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31.03.2015

Leuchttürme in Schrebergärten

Leuchttürme in Schrebergärten
Bundesrat Alain Berset möchte die Kultur breit abstützen. | © Sascha Erni

Am 30. März 2015 stellte Bundesrat Alain Berset in der Lokremise St. Gallen die Kulturbotschaft des Bundes vor. Das anschliessende Podiumsgespräch zeigte unfreiwillig, wie wichtig sie tatsächlich ist.

Sascha Erni

Das Kulturmagazin Saiten lädt an einem stürmischen Montag nach St. Gallen ein. In der Lokremise bleibt es ruhiger, was etwas überrascht: Bundesrat Alain Berset stellt vor vollen Rängen die aktuelle Kulturbotschaft des Bundes vor, die nach ihrem Weg durch den Ständerat nun im Nationalrat besprochen wird. Eine Botschaft, die doch so einiges bewegen möchte – was auch die Grenzregion Ostschweiz / Bodensee betrifft.

Bratwurst und Bindemittel

Berset beginnt seinen Vortrag mit der «offiziellen» Liste der St. Galler Kulturgüter. Bei «B» stutzt er – Bauernmalerei und Blasmusik sei drin, aber keine Bratwurst. Es soll nicht der einzige Witz bleiben. Dennoch hat der Vortrag ein ernstes Thema: Berset stellt fest, dass die Kulturbotschaft 2016 bis 2020 als Antwort auf die gesellschaftliche Vielfalt gedacht sei.

Kultur sei ein gesellschaftlicher Kitt, entsprechend müsse das Angebot auch auf einer sehr breiten Basis aufgestellt werden, um möglichst viele Menschen teilhaben lassen zu können. Der Kulturbotschaft ginge es weniger um konkret zu fördernde «Leuchttürme» wie dem Ballenberg oder dem Verkehrshaus, sondern um die Gesellschaft an und für sich. Berset nimmt die Abstimmung zur Förderung der Jugendmusik als Beispiel. Kulturpolitik sei Gesellschaftspolitik, sagt er.

Berset referiert routiniert und unterhaltsam. Dem Thema geschuldet bleibt er sehr allgemein, auf Bundesebene so zu sagen. Moderator Stefan Keller möchte von ihm wissen, wie denn die Ostschweiz als Grenzgebiet mit Themen wie Identität und Kultur umgehen könnte. Bersets Antwort: Es sei auch Aufgabe der betroffenen Regionen, Grenzen zu perforieren.

Männerrunde mit Dame: Josef Felix Müller, Kaspar Surber, Stefan Keller, Martha Monstein und Martin Klöti. (Bilder: Sascha Erni)

Kultur als Lokalpolitik

Was bedeutet die Kulturbotschaft für uns in der Ostschweiz? Abseits davon, ob jetzt die Stiftsbibliothek oder das Textilmuseum Subventionen erhalten? Antworten und Gedankenanstösse erhofft man sich von Regierungsrat Martin Klöti, der Thurgauer Kulturamtsleiterin Martha Monstein, Künstler und Visarte-Präsident Josef Felix Müller und Journalist Kaspar Surber.

Aber statt eines Gesprächs über Grenzen und Identität, Kultur als Bindemittel der Gesellschaft und was das alles für Randregionen bedeuten könnte, wird es sehr schnell sehr lokalpolitisch. Das Nachsehen hat Martha Monstein, aber auch Stefan Keller (ebenfalls Thurgauer) wirkt bei allem Elan und Witz manchmal etwas verloren.

Textilmuseum hier, Tonhallen-Events da, Bibliothek, Stiftskirche – wo bleibt der gesellschaftliche «Kitt», die kulturelle Teilhabe, Innovation? Keller versucht immer wieder, das Thema auf den Inhalt der Kulturbotschaft und deren Bedeutung für die Region zu lenken. Aber die Diskutierenden schwenken schnell aufs Lokale um, im besten Fall argumentieren sie hart den Kantonsgrenzen entlang.

