Seite vorlesen

von , 08.02.2015

Extravagante Experimente

Extravagante Experimente
Vergnügliches Mehrpersonen-Solo: Joachim Rittmeyer. | © David Nägeli.

Joachim Rittmeyer bot am Samstag am KIK-Festival ein humoristisches Mehrpersonen-Solo. Das Kabarett-Urgestein aus St. Gallen lässt nach dem Auftritt viele Fragen unbeantwortet. Und das ist gut so.

David Nägeli

Joachim Rittmeyer kann vor allem zwei Dinge gut: Blödeleien und gute Fragen stellen. Zum Beispiel die Folgende: Welche der beiden Gattungen, Tier oder Mensch, verfügt über die grössere Speichelhaftkraft? Die Antwort soll ein Experiment liefern, die Anordnung ist denkbar einfach: Ein Hund und ein Mensch lecken einen Saugnapf ab, Rittmeyer klebt die beiden an eine Tafel und hängt zwei gleichwertige Gewichte daran. Zuerst müssen - mangels Alternativen - Schuhe daran glauben. Später zwei Tassen, ein Überbrückungskabel und ein Notfallhammer.

Am Ende der Show am Festival Kabarett in Kreuzlingen hängen beide Saugnäpfe noch, die Frage nach der grösseren bleibt offen. Beantwortet werden hingegen andere Fragen: Wie viele Senderwechsel kann eine Fernbedienung mit einer Batterie vollziehen? (4000.) Wieso haben die Menschen in Parkhäusern ein Verlangen danach, die Parkscheine zwischen den Zähnen zu tragen? (Alte Jäger-Sammler-Angewohnheiten.)

Alte Bekannte

Diese absurde Fragen gehören für Rittmeyer und seine Alter Egos zum Alltag. Theo Metzler, eine bereits ältere Kunstfigur von Rittmeyer, übernimmt als Präsident des Interessenskreises für Sondierbohrungen im Alltag die Einführung in den Abend. In den nächsten anderthalb Stunden treten mit dem umständlichen Hanspeter Brauchle (die "unverwüstliche labile Kraft") und dem slavischen Radiowellen-Experten Jovan Nabo weitere Figuren auf, die Kennern von Rittmeyer bekannt sein dürften.

Hanspeter Brauchle, die „unverwüstliche labile Kraft“. (Bilder: David Nägeli)

In "Zwischensaft", dem 19. Solo-Programm des Routiniers Rittmeyer, findet sich aber auch ein Neuankömmling im Kreis der verrückten Alltagsforscher: Paddy, der Klischée-Jugendliche mit weissen Handy-Kopfhörern im Ohr. Kabarettisten im mittleren Alter, die versuchen Jugendliche darzustellen - grundsätzlich schon gefährlich. Rittmeyer, in Kapuze und Cap gekleidet, gelingt das aber erstaunlich gut: Obwohl Paddy grosszügig überzeichnet ist (wie alle Charaktere des Kabarettisten), wirkt er meistens glaubhaft. Die altersgemässe Gestik und sein Gang über die Bühne des Campus-Aula in Kreuzlingen unterstreichen dies.

Gute Fragen und Alltagsblödeleien

Paddy und die restlichen Charaktere von Rittmeyer teilen alle mehrere Dinge: Eine enorme Verwirrtheit und einen Drang zum Ergründen sinnbefreiter Fragen. Ein Beispiel: "Warum hat eine Kuh stehts unzählige Fliegen auf dem Körper?", fragt Rittmeyer. Die Antwort: Am siebten Tag der Schöpfung fragte Gott: "Seid ihr alle zufrieden mit der Schöpfung?". Und die Kuh antwortete: "Ich will fliegen!"

Neue Figur: Paddy, Klischée-Jugendlicher mit Handy-Kopfhörern im Ohr.

