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09.12.2012

Schweres Schicksal, leichte Liebelei

Schweres Schicksal, leichte Liebelei
Szene aus der Sirnacher Operette "Viktoria und ihr Husar" | © Florian Truniger

Bei der neuen Operette Sirnach, bei "Viktoria und ihr Husar" stimmt praktisch alles. Die Premierengäste am Samstag waren begeistert, und das Publikum der weiteren Aufführungen bis in den März hinein dürfte es auch sein.

Martin Preisser

Es war nicht nur ein geschickter Regieeinfall, die Hauptakteure nach Ende des Stücks, quasi als Vorspiel zur spontanen Standing Ovation des Premierenpublikums, nochmals ihre musikalischen Highlights zitieren zu lassen. Sondern es rief etwas Spannendes in Erinnerung: Viele dürften überrascht gewesen sein, wie viele Melodien aus Paul Abrahams "Viktoria und ihr Husar" ihnen bekannt vorgekommen sind, ohne vielleicht zu wissen, dass sie von Abraham stammen.

Schmissig, sinnlich, duftig

Zum zweiten Mal inszeniert Leopold Huber vom See-Burgtheater in Sirnach, und das wieder mit Erfolg und seiner ganz eigenen Handschrift. Da ist nichts Biederes oder Verstaubtes, und schon gar nichts Provinzielles. Ja, man ist begeistert, wie Huber es schafft, Profisänger ohne Fehl und Tadel mit einem Südthurgauer Laienchor zu verknüpfen, mit dem Ergebnis von Schmiss, Leichtigkeit, Sinnlichkeit und Duftigkeit. Über zweihundert Akteure auf unter hinter der Bühne sind wieder beteiligt an der "Operettenkrankheit", die Sirnach alle drei Jahre und jetzt das zwanzigste Mal immer wieder heftig und hochfiebrig heimsucht.

Virtuos, spritzig, aufgemischt

Leopold Huber gelingt es, einen spannenden Erzählstrang aufzubauen – da wurde an den genau richtigen Punkten des Librettos gestrichen und konzentriert. Bei aller leichten Unterhaltung nimmt die Geschichte gefangen, ein abenteuerliches Kriegsheimkehrer-Drama mit überraschenden Wendungen, Schauplätzen und Pointen. Die Story bewegt, und der Verzicht des einen Haupthelden auf seine Viktoria hat echte menschliche Grösse. Das Happy End kommt nicht banal, sondern ist ein auch schmerzlicher Prozess. Neben der Geschichte lässt Leopold Huber geschickt die Lieder und Tänze als wunderbar farbige zweite Spur mit- und ineinanderlaufen. Das ist alles virtuos und spritzig aufgemischt.

Lustvoll, liebevoll, locker

"Viktoria und ihre Husar" entführt in ein russisches Kriegsgefangenenlager, nach Japan, Moskau und Ungarn. Und die Inszenierung zieht alle farbigen Hebel, um dieses Exotische lustvoll für Ohren und Augen äusserst schmackhaft zu machen. Die wunderbare, herrlich suggestive Musik Paul Abrahams tut da ihr Bestes. Für jede Region gibt es das passende Lokalkolorit. Dirigent Martin Baur (in seiner zehnten Sirnach-Premiere) bringt die unterschiedlichen musikalischen Stile von Walzer über Fernost zu Czardas mit leichter Hand, liebevoll und locker schweben lassend mit seinem Orchester rüber. Da hat es Platz für Röhrenglocken, aber auch für ein Cymbal. Und feurig-schmachtend ist der begeisternde Auftritt von Zigeunergeiger Jurij Drole.

Kongruent, farbig, wendig

Eigentlich möchte man jetzt über die Sängercrew schwärmen, aber genauso und zuerst noch über Bühnenbild, Kostüme und Choreografie. Mit Klaus Hellenstein hat sich ein Profi der Ausstattung angenommen, bei der die Bilder einfach wunderbar kongruent zum Geschehen funktionieren. Und hier ist es die Kunst der Einfachheit: Ein Symbol für jedes Land, feine Vorhänge und gekonnt gesetzte Videosequenzen. Bei den Kostümen im Stil der 50er-Jahre, in die die Inszenierung die Operette von 1930 verlegt hat, fehlt es nicht an beeindruckender Buntheit, die die Farbigkeit der Musik, aber auch die Wendigkeit des Tanzes zu repräsentieren scheint.

Russisch, japanisch, ungarisch

Eine sechsköpfige Gruppe von Profitänzerinnen wirbelt leichtfüssig über die Bühne, mal russisch, mal japanisch, mal mit Puszta-Seligkeit, in Moskau allerdings auch mit Pistolen. Für die Choreografie setzt die Operette Sirnach erneut auf Kinsun Chan, der der Produktion ein rundum überzeugendes Bewegungsnetz verleiht und vor allem auch die Laien ohne jegliche Ungeschicklichkeit wunderbar mit dem Ganzen vernetzt.

Üppig, sinnlich, genau

Leopold Huber inszeniert üppig, immer sinnlich, mit genauem Witz und mit viel Sinn für den Tanz und vor allem für das In-Szene-Setzen der Sängerinnen und Sänger, die allesamt auch hervorragend tanzen. Das ist speziell für Operette und daher umso beachtlicher. Es sind drei ganz unterschiedliche Paare, die da durchweg begeistern - stimmlich sehr individuell, aber allesamt auf überzeugender Höhe: Jugendlich fröhlich, frisch, direkt und sympathisch Stefanie Gygax und Christian Sollberger als O Lia San und Graf Ferry. Dann vor allem mit humoristischem und komischem Können aufwartend und immer wieder besondere Akzente setzend Liliane Ecoffey und Paul Erkamp als Riquette und Jancy.

Mitreissend, tragisch, packend

Und als mitreissende Hauptdarstellerin Ramona Holy, der es gelang, die über weite Strecken auch tragische Zerrissenheit von Viktoria zwischen zwei Männern packend auszuloten, als eine Frau, die wie ihre beiden Männer auch, Opfer der Kriegswirrnisse wurde und Schicksalsentscheidungen treffen musste, die es ohne Krieg nicht gegeben hätte. Michael Suttner als Stefan Koltay lebte diese Zerrissenheit zwischen Liebe und Verzicht ebenfalls souverän, manchmal fast nachdenklich aus. Auch Claus Gerstmann als John Cunlight hatte in seiner Rolle mit der Zerrissenheit zwischen Liebe und Verzicht zu kämpfen. Ihm nahm man nicht nur als Sänger, sondern auch als ruhig und überlegen agierendem Schauspieler den schweren Weg ab, der ihn – echter Grandseigneur – zu tiefst menschlichen, ja weisen Lösungen in diesem Stück führte. Mit Oliver Kühn als Bürgermeister Béla Pörkölty gab es nochmals gekonnte komische und weinselige Elemente.

Ein echtes Muss!

"Viktoria und ihr Husar", Leopold Hubers zweite Sirnacher Operette: Es gelang nichts weniger als beste Unterhaltung auf hohem Niveau, ein Abend voller farbiger, musikalischer, sängerischer und tänzerischer Lebensfreude. Eine Operette, die geschickt und über grosse Strecken mit sehr unterhaltendem Revue-Charakter daherkommt, die schweres Schicksal und leichte Liebelei gekonnt vermischt, und die in allen Elementen wunderbar leicht und transparent wirkt. Ein Abend in Sirnach – ein echtes Muss.

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