Leuchttürme und Lokalpatriotismus

Es scheint, dass die Intention der Kulturbotschaft noch nicht ganz in den Gremien der Ostschweiz angekommen ist. Es wird vorwiegend im eigenen kulturellen Schrebergarten nach «Leuchttürmen» gesucht und auf Subventionsgelder gehofft. Gesellschaftliches und das Diskutieren von Trends wie Digitalisierung und Globalisierung – dem Bund wichtiger als besagte Leuchttürme – spielen an diesem Abend eine untergeordnete Rolle.

Martha Monstein zwischen Stefan Keller und Regierungsrat Martin Klöti.

Keller bringt es auf den Punkt, als er Martha Monstein im Anschluss an eine weitere «Lokalrunde» zwischen Kaspar Surber und Martin Klöti fragt: «Das waren jetzt alles St. Galler Leuchttürme. Was macht denn der Thurgau so?»

Kooperationen, auch mit dem Theater St. Gallen, antwortet Monstein, sichtlich froh, dass das Thema endlich weiter als die Stadtmauern gefasst wird. Konstanz natürlich auch, und erst gerade die Ostschweizer Schultheatertage. Aber dann stösst auch sie wieder an die Kantonsgrenzen: Ein Problem sei, dass man alles tue, um die Jugend kulturell zu fördern und zu unterstützen. Dann gingen die jungen Künstlerinnen und Künstler an eine Fach- oder Kunsthochschule in einem anderen Kanton, und man bekäme sie kaum noch zurück in den Thurgau.

Für Müller eine Steilvorlage, kann er sich so doch über die Fachhochschulpolitik des Kantons St. Gallen und das Angebot in der Stadt auslassen. Es scheint, als ob sich Kultur auch in den Köpfen der Direktbetroffenen nur in Ballungsräumen abspielt.

Ständerat Paul Rechsteiner: Hopp St.Gallä!

Und so verläuft fast die gesamte Diskussion: Wenn Klöti, hoffnungsvoll, ein Projekt im Toggenburg erwähnt, dann klingt es so, als würde er in einem Drittweltland eine Mission eröffnen wollen. Man spricht über die Expo 2027, bezeichnet den Bezug zum grenznahen Ausland als Stärke der Bodensee-Region, nur um dann im Anschluss mehr Konzentration zu fordern, etwa mit einem Kulturzentrum Kreuzlingen.

Dass Ständerat Paul Rechsteiner, der diesen Anlass ins Rollen brachte, in seiner abschliessenden Ansprache gefühlt zwei Dutzend Mal «St. Gallen» sagt, wenn er «Region Ostschweiz und Bodensee» meint, mag Wahlkampf sein. Oder Symptom eines grundlegenden Problems.

Ironische Bestätigung

Die Kulturbotschaft und die Ostschweiz – viel wurde nicht darüber gesprochen. Immer fielen die Diskutierenden zurück aufs Lokale, selten Kantonale. Moderator Stefan Keller tat sein Bestes, um das Gespräch weiter zu fassen, konnte aber den bühnenpräsenten Lokalpatriotismus und die Suche nach subventionswürdigen Leuchttürmen auch nicht so recht in Zaum halten. Wenn Bundesrat Bersets Ansprache zu allgemein-bundespolitisch war, dann waren die Podiumsgäste oft zu kleinräumig orientiert.

Das ist allerdings auch nicht weiters wild. Denn dieser Widerspruch zwischen Vortrag und Diskussion zeigt: Ja, es besteht tatsächlich Handlungsbedarf, die Kulturbotschaft des Bundes scheint nötiger denn je. Es bleibt zu sehen, wie sie sich im Nationalrat machen wird. Und wie die Betroffenen, von den Kulturschaffenden über die Steuerzahler bis zu den Regierungen und Kulturämtern, damit umgehen werden.

Aber eines ist schon jetzt klar – all zu viele Leuchttürme passen nicht in einen Schrebergarten.

Auch ein Leuchtturm: Lokremise St. Gallen.

***

Mehr zum Thema:

Ein paar Ausrufe- und Fragezeichen - Saiten online

Kultur?? Kultur!! - Saiten vom 6.3.2015
Kritik an Berner Kulturbotschaft - thurgaukultur.ch vom 18.09.2014

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