von Brigitta Hochuli, 21.02.2011
THURGAUER ZEITUNG - Das Interview mit dem Chefredaktor

Zur Diskussion über die Mischung von mostindia®ionalkultur räumt Philipp Landmark ein, dass die gegenseitige Inspiration noch nicht zu Mehrwert geführt habe.
Interview: Brigitta Hochuli
Herr Landmark, Seit Ende Januar kommentieren Thurgauer Kulturschaffende, Kulturinteressierte und Journalisten in einem Blog die Rubrizierung „mostindia®ionalkultur“ in der neuen Thurgauer Zeitung. „Kann mir das bitte mal jemand erklären?“, frug die Schriftstellerin Andrea Gerster. Kann es der Chefredaktor?
Philipp Landmark: Mit der Seite mostindia®ionalkultur wurden auch zwei Redaktionen zusammengeführt, die bisher nebeneinander agierten - mit häufigen Überschneidungen allerdings. Das Konzept haben im Wesentlichen die beteiligten Redaktorinnen und Redaktoren aus dem Thurgau erarbeitet, der Wunsch nach einer vertieften Zusammenarbeit entstand hier.
Die Bezeichnung mostindia veräpple möglicherweise die Kultur im Thurgau, schrieb die Bloggerin. Was verstehen Sie selber unter dem Begriff mostindia? Spricht „mostindia“ die Jugend an oder ist der Begriff in kultureller Hinsicht subversiv gemeint?
Philipp Landmark: Die Bezeichnung und die Absicht dahinter ist zumindest TZ-Leserinnen und TZ-Lesern bekannt. „mostindia“ stammt ja aus der "alten" Thurgauer Zeitung. Das Label stand und steht für jugendliche Zugänge, aber vor allem für andere Blickwinkel auf die Dinge, auf den "anderen Thurgau". Wenn das subversiv ist: Von mir aus. Zumindest einen anderen Blick zu haben, nehmen ja gerade Kulturschaffende für sich auch in Anspruch.
Nun wird aber „regionalkultur“ mit „mostindia“ verknüpft. Inwiefern ist das sinnvoll?
Philipp Landmark: Ganz sicher war es sinnvoll, ausgetrampelte Pfade zu verlassen und etwas Neues zu wagen. Ob die Kombination tatsächlich funktioniert, ist eine andere Frage. Die gegenseitige Inspiration durch die unterschiedlichen Ansätze hat bisher noch nicht zu einem wahrnehmbaren Mehrwert für die Leserinnen und Leser geführt. Im Frühling, also rund 100 Tage nach dem Start, werden wir eine genaue Analyse der "neuen" Thurgauer Zeitung vornehmen. Es ist gut möglich, dass wir Änderungen vornehmen, auch an dieser Seite.
Einer, der sich nicht als Kommentator geoutet hat, nennt die Seite ein Tuttifrutti. Ärgert Sie das?
Philipp Landmark: Nein. Das ist mir lieber als "Monokultur".
Hauptkritikpunkt der Kommentatoren und Kommentatorinnen ist wie gesagt die Vermischung von „mostindia®ionalkultur“ auf nur gerade fünf Seiten pro Woche. Könnte man die Seitenzahl nicht einfach verdoppeln und die Inhalte wieder trennen?
Philipp Landmark: Die Inhalte kann man allenfalls trennen, die Seitenzahl "einfach verdoppeln" sicher nicht. Der Umfang der Regionalkultur in der "alten" Thurgauer Zeitung lag zwischen drei und vier Seiten pro Woche, heute hat die Thurgauer Kultur sicher nicht weniger, eher etwas mehr Raum, und das wird sie auch in Zukunft bekommen.
Mit „mostindia“ biedere man sich der Jugend an, insinuiert ein Kommentator aus der Medienbranche. Finden Sie das auch?
Philipp Landmark: Nein, im Gegenteil. Auf der Seite mostindia haben junge Redaktoren während Jahren mit Charme, Kreativität und gutem Gespür das Universum der Thurgauer Jugend ausgelotet - und nicht zuletzt junge Talente an den Journalismus herangeführt. „mostindia“ hat den Anspruch einer "Jugendseite" im Gegensatz zu tatsächlich unglücklichen Beispielen glaubwürdig umgesetzt.
