektivität, wenn es ums den Text geht oder die Frage, was bei einem Lektorat eigentlich genau passiert.
Wann erscheint der erste Blog auf thurgaukultur.ch?
Am 28. Juni 2015.
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Mehr zu Tanja Kummer:
„Alles Gute aus dem Thurgau“ - thurgaukultur.ch vom 21.09.2013
Portrait Tanja Kummer - thurgaukultur.ch
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Link zur Homepage mit Texten und dem Hörspiel "Gnocchi di Natale":
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