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von Brigitta Hochuli, 20.04.2013

Vom Zauber des Schreibens

Vom Zauber des Schreibens
Die Siegerin Jasmin Wunderlich (zweite v.l.) zusammen mit weiteren Preisträgerinnen des Junge Texte Festivals in der Aula der Kantonsschule Frauenfeld. | © Brigitta Hochuli

Brigitta Hochuli

Guten literarischen Texten wohne die Zauberkraft inne, Menschen ins Erschriebene hineinzuziehen. Lesen und Schreiben seien deshalb göttliche Gaben, sagte Regierungspräsidentin Monika Knill am Freitag zur Eröffnung des Junge Texte Festival-Finals in der Kantonsschule Frauenfeld. Bei der Erstauflage sei sie in einem Krimi vorgekommen, jetzt hoffe sie, nicht in einen Mord verwickelt zu werden. Tote gab‘s keine. Dafür in der Endausscheidung vier Geschichten und sechs ziemlich kritische prominente Juroren, die ihre Aufgabe verdankenswert ernst nahmen.

„Eitel verliebt“

Als erster las der erst 16jährige Marios Vettas aus Amriswil. Er besucht die Kantonsschule Romanshorn und schreibt, weil ihm das Lesen wichtig ist und es ihn inspiriert. Unter dem Titel „Udos Euphorismen“ lässt er zwei Menschen zusammenfinden, deren Lebenselixier die schönen geschwollenen Adjektive sind. Ein überraschend stringent aufgebauter und witziger Text mit augenzwickerndem Gebrauch von Klischees! „Köstlich amüsiert“ hatte sich Schauspieler Gilles Tschudi. „Eitel verliebt“ sei dieses Schreiben, fand Regisseur Jean Grädel. Am Schluss gab‘s von maximal 24 Punkten gerade mal 11.

„Programmatisch“

Dann las Sven Hirsbrunner aus Erlen. Warum er schreibt? „Das kann ich am besten.“ Der junge Mann ist ein Schnellsprecher, was dem Verständnis seines dissoziierenden Figurengebäudes nicht unbedingt auf die Sprünge half. Doch könnte es sich lohnen, es in Ruhe zu dekonstruieren. Denn die Idee, ein Menschenpaar geschlechtlich und situativ mehrfach neu zu erfinden, ist gut! Der Titel seines Beitrags: „Ein junger Mann schreibt einen Text oder am Ende kommt die Bourgeoisie“. Das sei geradezu programmatisch für den Veranstalter, fand Juryleiterin Bettina Spoerri, Kritikerin und Geschäftsleiterin der Solothurner Literaturtage. Viermal müsse sie sich auf andere Figuren einstellen und wisse nicht, was zu tun sei damit, beklagte Literaturdozentin Theres Roth-Hunkeler, die für die kranke Schriftstellerin Sibylle Berg eingesprungen war. Und das Ende der Bourgeoisie? Das liegt in St. Gallen, „wo es fast alle Tage grau und verregnet ist“. Und das gefiel Tania Kummer, der ehemaligen Absolventin der Kantonsschule Frauenfeld, 2010 bedacht mit einem kantonalen Kulturförderbeitrag und Buchtippgeberin auf SRF 3. Sie fand das „ironisch-philosophische Spiel mit Identitäten total gelungen“. Mit 14 Punkten wurde der Jungautor Dritter.

„Dünn und immateriell“

Es folgte die Lesung der 20jährigen Jasmin Wunderlich aus Horn, die die Fachmittelschule Romanshorn besucht hat und zurzeit in Ausbildung zur Pflegefachfrau steht. Ihr Titel: „Resonanz. Zwischen den Zeilen“. Dabei hört man den Monolog einer Frau, die ihren Partner zum Reden bringen will, sich dabei aber heftig zureden muss - an sich eine Problematik, die von einem weiten Feld populärpsychologisch längst abgeerntet ist. Doch Regisseur Jean Grädel witterte eine Dramatik, die leider beim Lesen nicht mitinterpretiert worden sei. Dabei sei der Text geeignet für eine Inszenierung! Und Christoph Simon, Schriftsteller und Schreibcoach, machte es traurig, „dass das Ich so dünn und immateriall ist“. Tania Kummer hingegen gefiel das Redundante und durch Wiederholung Rhythmische an der Lesung. Und das hatte wohl den Ausschlag gegeben. Mit 20 Punkten wurde Jasmin Wunderlich die Siegerin des Abends.

„Endlich politisch“

War noch eine Steigerung möglich? Sie war. Denn der Text der Frauenfelder Maturandin Muriel Hoffmann aus Wängi war weit entfernt von den gehörten „Beziehungskisten“, wie Grädel sich ausdrückte. Die junge Autorin schreibt, weil sie beim Schreiben Dinge erleben kann, „die ich in meinem Leben noch nicht erlebt habe“. So hiess denn ihr Beitrag „Zeilen auf weissem Papier“. Darauf geht es um Bilder im Kopf, grausam und kalt; um Lügen, Tod und Erlösung, die Wahrheit im Krieg und den Satz: „Der Vater ist dafür gestorben, das Richtige zu tun.“ Phänomenal und berührend fand es Tschudi, „endlich politisch“ fand Grädel. Als „Ignorant“ müsse er sich outen, sagte Simon. Er sei fassungslos, der Text strotze vor Behauptungen. Ihr gehe es ähnlich, pflichtete Kummer bei, doch spendete sie Trost: „Muriel Hoffmann erzählt wahnsinnig schön, und sie kann gut schreiben.“ So resultierte mit 15 Punkten der zweite Schlussrang am diesjährigen Junge Texte Festival.

***

Die 12 Preisträger (von 50)

Ornella Neri, Aadorf
Jorine Pfaff, Matzingen
Marios Vettas, Amriswil
Stefanie Gründler, Gachnang
Sven Hirsbrunner, Erlen
Anaïs Lienhart, Wil
Lorena Funk, Wängi
Julian Oelkers, Uesslingen
Jasmin Wunderlich, Horn
Anita Boos, Schönenberg
Muriel Hoffmann, Wängi
Frank Schmid, Uesslingen

www.jungetexte.ch

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