Im Stammhaus der neuen Thurgauer Zeitung in St. Gallen wird täglich eine Seite „zoom“ produziert. Wäre eine Kombination „zoom&mostindia“ nicht die Lösung für die Ostschweizer Jugend?
Philipp Landmark: Es gibt durchaus Überschneidungen. Die Seite zoom hat tatsächlich auch den Anspruch, jugendliche Zugänge zu Themen zu schaffen - aber nicht nur. Das Konzept dieser und auch noch anderer bestehender oder denkbarer Gefässe für ein jüngeres Publikum überprüfen wir derzeit. Welche von sehr unterschiedlichen Ideen wir allenfalls weiter verfolgen, ist noch völlig offen.
Kultur- und Jugendseiten sind in Tageszeitungen gemäss Studien nicht die best gelesenen. Fernsehprogramme, Todesanzeigen und Leserbriefe haben es da wesentlich leichter. Warum verzichtet man trotzdem nicht darauf? Es gibt ja genügend andere Plattformen.
Philipp Landmark: Tatsächlich sind Kulturteile der Zeitungen oft schlecht gelesen. Weglassen wäre jedoch eine schlechte Option: Ich bin dafür, diese Seite zu öffnen, zu entstauben und attraktiver zu machen. Was im Kleinen mit mostindia®ionalkultur vielleicht noch nicht so recht funktionieren will, hat im Grossen bei unserem Bund Focus hervorragend funktioniert. Die Kombination von Kultur mit den Ressorts "Leben" und "Wissen" findet hohe Beachtung und beschert den klassischen Kulturthemen gleich doppelt zusätzliche Leserinnen und Leser.
Warum genau?
Philipp Landmark: Zum einen, weil Leute darüber stolpern, die ein "Feuilleton" ungeöffnet beiseite legen würden, zum anderen, weil die inhaltliche Aufarbeitung der Themen zunehmend anders geworden ist. Sogenannte "Berichterstattungen" liest tatsächlich so gut wie niemand ausser den direkt Involvierten - spannende Geschichten aus unverbrauchten Perspektiven hingegen schon. Sinngemäss gilt das Gleiche für Jugendseiten: Sie dürfen keine Alibi-Funktion haben, sondern müssen die jungen Menschen wirklich berühren.
Wie gut kennen Sie als Schaffhauser und als St. Galler Chefredaktor eigentlich die aktuelle Kultur im Thurgau - jene aus „mostindia“ ebenso wie jene aus der etablierten Kulturlandschaft?
Philipp Landmark: Leider nur punktuell. Darum entscheide auch nicht ich darüber, was davon ins Blatt kommt und was nicht.
Dann frage ich grundsäztlich nach Ihrem Kulturverständnis und Ihrer Vorstellung, wie über Kultur berichtet werden sollte.
Philipp Landmark: Ich habe einen weiten Kulturbegriff, der immer weniger mit dem Verwalten und Abarbeiten einer Agenda zu tun hat. Natürlich gehören Vorschauen auf Ereignisse zum Service einer Zeitung, und auch eine Reflexion von Anlässen soll sein. Aber eher wenige, dafür fundierte und allenfalls kontroverse Besprechungen als flächendeckende biedere Berichte.
Und wer soll das leisten?
Philipp Landmark: Dazu wünsche ich mir eine Kulturredaktion, die qualifiziert den Puls des kulturellen Geschehens fühlt und mich immer wieder überrascht und auch herausfordert. Das gilt im Thurgau ebenso wie in St. Gallen, und deshalb bin ich froh, dass ich in Frauenfeld und Arbon, in der St. Galler Stadtredaktion und in der Mantelredaktion im Focus kompetente Kolleginnen und Kollegen habe, die tagtäglich versuchen, der Kultur attraktive, spannende, hintergründige und - selbstverständlich - unterhaltsame Geschichten abzuringen.
