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10.01.2012

Das Seemuseum im Wendemanöver

Das Seemuseum im Wendemanöver
Hans-Ulrich Wepfer zeigt vor dem Seemuseum Kreuzlingen Bilder von Hans Baumgartner. Wepfer war im Jahr 1989 Mitbegründer der gleichnamigen Stiftung. | © Brigitta Hochuli

Die Leitung des Seemuseums Kreuzlingen wechselt von Hans-Ulrich Wepfer zu Walo Abegglen. Eine Würdigung durch Alex Bänniger und einige Zusatzinformationen.

Aus einem Rundschreiben der Stiftung Seemuseum haben wir am 20. Dezember vom Rücktritt Hans-Ulrich Wepfers als Museumsleiter erfahren. Angesichts dessen grosser und nachhaltiger Verdienste wäre auch denkbar gewesen, die Mitteilung mit einer Einladung zu einer würdigen Abschiedsfeier zu verbinden. Vielleicht findet sie in einem späteren Zeitpunkt statt. Eine öffentliche Ehrung wäre jedenfalls am Platz.

Weitsicht, Umsicht, Klarsicht

Das Seemuseum steht vor allen anderen Museen im Thurgau an der Spitze der Einzigartigkeit. Seine Bekanntheit reicht über die Region hinaus. Es dokumentiert mit seinen Sammlungsschätzen die geschichtliche, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung und Stellung des Bodensees als faszinierenden Topos. Diese Leistung ist zur Hauptsache Hans-Ulrich Wepfer gutzuschreiben. Er handelte als Pionier weitsichtig, führte umsichtig und kämpfte klarsichtig. Ihm gelang es, den gerade für den Thurgau so wichtigen Lebensraum vielfältig und umfassend zu erschliessen und zu veranschaulichen.

Drückende Sorgen

Von dieser Bedeutung her hätte es ein Leichtes sein müssen, das Museum zu errichten und zu erweitern. Zutreffend war das Gegenteil. Für das zwingend zum Thurgau gehörende Museum war und ist die finanzielle Unterstützung nicht wesentlich besser als für irgendein Ortsmuseum. Viele Augen, die dies hätten erkennen müssen, blieben geschlossen, viele Hände, die fürs Zupacken nötig gewesen wären, rührten sich nicht. Die Sorge der Mittelbeschaffung bedrückte Hans-Ulrich Wepfer während eines Vierteljahrhunderts. Er hielt die Belastung aus, wurde begreiflicherweise immer wieder wütend, wandelte aber die Enttäuschungen um in neue vorwärtstreibende Energie.

Unvermeidlicher Zwiespalt

Das ging nicht ohne feu sacré, auch nicht ohne Eigensinn, der die Bahnbrecher charakterisiert. Ihre Starrköpfigkeit ist einerseits eine Voraussetzung für den Erfolg im widrigen Umfeld und anderseits eine Erklärung dafür, dass sie dem Wandel der Zeit misstrauen und eine öffentliche Aufgabe als private Leidenschaft begreifen. In diesen Zwiespalt geriet naturgemäss auch Hans-Ulrich Wepfer. Er nahm wohl das Erfordernis einer Modernisierung nach museumsdidaktischen Prinzipien interessiert zur Kenntnis, auch die Empfehlungen, vermehrt die Jugend zu gewinnen und die Öffentlichkeitsarbeit zu professionalisieren. Doch die Umsetzung geschah nicht wirklich kursbestimmend. Das Tagesgeschäft hatte Vorrang.

Keine solitäre Verantwortung

Es wäre indessen zu einfach, ja völlig falsch, für alles dem Seemuseum noch Fehlende Hans-Ulrich Wepfer in die solitäre Verantwortung zu nehmen. Zuständig für die Strategie ist der Stiftungsrat. Er hat im Januar 2006 eine Kommission mit Erneuerungsvorschlägen beauftragt und diese im Oktober gleichen Jahres entgegen nehmen können. Die 33 bis heute aktuell gebliebenen Empfehlungen zielen auf die langfristige Existenzsicherung des Seemuseums und eine deutliche Steigerung der Besucherzahlen.

Soweit die konzeptionellen, finanziellen und organisatorischen Ideen eine stiftungsrätliche Aktivität auslösten, wurde sie nach aussen nicht sichtbar: mit Ausnahme der nunmehr geregelten Nachfolge, die längst und gegen die Sperrigkeit Hans-Ulrich Wepfers hätte vollzogen werden müssen. Auch der Zenith der tüchtigsten und engagiertesten Pioniere dauert nicht ewig.

