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von Patrizia Barbera, 01.09.2015

Ausstieg wider Verlangen

Ausstieg wider Verlangen
Abschied und Neuanfang: Der Sommer endet mit einem Fest und die Kulturstiftung stellt ihren Bericht 2014 vor. | © Patrizia Barbera

Beim Sommerfest der Kulturstiftung wurde Klaus Hersche mit würdigenden Worten und tosendem Beifall in die Pension verabschiedet. Vorgestellt wurde auch der Bericht der Kulturstiftung des Kantons Thurgau 2014, der getreu dem Motto „Halt auf Verlangen“ künstlerisch gestaltet wurde.

Patrizia Barbera

Reisebericht durch den Kanton

„Halt auf Verlangen – der Bericht 2014 der Kulturstiftung des Kantons Thurgau ist auch ein Reisebericht: In Zeichnungen und Texten erzählt uns die Künstlerin Rina Jost von ihren Begegnungen und Beobachtungen im Thurgau, den sie in den vergangenen Monaten mit Stift und Zeichenblock durchstreift hat.“

Mit diesen Worten von Claudia Rüegg, Präsidentin des Stiftungsrates, beginnt der Bericht der Kulturstiftung, der auch dieses Jahr wieder mit viel Liebe zum Detail erstellt und von Susanna Entress und Urs Stuber gestaltet wurde.

Die Originalskizzen der Künstlerin Rina Jost wurden am Abend im Stiftungsbüro ausgestellt. (Bilder: Patrizia Barbera)

 

Nach einem ersten „Halt“ am Abend – einem Grussschreiben aus dem Kulturforschungsexil in Chicago von Rüegg, vorgelesen von Renate Bruggmann-Hössli, stand der zweite Halt unter dem Motto: Endstation. Nach sieben Jahren voller Engagement für die Kulturförderung im Thurgau wurde Klaus Hersche in die Pension verabschiedet.

 

Abschied eines Tatsachen-Enthusiasten

Rüegg fasste den gleichzeitigen Abschied Hersches und Neuanfang seiner Nachfolgerin Gioia dal Molin augenzwinkernd zusammen: „Ich freue mich natürlich sehr auf die Zusammenarbeit mit Gioia. Aber am liebsten würde ich mit euch beiden zusammenarbeiten und dich, Klaus, nicht gehen lassen.“

Auch Renate Bruggmann-Hössli sparte nicht an lobenden Worten:

„Statt starr seinen Stempel aufzudrücken, hat Klaus Hersche die Künstler stets einfühlsam begleitet und mit seinem Enthusiasmus angesteckt. Mit geradezu diebischer Freude wurden Ideen zu Tatsachen umgesetzt.“

Andächtig lauschen Hersche und sein Sohn den lobenden Worten.

Hersche dankte der Kulturstiftung und lobte die „sorgfältige Auseinandersetzung mit den Projekten“, die nicht selbstverständlich und einmalig sei. Gerührt stellt er fest: „Ich dachte, sieben Jahre ist eine gute Zeit um zu gehen. Aber jetzt, wo mir hier noch einmal all die tollen Menschen der letzten Jahre in Erinnerung gerufen werden, bin ich nicht mehr so sicher.“ Nach einer kurzen Pause fügte er in gewohnt gutgelaunt-scherzhaftem Ton an: „Keine Sorge, Gioia – ich gehe natürlich trotzdem.“

Mit Hersches Abgang beginnt ab 1. September 2015 die Amtszeit der neuen Kulturbeauftragten der Kulturstiftung, die voller Vorfreude auf ihr neues Amt einen Abend vor Beginn ihrer Amtszeit mit den Anwesenden plauderte und den Sommerausklang feierte.

Überblick der geförderten Projekte

Teil des Berichtes der Kulturstiftung des Kantons Thurgau ist eine Auflistung der geförderten Projekte des Jahres 2014.

Nebst Verabschiedung und Begrüssung des Kulturbeauftragten standen die geförderten Projekte 2014 im Fokus.

Eines davon ist das Buchprojekt „Das Fremde in mir“ der Schriftstellerin Bernadette Conrad und des Autors und irakischen Kriegsflüchtlings Usama Al Shahmani.