Sie sind also ganz zufrieden.
Philipp Landmark: Ja. Wenn ich die Nase zum Vergleichen in andere Blätter stecke, dann darf ich ganz unbescheiden feststellen: Wir machen das schon ziemlich gut. Selbstverständlich wollen wir aber noch viel besser werden.
Zum Beispiel so?: Eine Kommentatorin schlägt vor, Kurzgeschichten und Gedichte abzudrucken, denn die Schreibszene im Thurgau lohne es. Was antworten Sie ihr?
Philipp Landmark: Das ist ein Ansatz, den „mostindia“ auf seine Weise schon lange verfolgte: mit Kolumnen für lokale Slam-Poeten, die inzwischen zu den nationalen Top-Stars zählen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Literaturszene im Thurgau und der ganzen Ostschweiz guten Stoff hergibt. In welcher Form, bleibe dahin gestellt. Freilich: In einer Zeitung drängt es sich eigentlich auf, literarische Texte mit kurzen Beispielen vorzustellen.
Diese „mostindia®ionalkultur“-Debatte gleiche dem Kachelmann-Prozess. Wir wüssten alle nicht, was in Kachelmanns Schlafzimmer passiert sei, hätten aber eine ganz klare Meinung zu Schuld oder Unschuld des Wetterfroschs, schreibt Krimi-Autor Daniel Badraun. Finden Sie dieses Argument lustig?
Philipp Landmark: Beim ersten Lesen schon, aber eigentlich ist es eine tragische Feststellung, für Kachelmann wie für seine mutmasslichen - oder vermeintlichen? - Opfer. Ich würde den Vergleich nicht so eng ziehen. Auch wenn manche Diskussionsbeiträge hier und anderswo nicht sehr nahe an den Tatsachen sind und aus einer oft sehr einseitigen Optik kommen.
Aber nehmen Sie sie trotzdem zur Kenntnis?
Philipp Landmark: Ja, denn wirklich störend wäre es für uns, wenn dem Publikum unser Tun egal wäre. Alle Leute, die sich irgendwie an etwas stören, erwarten von uns ja nichts anderes als guten Kulturjournalismus. Nur verstehen nicht alle das Gleiche darunter. Wir fassen jedenfalls die Kritik sportlich als Ansporn auf, uns stets zu verbessern. Verbessern heisst aber eben nicht, einfach mehr Buchstaben zu produzieren - ein Konzert wird auch nicht darum besser, dass es länger wird. Wir wollen Kultur über den engen Kreis der Kulturschaffenden selbst für ein anspruchsvolles breites Publikum zugänglich machen.
Die Blogkommentare zeugen zumindest von einer gewissen Leidenschaft für die Kultur in der Thurgauer Zeitung. Freut Sie das?
Philipp Landmark: Natürlich freut mich das, und wir nehmen das, wie jede einigermassen faire Kritik, sehr ernst.
Es sei gut, dass es die Debatte zum Thurgauer Kulturjournalismus gebe, schreibt der Mann aus der Medienbranche. Nur - sie findet auf thurgaukultur.ch statt. Warum nicht in Ihrer Zeitung, Herr Landmark?
Philipp Landmark: In der Thurgauer Zeitung wurde durchaus munter und ausführlich über die neue Zeitung debattiert, darüber hinaus hatten und haben wir auch hunderte direkte Kontakte zu Leserinnen und Lesern - alles in einer beachtlichen thematischen Breite. Auf diesem Blog wurde nun eine sehr spezifische Diskussion angeschoben, an der sich gut ein halbes Dutzend Leute beteiligte. Auch das darf und soll selbstverständlich stattfinden, zumal auch diese Debatte zeigt: Die Thurgauer Zeitung ist für die Kultur im Thurgau von zentraler Bedeutung. Die Ansprüche an uns sind hoch, zum Teil auch widersprüchlich. Aber unter dem Strich heisst das: Die Thurgauerinnen und Thurgauer trauen uns das grundsätzlich einmal zu. Wir wiederum wollen uns anstrengen, uns auch Applaus zu verdienen.

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