Ein grosser Teil von Rittmeyers jüngstem Programm beruht, kurz gesagt, auf Blödeleien. Das Kabarett-Urgestein beginnt mit einer eher harmlosen Alltagssituation. Schritt für Schritt verwandelt sich Alltag in Absurdität. Aus einem harmlosen Besuch im Altersheim wird ein Desaster: Toupets werden zweckentfremdet und Hörgeräten geht der Strom aus. Und ein Besuch in der Autowaschanlage endet in CDs mit Naturklängen und Beruhigungsmusik.

Liebe zum Skurrilen

Im Vergleich zum gefühlsmässigen Wechselbad von Christoph Sieber am Vorabend (hier lesen) wirkt Rittmeyer ein wenig einseitig. Trotz der vielen Charaktere und Requisiten hat man sich bis zum Ende der Show beinahe schon an seine humoristische Angehensweise und an seine Blödeleien gewöhnt: Wenn er eine neue Situation auf der Bühne einführt, ist ab und an bereits absehbar, wo sich die kommende Pointe versteckt.

KIK-Festival 2015: So geht es weiter

Thomas Reis, 21.2.; Erwin Grosche, 28.2.; Rolf Miller, 5.3.; Oropax, 6.3.; Alfred Dorfer, 10.3. (ausverkauft); Urban Priol, 12.3.; Günter Gründwald, 14.3.; Christine Prayon, 20.3.

Für die Veranstaltungen des KIK 2015 sind Tickets im Vorverkauf erhältlich: Bei Starticket (print@home, Vorverkaufsstellen) und in der Geschäftsstelle von Kreuzlingen Tourismus an der Hauptstrasse 39, 071 672 38 40. (rom)


Eine hübsche Auflockerung des Programmes bieten die eingestreuten Vier-Zeilen-Lieder, in welchen Rittmeyer mit Ziehharmonika und starkem Sprechgesang von Skurrilitäten singt: "Der Bauer fand beim Ski-Lift-Bügeln / Eine linke Hand-Prothese / Dank Ebay-Inserat / Besitzt die nun ein Libanese."

Was nach dem Abend am KIK-Festival aber hängen bleibt, sind die Fragen. Denn in ihnen offenbart sich eine Liebe zu den Kleinigkeiten des Alltags, welche den St. Galler Kabarettisten auszeichnet. Deswegen kann man ihm auch in Ruhe verzeihen, dass das Publikum am Ende des Abends immer noch nicht weiss, ob der Speichel eines Hundes oder eines Menschen eine höhere Haftkraft aufweist.

 
***

Bisher erschienene Kritiken zum KIK 2015:


Christoph Sieber - thurgaukultur.ch vom 7.02.2015
Jochen Malmsheimer - thurgaukultur.ch vom 6.02.2015
Interview mit Rolf Miller - thurgaukultur.ch vom 15.01.2015
Vorschau mit Micky Altdorf - thurgaukultur.ch vom 29.11.2014

kik-kreuzlingen.ch

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Interessen

  • Kritik
  • Kabarett

Ist Teil dieser Dossiers

Werbung

Hinter den Kulissen von thurgaukultur.ch

Redaktionsleiter Michael Lünstroth spricht im Startist-Podcast von Stephan Militz über seine Arbeit bei thurgaukultur.ch und die Lage der Kultur im Thurgau. Jetzt reinhören!

#Kultursplitter - Agenda-Tipps aus dem Kulturpool

Auswärts unterwegs im April/Mai - kuratierte Agenda-Tipps aus Basel, Bern, Liechtenstein, St.Gallen, Winterthur, Luzern, Zug und dem Aargau.

Austauschtreffen igKultur Ost

Für eine starke Kulturstimme im Kanton Thurgau! Dienstag, 11. Juni 2024, 18.00 Uhr, Kult-X Kreuzlingen.

Literaturpreis «Das zweite Buch» 2024

Die Marianne und Curt Dienemann Stiftung Luzern schreibt zum siebten Mal den Dienemann-Literaturpreis für deutschsprachige Autorinnen und Autoren in der Schweiz aus. Eingabefrist: 30. April 2024

Atelierstipendium Belgrad 2025/2026

Bewerbungsdauer: 1.-30. April 2024 über die digitale Gesuchsplattform der Kulturstiftung Thurgau.