Weitere personelle Veränderungen

Wenn nun spät über die personelle Zukunft entschieden worden ist – mit Michael Berg als interimistischem Leiter bis Ende April 2012, hernach definitiv mit Walo Abegglen –, dann hat der Stiftungsrat seine Pflichten zwar in einem essenziellen Punkt, aber erst zu einem geringen Teil erfüllt. Jetzt will die Strategie formuliert und realisiert sein, wie der Schritt von der faszinierenden Sammlung zum modernen und attraktiven Museum gelingt, vom mässig zum stark besuchten Ort, vom kargen zum angemessenen Budget.

Gegenwärtig sitzen im Stiftungsrat 21 Personen. Das klingt eher nach Schwerfälligkeit als nach Schlagkraft. Bemerkenswert jugendlich und übertrieben museumskompetent ist das Gremium auch nicht. Es könnte angezeigt sein, hier rasch die nächsten personellen Veränderungen anzustreben.

Ausstrahlendes Zentrum

Hans-Ulrich Wepfer hat in seiner Ära und mit seinen Möglichkeiten dem Stiftungsrat, der Stadt Kreuzlingen und dem Kanton Thurgau in einen enormen Schatz geäufnet. In ihm steckt das Potenzial für ein Museum, das auf seine Art dem Kunsthaus Bregenz und dem Zeppelin-Museum Friedrichshafen in nichts nachsteht. Am Thurgauer Ufer des Bodensees könnte ein Zentrum mit weit ausstrahlender und für die Region segensreicher kultureller und touristischer Wirkung entstehen. Eine einmalige Chance wartet darauf, verstanden und genutzt zu werden.

Ins Ruder greifen muss der Stiftungsrat. Wir hoffen auf die Abschiedsfeier und die sie würdig ergänzende Ankündigung, wie die obersten Verantwortungsträger die Zukunft des Seemuseums mutig und visionär gestalten.

Alex Bänninger

*****

Erneuerung eingeleitet

Verabschiedet werde Hans-Ulrich Wepfer intern diese Woche und offiziell voraussichtlich im Juni, sagt Seemuseums-Stiftungsratspräsident Jürg K. Schlatter auf Nachfrage von thurgaukultur.ch. Bis Mai bleibe er ja noch für ausgewählte Aufgaben im Museum tätig. 2013 feiere man im Übrigen das 20-Jahr-Jubiläum, zu dem Hans-Ulrich Wepfers Pionierarbeit sicher als Abschluss seiner Tätigkeit nochmals gewürdigt werde. Die Trennung sei übrigens einvernehmlich erfolgt, betont Schlatter.

Der 21-köpfige Stiftungsrat habe seit dem Strategiebericht vom Oktober 2006, an dem Alex Bänninger massgeblich mitgearbeitet habe, einiges in die Wege geleitet und sei seit 2009 dabei, eine Verjüngung herbeizuführen. Der Stiftungsrat sei auch dazu übergegangen, Ausschüsse für besondere Aufgaben zu bilden, um die notwendige Flexibilität in den verschiedenen Themenkreisen herzustellen, ohne dass der Stiftungsrat als gesamter drastisch reduziert werden müsse. „Die Grösse und breite ,Streuung‘ des Stiftungsrates zeitigt nicht nur Nachteile, sondern durchaus auch gewisse Vorteile“, sagt Jürg K. Schlatter. Die Grösse habe zudem historische Gründe, unter anderem habe sie beim Umbau der Kornschütte eine breite Abstützung garantiert. Inhaltlich sollen die Öffentlichkeitsarbeit samt Erscheinungsbild verbessert, die Ausstellungen modernisiert und museumspädagogische Massnahmen eingeleitet werden.

Spätestens 2014 soll der Modernisierungsprozess mit Daten und Kosten hinterlegt sein, sodass der Stadt Kreuzlingen ein Businessplan vorgelegt werden könne, erklärt Stiftungsratspräsident Schlatter. Die Stadt zahle heute jährlich 30‘000 Franken. Weitere Einnahmen generieren die Eintritte sowie die Wohnungsvermietungen. Künftig soll auf Projektebene auch der Kanton um Unterstützung angegangen sowie in Zusammenarbeit mit deutschen Museen um EU-Gelder nachgefragt werden. Nachfolger Walo Abegglen, studierter Historiker und Lehrer an der Pädagogosichen Maturitätsschule Kreuzlingen, übernimmt die Nachfolge Hans-Ulrich Wepfers im Mai dieses Jahres. (ho)

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