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von Brigitta Hochuli, 15.08.2012

Anspruchsvolle Ausgangslage

Anspruchsvolle Ausgangslage
„Der Thurgau besitzt eine Bbliothek, welche sich St. Gallen schon lange und sehnlichst wünscht: eine Kantonsbibliothek, die alle Bevölkerungsgruppen anspricht“, sagt deren neuer Leiter Bernhard Bertelmann. | © id

Seit 1. August ist Bernhard Bertelmann Leiter der Kantonsbibliothek Thurgau in Frauenfeld. Ihm gefällt, dass deren Angebot alle Bevölkerungsschichten anspricht.

Interview: Brigitta Hochuli

Herr Bertelmann, vor zehn Tagen haben Sie Ihren Dienst als Leiter der Kantonsbibliothek angetreten. So kurz die Zeit, so knapp die Frage: Wie sind Ihre ersten Eindrücke?

Bernhard Bertelmann: Sehr positiv! Ich habe ein motiviertes und engagiertes Team in der Kantonsbibliothek angetroffen. Ich bin sicher, dass wir gemeinsam einiges bewegen werden.

Sie wohnen in Arbon.

Bernhard Bertelmann: Ja, und ich hatte auch etwas Respekt vor meinem Arbeitsweg. Täglich fahre ich mit dem ÖV von meinem Wohnort nach Frauenfeld. Bis jetzt konnte ich aber diese Fahrt durch die sommerliche Thurgauer Landschaft geniessen. Sie lässt fast schon Ferienstimmung aufkommen. Und für den Fall der Fälle ist auch immer der Laptop dabei, mit dem kleinere Dinge wie E-Mails oder Interviews schon unterwegs erledigt werden können.

Beruflich kommen Sie von der Kantonsbibliothek Vadiana in St. Gallen. Welches sind die Unterschiede zur Kantonsbilbiothek Thurgau?

Bernhard Bertelmann: Der Thurgau besitzt eine Bibliothek, welche sich St. Gallen schon lange und sehnlichst wünscht: eine Bibliothek, die alle Bevölkerungsgruppen anspricht. In unserer Bibliothek treffen sich Studierende, die sich im schönen Lesesaal auf ihre Prüfungen vorbereiten, Wissenschaftler, die wertvolles Quellenmaterial über den Kanton Thurgau benötigen, Kinder mit ihren Grosseltern, die eine spannende Gutenachtgeschichte suchen oder ganz einfach junge und alte Leseratten, die bei uns Bücher für jeden Geschmack finden.

Was ist Ihnen ausserdem in Frauenfeld besonders aufgefallen? Haben Sie ein besonderes Buch entdeckt, eine interessante aktuelle wissenschaftliche Arbeit oder gar einen besonderen Kunden?

Bernhard Bertelmann: Passend zur Sommerzeit und zu den Olympischen Sommerspielen: Die Kantonsbibliothek ist im Besitz eines Schwimmlehrbuchs aus dem Jahre 1538. Es trägt den Titel „Colymbetes sive de arte natandi“. Das Büchlein stammt aus der Kartause Ittingen. Hier zeigt sich also, dass auch schon die Klosterbibliotheken einen vielfältigen Bestand besassen.

Die Kantonsbibliothek wurde 1805 als reine Verwaltungsbibliothek gegründet. Wie würden Sie sie heute charakterisieren?

Bernhard Bertelmann: Sie hat ja schon 1864 die städtische Bibliothek Frauenfeld übernommen und ist schon seit langer Zeit eine Bibliothek mit einem vielfältigen Angebot. Die Bibliothek kann also auf eine reiche Erfahrung mit verschiedenen Kundengruppen und deren unterschiedliche Erwartungen zurückblicken. Diese Ausgangslage ist anspruchsvoll. Auf keinen Fall dürfen wir nach dem Motto arbeiten „für alle ein bisschen“. Dann nämlich sind alle unzufrieden.

Wie weit ist eigentlich die Digitalisierung fortgeschritten? Und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Digitalen Bilbliothek Ostschweiz (dibiost) und den Gemeindebibliotheken Weinfelden, Amriswil und Kreuzlingen, die die digitale Bibliothek bereits nutzen?

