von Kathrin Zellweger (1948-2019), 30.10.2012
Ein Festtag und ein Jahrestag und was sie mit Enkelkindern zu tun haben

Die Regionalbibliothek Weinfelden trägt dazu bei, dass die Welt weniger bedürftig ist. Davon profitieren ab 1. November auch Grosseltern.
Kathrin Zellweger
Letzte Woche fand die Verleihung des Kulturpreises des Kantons Thurgau an den Verleger Hansrudolf Frey (23.10.) statt. Einen Tag später, am 24. Oktober, wird jeweils der Tag der Bibliotheken begangen, der vor 17 Jahren von Richard von Weizäcker ins Leben gerufen wurde. Wie beides zusammenhängt, ist einleuchtend: Ohne Verleger keine Bücher – ohne Bücher keine Bibliotheken – ohne Bibliotheken eine bedürftige Welt. Bibliotheken sind Fundgruben des Geistes und für den Geist; sie sind Schatzkammern mit Tausenden von Medien, die umsichtige Verleger, wie Hansrudolf Frey einer war und wofür er geehrt wurde, auf den Markt gebracht haben.
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Vor allem Familien mit Kindern, Frauen und Personen mit Lesezeit gehören zum treuen Publikum einer Gemeindebibliothek. Seit ich Grossmutter bin, hat sich meine persönliche Lesezeit inhaltlich wie auch zeitlich verändert. Wenigstens teilweise und zeitweise. Aus meiner Lesezeit wurde auch Vor-Lesezeit. Meine Enkelkinder haben sich in meinem Leben festgesetzt und in meinem Herzen eingenistet; für sie nehme ich mir Zeit. Auch mir zuliebe. Melden sie sich bei mir an, denke ich an Köstlichkeiten, die ich ihnen kochen werde; hoffe auf gutes Wetter; überlege mir, was wir zusammen tun könnten, was im Elternhaus vielleicht zu kurz kommt oder nicht möglich ist. Vorerst ist es „Der Wolf und die 7 Geisslein“ und „Pitschi“, die ich zum x-ten Mal erzähle; das Puzzle mit den vielen Baumaschinen und das Leiterlispiel, das wir zusammen machen. Bald schon werde ich die „Rote Zora“ und „Die Schwarzen Brüder“ vorlesen. Auch Grossvater hat seine Rolle: Er spielt einen Nachmittag lang „Monopoly“ und gibt nicht auf, bis auch er beim „Memory“ einmal gewinnt.
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Natürlich habe ich bei mir zu Hause nicht alles, was ein Kind interessieren und gelüsten könnte. Also leihe ich mir aus, was ich nicht besitze und auch nicht kaufen will. Ich bin froh, dass ich ab dem 1. November in der Regionalbibliothek Weinfelden einen Grosseltern-Koffer bestellen kann. Kompetente Bibliothekarinnen stellen mir gratis eine Auswahl an Büchern, Spielen, Puzzles oder Filmen zur Verfügung, die dem Alter und dem Interesse meiner jungen Gäste entspricht. Und, so denke ich, trage ich vielleicht etwas dazu bei, dass wieder ein Kind in eine Welt mit Büchern hineinwächst. Und, so hoffe ich, merkt ein Kind, dass SMS und Facebook-Eintrag nicht ersetzen können, was zwischen den wirklichen Menschen zählt, nämlich die Zeit, die man miteinander verbringt.
Von Enkelkindern sagt man, sie seien die schönste Leihgabe. Der ausleihbare Grosselternkoffer hilft mir, dass ich meinen Enkelkindern dereinst nicht nur als alte Frau in Erinnerung bleibe.
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PS: Die Regionalbibliothek Weinfelden ist die einzige im Kanton, welche diese charmante Dienstleistung anbietet.

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