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Die Welt in ein paar Versen

Die Welt in ein paar Versen
Wollen für Dichtkunst begeistern: Die Frauenfelder Lyriktage, die in diesem Jahr zum 14. Mal stattfinden. | © Michael Lünstroth

Bei den 14. Frauenfelder Lyriktagen lesen sieben Autorinnen und Autoren mit ganz unterschiedlichen Ansätzen aus ihren Werken. So soll die künstlerische Breite der Sparte demonstriert werden.

Von Michael Lünstroth

Wie geht es der Lyrik heute? Antworten unter anderem darauf wollen die Frauenfelder Lyriktage geben, die noch bis Sonntag in der Thurgauer Kantons-Hauptstadt stattfinden. Eine mögliche Antwort auf die Frage gab Kuratorin Anna Kulp gleich zu Beginn des Festivals am Freitagabend im Eisenwerk. „Es gibt einen kleinen Aufschwung, Lyriker gewinnen wieder wichtige Literaturpreise“, konstatierte sie. Um gleich darauf aber auch wieder einzuschränken, dass die Dichterei gleichwohl immer noch ein Nischendasein führe. Beleg dafür mag auch das mässige Zuschauerinteresse an der Eröffnung sein. Gerade mal 30 interessierte Zuhörer kamen in den Theatersaal des Eisenwerks - und das obwohl die Lyriktage zu den renommiertesten Festivals ihrer Art in der Schweiz gehören. 

Das ist mindestens aus zwei Gründen schade. Erstens: Weil Lyrik, wie vielleicht kaum eine andere Gattung, den gewohnten Blick weiten und neue Sichtweisen ermöglichen kann. Zweitens: Weil die eingeladenen Autorinnen und Autoren ein so vielschichtig wie unterschiedliches Werk vorzuweisen haben, dass man ihren Vorträgen einfach mehr Publikum gewünscht hätte. 

Eine Rede über das, was nicht gesagt werden kann

Warum also Lyrik heute? Kuratorin Anna Kulp hatte im Begleitheft ein schönes Bild als Plädoyer für das Gedicht gefunden: „Ein Gedicht wirft den Haken aus, an dem ich mich zappelnd wiederfinde, manches Mal tatsächlich wie der Fisch an der Leine, nach Luft schnappend im fremden Element.“ Dazu passte die Eröffnungsrede der Dichterin und Übersetzerin Esther Kinsky. „Von den weissen Räumen. Unsagbares und Ungesagtes in Übersetzung“ hatte sie ihren Beitrag übertitelt. Darin befasste sie sich in klugen und wohl gesetzten Worten mit all den grossen und kleinen Komplexitäten, die so einem Übersetzungsprozess eben inne liegen. Es gingt ihr dabei vor allem, um die Frage wie man mit dem „lichten Mass“ umgeht. Also jenen DIngen, die zwar im Text liegen (Kinsky nannte dies das Hinterland der Texte), aber nicht ausgesprochen werden. „Jeder Dichter schreibt in seiner eigenen, individuell geprägten Sprache“, so Kinsky. Hier jeweils den richtigen Schlüssel zu finden, sei oft die grösste Herausforderung für Übersetzer. 

Auch die klassischen Wasserglas-Lesungen gehören zum Programm der Lyriktage. Hier mit Levin Westermann.Auch die klassischen Wasserglas-Lesungen gehören zum Programm der Lyriktage. Hier mit Levin Westermann. Bild: Michael Lünstroth

Damit war der Boden bereitet für die Lyriker des diesjährigen Festivals. Zur Einstimmung durfte jeder von ihnen knapp fünf Minuten eigene Werke präsentieren. Das war nicht viel, um die Arbeit wirklich kennenzulernen, aber auf diese Weise bekamen die Besucher schon mal einen schnellen Überblick über die enorme Bandbreite aktuellen lyrischen Schaffens aus der Schweiz, angereichert mit zwei Stimmen aus Deutschland (die dritte Stimme im Programm aus dem Ausland - der Ukrainer Serhij Zhadan - war am Eröffnungsabend noch nicht vor Ort). Vieles, was Lyrik ausmachen kann, blitzte da schon mal kurz auf: Witz und Lakonie, wie in Thilo Krauses wunderbaren Beobachtungen von Stimmungen und Lebenssituationen. Kryptisch-Rätselhaftes wie in den Arbeiten von Dragica Rajic oder Elisabeth Wandeler-Deck. Die präzise Virtuosität bei Esther Kinsky. Die zupackenden Rhythmus-Verse von Svenja Herrmann und die Experimentierlust eines Levin Westermann, der immer im Grenzland zwischen Prosa und Poesie unterwegs ist. 

Wie ein Vorzeigeprojekt Jugendliche für Lyrik begeistert

Wer mehr davon will, hat noch bis Sonntag, 17. September, die Chance dazu. Dann enden die 17. Frauenfelder Lyriktage schon wieder mit einer Matinee-Lesung im Eisenwerk. Unbedingt beachten sollte man dann auch die Installation „Video Poems“. Svenja Herrmann wurde für dieses Projekt unter anderem mit dem Komet - einem Preis für Kulturvermittlungsangebote im Thurgau - ausgezeichnet. Mit diesem Projekt will Herrmann Jugendlichen Lust auf Lyrik vermitteln. Wie das geht, beschreibt das Begleitheft zu den Lyriktagen so: „Die Jugendlichen gehen gemeinsam der Frage nach, wie die Welt und das Ich wahrgenommen werden können, damit ein poetischer Gedanken entsteht, der zu einem Gedicht führt und in einem Video Poem seine Bilder findet.“ Im Eisenwerk sind auf diese Weise entstandene Video Poems (Beispiele dazu auch am Ende dieses Textes) zu sehen.  

Initiiert wurden die Frauenfelder Lyriktage vor 26 Jahren von der Kulturstiftung des Kantons. Sie ist bis heute Veranstalterin des Dichter-Treffens geblieben, das alle zwei Jahre stattfindet. Mehr zum Programm des Wochenendes gibt es auch hier: http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3311/ 

So gehen die Lyriktage weiter:

Samstag, 16.9.17

17 Uhr Lesungen und Gespräche


- Die Entstehung von Gedichten – Musenkuss und Handwerkskunst


- Blick ins Labor der Video Poems


18.30 Uhr Apero


20 Uhr Lesungen und Gespräche

Poesie in der Schweiz und international: Verstaubt oder quicklebendig?

 

Sonntag, 17.9.17, 10.30 Uhr

Poesie-Matinee – Kurzlesungen

 

 

Aus dem Projekt "Video Poems" von Svenja Herrmann

16_video_poem_basel_12 from Svenja Herrmann on Vimeo.

16_video_poem_basel_11 from Svenja Herrmann on Vimeo.

16_video_poem_basel_3 from Svenja Herrmann on Vimeo.

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