Bernhard Bertelmann: Die Digitalisierung schreitet auf verschiedenen Ebenen voran. 
Auf www.e-codices.ch können einige der einmaligen und wertvollen Schätze der Kantonsbibliothek im Detail betrachtet werden. Auf nationaler Ebene wird die Digitalisierung historischer Zeitschriften und Zeitungen vorwärts getrieben. Mit der Teilnahme von Zürcher Bibliotheken entwickelt sich die Digitale Bibliothek Ostschweiz Richtung Digitale Bibliothek Schweiz. Voraussichtlich werden sich zudem schon bald weitere Thurgauer Bibliotheken der Digitalen Bibliothek anschliessen und den ortsunabhängigen Download von E-Books, Videos, Zeitschriften, Zeitungen und Hörbüchern für ihre Kundinnen und Kunden ermöglichen.

Kann man vor diesem Hintergrund sagen, welches Medienangebot sich künftig am meisten entwickelt?

Bernhard Bertelmann: Die Entwicklung findet weniger im Inhalt, sondern vielmehr in der Erscheinungsform der Medien und in der Zugriffsart statt. Wir werden auch in Zukunft Sprachkurse, englische Romane oder Bücher für Weiterbildung, Studium und Forschung anbieten. Neben den klassischen Büchern auf Papier, die es sicher auch mittelfristig noch geben wird, werden sich die digitalen Medien weiterentwickeln und der Zugriff mit mobilen Geräten unabhängig vom Ort möglich sein. Im Kanton St. Gallen habe ich mich sehr intensiv mit konkreten Projekten im Bereich E-Books beschäftigt. Ich bin sicher, dass die Entwicklung in Bezug auf E-Medien rasant fortschreiten wird.

Sie verfügen persönlich über einen Facebook- und Twitteraccount. Ist die Nutzung sozialer Medien auch für die Kantonsbibliothek eine Option?

Bernhard Bertelmann: thurgaukultur.ch ist ja gut informiert! Ja, sicher ist die Nutzung ein Thema. Übrigens habe ich auch einen account bei foursquare oder aurasma, bin aber im Moment nicht mehr so fleissig in der Nutzung dieser Medien. Die Frage stellt sich aber, ob der Zenit von Facebook schon überschritten ist. Vielleicht gibt es mittlerweile bessere Alternativen. Wir werden das sicher anschauen, werden aber nichts überstürzen. Übrigens bietet der Kanton Thurgau bereits zwei gelungene Apps für mobile Geräte an: den Palafittes Guide und ThurGis. Zwei Beispiele, die zeigen, dass der Kanton Thurgau im technologischen Bereich ganz vorne mit dabei ist.

Wo sehen Sie trotz der kurzen Zeit als Leiter der Kantonsbibliothek generell die Schwerpunkte der Zukunft?


Bernhard Bertelmann: Es ist noch etwas früh, über die definitiven Schwerpunkte zu sprechen. Grundlage unserer zukünftigen Tätigkeit bilden die Richtlinien des Regierungsrates für die Legislaturperiode 2012-2016. Diese Richtlinien geben uns zum Beispiel den Auftrag, ein Konzept für die Kantonsbibliothek zu erarbeiten und umzusetzen.

Keine persönlichen Visionen?

Bernhard Bertelmann: Doch. Persönlich habe ich natürlich schon ein paar Ideen, die ich einbringen werde. Ein wichtiges Thema ist zum Beispiel die Stärkung unseres Kernauftrags, das Sammeln und Archivieren der Thurgauer Publikationen. Auch das Thema E-Medien wird uns beschäftigen, und natürlich liegen mir die Gemeindebibliotheken am Herzen, da meine Bibliothekslaufbahn vor vielen Jahren in einer solchen begonnen hat. Des Weiteren ist mir die Zusammenarbeit mit unseren Partnerinstitutionen ein Anliegen, und schliesslich soll die Kantonsbibliothek auch vermehrt spürbar sein in den Gemeinden und Bezirken ausserhalb der Hauptstadt.

***

Zur Person

Bernhard Bertelmann ist in Rapperswil-Jona aufgewachsen und hat am Gymnasium in Pfäffikon SZ die Matura erlangt. Anschliessend hat er sich an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen zum Sekundarlehrer und kurz darauf an der Pestalozzi-Bibliothek in Zürich zum Diplombibliothekar BBS ausgebildet. Von 1994 bis 2005 hat er an der Universitätsbibliothek St.Gallen gearbeitet. Danach war er als Stellvertreter des Kantonsbibliothekars an der Kantonsbibliothek Vadiana in St.Gallen tätig. Nebst kontinuierlichen Weiterbildungen hat er an der Fachhochschule Chur ein Nachdiplomstudium Information und Dokumentation absolviert. Ausserdem ist Bernhard Bertelmann Vorstandsmitglied von «Bibliothek Information Ostschweiz – bibinfo». (id)

 

www.kantonsbibliothek.tg.ch

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