Das Buch, das den Arbeitstitel „Das Fremde in mir“ trägt, soll ein Dialog werden zwischen Conrad und Al Shahmani. In regelmässigen Treffen interviewt die Journalistin den ehemaligen Flüchtling zu seinen Erfahrungen während der Flucht und spricht mit ihm über den Neuanfang im fremden Land. Woraus im Anschluss kurze Reportagen entstehen. Passend zum jeweiligen Fokus schreibt auch Al Shahmani Gedichte und Kurzgeschichten.

Die Arbeit zu ihrem Buchprojekt begannen die Beiden gleich nach dem positiven Bescheid zur Förderung durch die Kulturstiftung im November 2014.

Starthilfe zu einem Dialog übers Fremdsein

An einem sonnigen Nachmittag sitzen Conrad und Al Shahmani bei einen Kaffee beieinander und sprechen über die Idee hinter ihrem Projekt. Zuvor haben sie gemeinsam an bereits verfassten Texten gearbeitet, die Stimmung ist heiter.

Al Shahmani erzählt von den ersten Monaten in der Schweiz, den schweren ersten Monaten in der Fremde, ohne Sprachkenntnisse und wie er versuchte damit umzugehen.

Mit entschlossener Stimme und aneinandergepressten Fingerkuppen stellt er abschliessend zu seiner Erzählung einer Aneinanderreihung der Missverständnisse fest: „Das nervt. Wenn man den Moment, den man eben anders empfunden hat, als sein Gegenüber, sei es aus kulturellen oder sprachlichen Gründen, immer erklären muss im Nachhinein. Das nervt in der Fremde.“

Sein Blick wird ernst, die Stimme bleibt sanft. Es sei schwer zu erklären – wie das ist. Auf Arabisch denken. Auf Deutsch sprechen. Oft nicht verstanden werden wollen.

In fast feierlichem Ton fügt er an: „Ich möchte Fremder bleiben mit meiner Sprache!“ Denn: Wohin einwandern? „Menschen, die sagen, sie ‚beherrschten’ eine Sprache, haben für mich Sprache nicht verstanden. Ich beherrsche meine Muttersprache Arabisch auch nicht. Ich kenne sie, ich kann sie sprechen. Sie entwickelt sich immer weiter - mit mir und ohne mich. Ein bisschen verliere ich von ihr und gewinne Neues dazu. Was entsteht, ist eine Symbiose, etwas Neues. Wie es immer ist in der Sprache.“

Die Zeit im Irak, die Flucht, das Jetzt

Conrad nickt. Ihr Blick versenkt sich in Gedanken. „Das sieht man ganz deutlich in seinen Gedichten. Sie werden sehen. Die Metaphern, die Bildsprache – das war es auch, was mich zu diesem Projekt trieb. So ein Projekt kann man nicht mit jemandem machen, der die Sprache erst lernt. Doch jemand, der sie mit 30 lernt, Literatur und Sprache ebenfalls liebt und dann auch noch so schreibt im Deutschen – das ist selten und sehr ergiebig für die Literatur, an der wir arbeiten.“

Getroffen haben sie sich über einen Freund, ein glücklicher Zufall. Der Bekannte vom Verein FREMDE & WIR Kreuzlingen hatte Al Shahmani zum ersten Mal von Conrads Lesekreis erzählt. Der studierte Literaturwissenschaftler war sofort Feuer und Flamme für die Idee und ging fortan zu den Schreib- und Lesetreffen.

Die kleine Gruppe redete und besprach, Woche um Woche. Zwischen Al Shahmani und Conrad entstand ein freundschaftliches Band und die Schriftstellerin bemerkte die Kraft seiner Texte. „Ich hatte die Idee, ein Dialog-Projekt zwischen uns zu starten. Ich interviewe ihn, komme mit zu Familienfesten, beobachte, koste und schreibe darüber. Und er schreibt Gedichte, Erinnerungen, Gefühle auf. Wir halten uns an Themenbereiche: Die Zeit im Irak, die Flucht, das Ankommen und Fremdsein in der Schweiz, das Jetzt.“

Gefördert wurde das Projekt mit 32.000 CHF. „Ohne die Förderung der Kulturstiftung hätten wir nicht die Möglichkeit gehabt, dieses einmalige Projekt anzugehen“, sagt Conrad.

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