von Inka Grabowsky, 19.05.2017
Entmachtet, nicht machtlos
Das Napoleonmuseum Thurgau zeigt eine Sonderausstellung zu Leben und Wirkung von Hortense de Beauharnais. Die Ex-Königin von Holland machte den Arenenberg zur Keimzelle für den Fortschritt im Thurgau.
Text und Bilder: Inka Grabowsky
„Bisher haben wir Hortense immer so betrachtet, wie sie sich selbst dargestellt hat", sagt Dominik Gügel, der Leiter des Museums, „als Frau der Künste. Nun haben wir genauer hingeschaut und festgestellt, dass sie gleichzeitig auch Geschäftsfrau war." Sie habe den Thurgau und Konstanz quasi aus dem Mittelalter in die Neuzeit katapultiert, indem sie revolutionäre Gedanken, Philosophen, französische Mode und Lebensart an den See brachte. Anlass für die Neubetrachtung der prominenten Exilantin sind diverse Jubiläen: „Vor genau 200 Jahren hat Hortense de Beauharnais das Schloss auf dem Arenenberg gekauft", so Christina Egli, die stellvertretende Direktorin. „Vor 180 Jahren ist sie auf dem Arenenberg gestorben, und seit 111 Jahren ist das Areal im Besitz des Kantons Thurgau – Wir mussten die Sonderausstellung wirklich jetzt machen."
Mit allen Sinnen
Die Schau zu Hortense sei die grösste Ausstellung seit langem, so Gügel. Das ganze Gelände wird einbezogen. Dementsprechend hat die Historiker auch mit dem Berufsbildungszentrum Arenenberg zusammengespannt. Im BBZ-Bistro wird für die Besucher deshalb nach einem Rezeptbuch gekocht, das sich auch in der königlichen Bibliothek findet: „Le Cuisinier Impérial" aus dem Jahr 1806: „Unser Küchenchef tüftelt gerade an der optimalen Herstellung einer Lammfleisch-Krokette aus dem Buch", meint Beatrice Forster, die Hotellerie-Leiterin des BBZ.
Hortense war fleissige Briefschreiberin - sehr zur Freude der Historiker
Sinnliches Erleben ermöglicht auch der Fleiss und die Leidenschaft von Susanne Drascher. Sie hat zwei Kleider aus der Zeit nachgeschneidert. „Die Schnittmuster kann man tatsächlich kaufen, aber den ganzen Unterbau musste ich selbst entwickelt", erzählt sie. Im Schlafzimmer der Königin findet sich nun ein nachtblaues Kleid in Grösse 34, das bis ins Detail einem Gewand gleicht, das die Königin für ein Portrait getragen hat. Das Schönheitsideal habe sich von der Empire-Zeit zur Romantik geändert, erklärt die Expertin. Anfang des 19. Jahrhunderts sollten die Frauen wie ätherische Wesen über den Boden schweben. „Die Hammelkeulenärmel wirken heute ein bisschen wie daunengefüllte Schwimmflügel."
Ein Traum mit „Schwimmflügeln" mit seiner Schöpferin Susanne Drascher
Ein Informations-Schwerpunkt der Ausstellung findet sich im alten Weinkeller. Hier lernt der Besucher viel über Hortense' Leben bis zur Flucht. Im Schloss ebenso wie in der Kapelle und dem kaiserlichen Bad machen Text-Fahnen auf spezielle Aspekte im Leben der Königin aufmerksam. Im Park wurde extra zu Ehren der Königin eine Hortensien-Allee gepflanzt.
Glücksfälle und Zukäufe
Das Obergeschoss des Schlosses ist für die Ausstellung zur Schatzkammer umfunktioniert worden. Hier findet sich nicht nur die Tasse, aus der die sterbende Königin 1837 ihren letzten Schluck Tee genommen hat, sondern auch Schmuckstücke. „Hortense hatte nach ihrer Flucht viele ihrer Juwelen verkauft, um ihr Leben zu finanzieren", erklärt Christina Egli. „Nun gibt es gelegentlich einige auf Auktionen zu kaufen. Eine Parure konnte wir für uns sichern." Das Set aus Haarschmuck, Halskette, Ohrringen und Armbändern hat einiges gekostet, eine anderes Highlight der Ausstellung gab es geschenkt.
Die Parure aus Mondstein - edle Neuerwerbung auf dem Arenenberg
„Eine alte Dame im Elsass wandte sich an uns und stellte uns ein spitzenbesetztes Hemd von Hortense zur Verfügung. Ihr Mann hatte es vor Jahrzehnten einer Frau abgekauft, die daraus Faschingskostüme für ihre Kinder machen wollte."
Christina Egli vor dem Hemd, das fast als Bastelmaterial geändet wäre.
Erfolge und Misserfolge
Diverse Anregungen von Hortense wirken bis heute in unserem Alltag nach. In den Weingärten unterhalb des Schlosses wuchs zum Beispiel vor 1817 wie überall im Thurgau der Elbling. Er mundete der verwöhnten Französin aber nicht recht. Sie liess stattdessen Chasselas anbauen – die sogenannte Fontainebleau-Traube. Er setzte sich bald in der ganzen Region durch. „Ende des 19. Jahrhunderts kreuzte der Thurgauer Önologe Hermann Müller dann einen Chasselas mit Riesling", so Gügel. „Wenn wir heute also Müller-Thurgau trinken, verdanken wir das eigentlich Hortense."
Museumsdirektor Dominik Gügel
Der Titel der Sonderausstellung „Eine Königin macht Dampf" ist ein Wortspiel. Zum einen hat Hortense den Menschen im übertragenen Sinn „Dampf gemacht". Zum anderen hat sie buchstäblich das Dampfschiff an den Bodensee geholt. Auf ihre Anregung hin wurde 1817 die „Stephanie" gebaut. „Dummerweise wurde der Motor, der aus England kommen sollte, am Zoll aufgehalten", erzählt der Museumsdirektor. „Die Ersatzmaschine war erheblich schwächer. Sie hielt zwar die Probefahrt aus, nicht aber die Jungfernfahrt. Die Festgesellschaft kam nur bis zum Hörnle. Zurück musste die Besatzung rudern." „Ste'- fah'-nie" ist deshalb bis heute auf dem Bodensee die inoffizielle Bezeichnung für ein havariertes Schiff und kein sehr beliebter Bootsname.
«Eine Königin macht Dampf!
Zeitenwende am Bodensee 1817-1837»
Sonderausstellung auf Arenenberg und im Napoleonmuseum
23. Mai bis 22. Oktober 2017
Von Inka Grabowsky
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